SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007, Seite 18

Sex-Zwangsarbeit in NS-KZs

Eine Werkstattausstellung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

In der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück wird derzeit eine Ausstellung über Zwangsprostitution im Nationalsozialismus gezeigt. Die Autorin war mit den historischen Recherchen zu den KZ-Bordellen und zum Schicksal der Sex-Zwangsarbeiterinnen beauftragt.

Häftlingsbordelle sind ein in der Geschichte der Konzentrationslager bislang wenig beachtetes Phänomen. Die weiblichen Häftlinge, die Sex-Zwangsarbeit leisten mussten, schwiegen nach 1945 ebenso über ihre Erfahrungen wie die Bordellnutzer — männliche deutsche Häftlinge, denen die SS den Bordellbesuch im Rahmen eines Prämiensystems ermöglichte.
Im Jahr 2005 war die Sex-Zwangsarbeit in Konzentrationslagern erstmals Thema einer Ausstellung, die unter Leitung der Historikerin Carola Sachse von der Wiener Studentengruppe Die Aussteller erarbeitet wurde. Die Gedenkstätte Ravensbrück hat nun diese Ausstellung übernommen und sie in Kooperation mit einer Projektgruppe des Instituts für Kunst im Kontext der Universität der Künste Berlin um zahlreiche Dokumente, Themenmappen und Hörstationen erweitert. Sie wird bis Oktober gezeigt und ist anschließend in der KZ- Gedenkstätte Neuengamme zu sehen.

"Asoziale Frauen"

In den Lagern fungierte die SS als Zuhälter. Der NS-Staat als Bordellbetreiber förderte unter Ausübung von Zwang Prostitution. Sexualität (und damit auch Prostitution) war im Nationalsozialismus im Kontext der "rassischen Generalprävention" zu einem hoch ideologisierten Lebensbereich geworden, der nahezu umfassend reguliert und reglementiert war.
Im Rahmen der Planungen für einen umfangreicheren Einsatz von KZ-Gefangenen in der Rüstungsindustrie, trat im Juni 1942 der Vertreter der IG Farben mit dem Vorschlag an die SS-Führung heran, einen "Leistungsanreiz" zur Effektivierung der Arbeitsleistungen von KZ-Häftlingen zu schaffen: Akkordprämien, Verpflegungszulagen, Bordellbesuche und Aussicht auf Entlassung. Oswald Pohl, seit 1942 Leiter der Amtsgruppe D des neu konstituierten SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, der zentralen Verwaltung der Konzentrationslager in Oranienburg, erließ im Frühjahr 1943 eine "Dienstvorschrift", gültig ab 15.Mai 1943, die u.a. Bordellbesuche für "reichsdeutsche" oder zumindest "arische Häftlinge" gewährte.
Im quasi rechtsfreien System der Konzentrationslager konnte die SS dem Wunsch der Rüstungsmanager entgegen kommen, durch die Einrichtung von Lagerbordellen einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsmoral der Häftlinge zu leisten. Die, wenn auch geringen, Quellenüberlieferungen und die wenigen Interviewaussagen von Frauen, die in KZ-Bordellen arbeiten mussten, lassen vor dem Hintergrund der quasi militärischen Organisation der Konzentrationslager deutlich werden, dass — wie in der Wehrmacht — von der Errichtung über die Einrichtung, den Zugang und den Ablauf der Bordellbesuche alles registriert und verwaltet wurde.
Frauen, vorwiegend aus dem Konzentrationslager Ravensbrück, die als "kriminell" oder "asozial" eingestuft wurden, aber auch Polinnen wurden zur Bordellarbeit ausgesucht und dazu gezwungen, bzw. mit Versprechungen auf bessere Verpflegung oder Freilassung erpresst. Die in Aussicht gestellte Entlassung nach Ende des Einsatzes in einem KZ-Bordell — wie sie von angeklagten Ärzten vor Gericht zu ihrer Entlastung wiederholt hervorgehoben wurde — ist weder in den Akten noch in schriftlichen Erinnerungen oder in Aussagen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen belegt.
Vermutlich hoffte die SS-Führung auch, mit den Bordellbesuchen einer gefürchteten Verbreitung der Homosexualität begegnen zu können, aber auch die nicht gewünschte gegenseitige Hilfe unter den Häftlingen zu hintertreiben.
In Anbetracht der Zwangssituation im Lager können sich die Frauen schwerlich "freiwillig" gemeldet haben, wie SS-Leute und männliche Häftlinge nach 1945 häufig behaupteten. Auch wenn sie in der Hoffnung auf eine Besserung ihrer Situation lebten, waren sie im Bordell faktisch isolierter, nicht nur entrechtet, sondern täglich neu entwürdigt, zumal sie das Gebäude nicht verlassen durften.

Bis heute ein Tabu

Die meisten "Sonderbauten", wie die Bordellbauten im SS-Jargon hießen, wurden nach Kriegsende abgerissen und damit die Orte des Geschehens — wie eine dingliche Realisierung des Tabus — unkenntlich gemacht. In den ersten nach 1945 von Überlebenden verfassten Erinnerungen und Abhandlungen wurde die Existenz von Lagerbordellen noch offen als Teil des KZ-Systems benannt. Sie waren davon geprägt, alle Erfahrungen und Beobachtungen zu dokumentieren, um das ganze Ausmaß der Verfolgung, Erniedrigung und Vernichtung zu dokumentieren. Besonders bei der juristischen Aufarbeitung und bei den Anträgen auf Anerkennung als Verfolgte wurden die Frauen jedoch extrem herabgewürdigt.
Es war die Entsexualisierung der Ehefrau und Mutter und die damit verbundene allgemeine gesellschaftliche Ächtung von Prostitution, nicht zuletzt aber auch die in der Adenauer-Ära dominierende Reduzierung der Frauen auf die Familienarbeit, die verstärkt dazu beitrugen, die Erfahrungen der Frauen zu tabuisieren. Den betroffenen Frauen wurde damit die Chance zu einer Verarbeitung verunmöglicht, in der Isolierung mit ihren Erfahrungen wurden sie alleine gelassen, sodass wir von einer Fortdauer ihrer Verfolgung bis in den Tod sprechen müssen.
Die Ausstellung eröffnet eine Reihe unterschiedlicher Perspektiven auf das Thema und verweist auf Lesetischen auch auf die Bordelle der Wehrmacht, der SS und in Zwangsarbeiterlagern. Der Werkstattcharakter der Ausstellung — eine Low- Budget-Produktion — entspricht dem lückenhaften Stand der Forschung. Die Ausstellung in der Gedenkstätte Ravensbrück präsentiert Dokumente und Erinnerungen zu allen zwölf KZ- Bordellen. Dem Wunsch derjenigen, die in Interviews als Betroffene Auskunft gaben, nach Anonymität entsprechen die Ausstellungsmacherinnen: Keine ehemalige Zwangsprostituierte wird mit Namen genannt oder im Foto gezeigt. Sie gehören zur Opfergruppe der "Asozialen", denen bis heute eine Entschädigung verwehrt bleibt.

Christl Wickert

Zum Weiterlesen: Christl Wickert: "Tabu Lagerbordell. Vom Umgang mit der Zwangsprostitution nach 1945", in: Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids (Hg. I.Eschebach u.a.), Frankfurt/New York 2002.





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