SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 05

"Ich demonstriere nicht am Samstag dagegen und stimme am Mittwoch dafür"

Franco Turigliatto über seine Haltung zur italienischen Außenpolitik

Am 21.Februar stimmte der italienische Senat über eine Regierungsvorlage zur italienischen Außenpolitik ab, die u.a. die Beteiligung Italiens an Militäreinsätzen in Afghanistan vorsah. Zwei Senatoren aus den Reihen der Regierungskoalition, Franco Turigliatto (PRC) und Fernando Rossi (ehemals PdCI), enthielten sich der Stimme. Es waren die beiden Stimmen, die der Koalition fehlten, die Vorlage fiel durch. Das löste eine Regierungskrise aus. Die Regierung Prodi hat sich danach neue Unterstützer im bürgerlichen Lager gesucht; Turigliatto wurde erst aus der Fraktion, dann aus der Partei ausgeschlossen.

Franco Turigliatto gehört zur Strömung Sinistra Critica, die den linken Flügel der PRC (Partito della Rifondazione Comunista) bildet. Mit ihm sprach Angela Klein für die SoZ.



Alle sind sie über dich hergefallen — aber mir scheint, du bist nicht der einzige, der sich gegen die Linie der Regierung gestellt hat. Wer von den Senatoren und Abgeordneten der Linken gehört noch zu den "Abweichlern"?

Mehrere Senatoren haben Kritik geäußert — mit Ausnahme von Fernando Rossi und mir haben jedoch alle für die außenpolitische Vorlage der Regierung gestimmt. Sie wurden damit erpresst, dass sie sonst für den Sturz der Regierung verantwortlich wären. Tatsächlich hat die Rechte in der Regierung ein ziemlich abgekartetes Spiel gespielt. Die Vorlage des Außenministers spricht sich offen für das atlantische Bündnis und für ein multilaterales Vorgehen im Nahen Osten und in Asien aus — im Rahmen der Verteidigung der Interessen der westlichen Mächte. Die Zustimmung dazu verpflichtete Rifondazione auf eine proimperialistische Linie, die sie immer bekämpft hat. Wer diese ablehnen wollte, beschwor eine Regierungskrise herauf — mit demselben Ergebnis der Marginalisierung der Linken. Wir wissen, dass die sozialliberalen Kräfte in der Regierung es darauf angelegt haben, den Konflikt zu suchen, um eine Rechtswende in der Regierungspolitik durchzusetzen und Rifondazione in der Regierung zu isolieren.
In der Kammer stimmten die Abgeordneten Salvatore Cannavò und Paolo Cacciari gegen den Afghanistanantrag sowie einer von der Lega. Zwei weitere von Rifondazione haben an der Abstimmung nicht teilgenommen.
Die Abstimmung im Senat wird wiederholt. Da will ich deutlich machen, dass die Regierung nicht bei allen Abstimmungen alle Stimmen aus dem eigenen Lager braucht, um ihre Vorhaben durchzubekommen. Wir haben ein Parlament, das in seiner überwältigenden Mehrheit den Krieg in Afghanistan unterstützt, während die große Mehrheit der Bevölkerung ihn ablehnt.

In Rifondazione scheint die Regierungskrise erhebliche Erschütterungen ausgelöst zu haben — auch über die Frage des Militäreinsätze in Afghanistan hinaus?

In der Partei ist die Stimmung weit verbreitet, dass man alles tun muss, um zu verhindern, dass Berlusconi wieder an die Regierung kommt. Die parteiinternen Kritiker der Regierungslinie werden mit diesem Argument erpresst, das bezieht sich nicht allein auf Afghanistan. Gleichzeitig habe ich Tausende von Zuschriften erhalten — einige sehr böse, aber überwiegend Solidaritätsadressen, die mich auffordern, im Kampf gegen den Krieg standhaft zu bleiben. Die meisten kommen aus der Partei, aus den sozialen Bewegungen, aus Betrieben und Gewerkschaften, von vielen Einzelpersonen. Sehr viele Zuschriften habe ich aus der riesigen, schon historisch zu nennenden Bewegung gegen die Hochgeschwindigkeitslinie durch Val di Susa und natürlich von den Aktiven gegen die Militärbasis in Vicenza erhalten. Sie alle sagen, endlich gibt es einen, der gemäß dem Verfassungsauftrag handelt und im Parlament dem Wählerwillen Geltung verschafft.
Ich habe zu meiner Verteidigung immer gesagt: Ich habe vielleicht nicht in Übereinstimmung mit dem Fraktionsbeschluss gehandelt, vielleicht auch nicht mit dem Beschluss des Parteivorstands, aber ich bin dem historischen Programm der PRC treu geblieben. Es sind andere, die sich davon entfernen.

Gibt es Mobilisierungen zur Unterstützung deiner Position, z.B. gegen einen zweiten Senatsbeschluss für den Militäreinsatz? Dieses ganze Unbehagen, das man in der öffentlichen Debatte erlebt, schlägt sich das in aktivem Protest nieder?

Was meine Person betrifft, gibt es zahlreiche öffentliche Veranstaltungen, die gut besucht sind und auf denen ich große Solidarität erfahre. Derzeit toure ich jeden Tag in einer anderen Stadt herum. In der Partei gibt es großes Unbehagen über meinen Parteiausschluss; ich kann das jetzt nicht in Zahlen ausdrücken, aber ich erfahre an diesem Punkt Unterstützung auch von Genossinnen und Genossen, die mein Abstimmungsverhalten nicht teilen.
Was die sozialen Mobilisierungen betrifft, muss man allerdings sagen, klafft noch eine große Schere zwischen einer verbreiteten aber diffusen Gegnerschaft gegen Kriegseinsätze und der Fähigkeit, diese in Aktionen zum Ausdruck zu bringen. Bedeutende Kräfte, die noch vor wenigen Jahren stark in der Bewegung engagiert waren und darin eine aktive Rolle gespielt haben — die Gewerkschaften, die Arci (ein landesweites Netz von Selbsthilfestrukturen), Rifondazione selbst — sind heute lahmgelegt, weil sie eine angeblich befreundete Regierung stützen müssen.
Unter diesem Gesichtspunkt war die Mobilisierung von Vicenza eine Wasserscheide. Denn hier ist ganz klar zutage getreten, dass die Regierung für Forderungen aus der Bewegung in keiner Weise durchlässig ist. Noch am Abend der Demonstration hat Prodi gesagt: "Das war eine schöne Demonstration, aber die Militärbasis wird trotzdem erweitert." Am nächsten Tag hat Wirtschaftsminister Paolo Schioppa noch eins draufgelegt und gesagt: "Wir bauen auch den Hochgeschwindigkeitszug".
Hier hat sich gezeigt, dass diese Regierung gar nicht daran denkt, mit den Bewegungen auch nur zu diskutieren. Der Alternativen Linken aber bot sich die Möglichkeit, das zu tun, was Rifondazione bisher immer für sich reklamiert hat: nämlich die Regierung mit den Forderungen der Bewegungen zu konfrontieren. Rifondazione hat das nicht vermocht; der einzige Kompromiss, den sie der Regierung abtrotzen konnte, war Vicenza bei der Parlamentsdebatte über die Außenpolitik auszuklammern. So wird es ihr auch bei den anderen umstrittenen Fragen gehen, die in den kommenden Wochen noch zum Vorschein kommen werden.

Bedeutet dieses Verhalten von Rifondazione — und ich sage mal, spiegelbildlich auch dein eigenes Verhalten — nicht, dass die Bedingungen dafür, dass Forderungen der Bewegungen in Politik umgesetzt werden, nicht gegeben sind? Anders gesagt: die Vorstellung, die sozialen Bewegungen könnten ein tatsächliches politisches Gewicht in den staatlichen Institutionen erlangen, verblasst doch immer mehr...

Das ist die Debatte, die jetzt läuft. Die Menschen fragen sich, warum die politischen Institutionen nicht mehr die Bedürfnisse der sozialen Bewegungen aufgreifen. Ich gebe darauf folgende Antwort: In der jetzigen Phase des Kapitalismus, die so stark von den Gesetzen der Konkurrenz und des freien Markts dominiert ist, in der die Massenparteien der Arbeiterbewegung wie auch die Gewerkschaften geschwächt sind und alles politische Leben in die Zwangsjacke eines Zweiparteiensystems gepresst wird, gibt es für die Bewegungen keinen politischen Raum. Früher in der Nachkriegszeit hat die Kombination aus sozialen Kämpfen, institutioneller politischer Verankerung der KP, Organisationskraft der Gewerkschaften und einer bürgerlichen Massenpartei wie die Christdemokratie es vor dem Hintergrund der damaligen wirtschaftlichen Lage möglich gemacht, dass Forderungen aus der Massenbewegung aufgegriffen werden konnten. Heute, in der Phase des Neoliberalismus, in der die Bourgeoisie nicht zufällig auf Herrschafts- und Ausbeutungsformen des 19.Jahrhunderts zurückgreift, will sie ein Parteiensystem nach amerikanischem Muster aufbauen, wo links und rechts, wenn sie sich abwechseln, sich nur noch in zweitrangigen Fragen unterscheiden und man deshalb den Massenbewegungen auch den Rücken kehren kann.
Der Fehler von Rifondazione war, sich auf dieses Spiel eingelassen zu haben. Von dem Moment an, wo die Partei in die Regierungskoalition eingetreten ist, hat sie sich in Abhängigkeit zu deren neoliberaler Linie begeben und ist nicht mehr in der Lage, Forderungen der Bewegungen, die im Gegensatz zu dieser Linie stehen, politisch zu unterstützen. Sie ist damit kein politischer Bezugspunkt mehr für sie, was sie bis vor kurzem noch war.

Das könnte sie aber doch nur in der Rolle der parlamentarischen Opposition, oder?

Es zeigt sich hier zum x-ten Mal: Man kann nicht gleichzeitig Partei der Regierung und Partei der Opposition sein. Rifondazione hat diese Erfahrung 1998 schon einmal gemacht. Damals ist sie aus der Regierung ausgetreten, heute begibt sie sich auf den Weg der Integration. Diese Entscheidung wird an der Partei nicht spurlos vorübergehen, sie verändert unter dem Einfluss der Regierung buchstäblich ihren Charakter.

Gibt es eine Kampagne für den Austritt der PRC aus der Regierung?

So läuft die Debatte derzeit nicht. Die Strömung Sinistra Critica fordert, dass nach den ersten zehn Monaten an der Regierung Bilanz gezogen wird: Was hat Rifondazione mit der Regierungsbeteiligung erreicht, was nicht? Schließlich sind die Ziele, die die Partei mit ihrer Regierungsbeteiligung verbunden hatte, samt und sonders gescheitert.
Die Sache ist aber die, dass sich die politische Situation völlig verändert hat, selbst im Vergleich zur Lage vor einem Jahr. Die Regierung ist sehr schnell dazu übergegangen, sich von der Linken abzusetzen. Die Demoralisierung darüber ist sehr groß. Da ist kein Platz für eine Diskussion, dass Rifondazione aus der Regierung austreten soll. Die Partei selbst hat sich stark verändert und ist zu einer gemäßigten Regierungspartei geworden. Linke bewegungsnahe Strömungen werden immer mehr an den Rand gedrängt — doch nicht das beherrscht die parteiinterne Debatte, sondern die Frage wie die Partei sich zum Prozess der Gründung der Demokratischen Partei* verhalten soll, und wie sie als Antwort darauf zusammen mit Linken aus den DS eine sozialistische Partei bilden kann.

Gibt es noch Platz für eine innerparteiliche Auseinandersetzung über diese Neuorientierung?

Die Mehrzahl der Mitglieder hat noch gar nicht verstanden, was da gespielt wird, oder tut wenigstens so. Die Parteiführung lässt darüber nichts verlauten. Die Partei zählt derzeit etwa 3000 Mitglieder, die alle auf irgendeiner Ebene ein Amt oder ein Mandat bekleiden, das ist eine Masse mit großem Beharrungsvermögen.
Sinistra Critica setzt den Kampf in Rifondazione fort, aber wir haben auch einen Verein gebildet, damit wir unabhängig öffentlich auftreten können und ein Auffangbecken für jene werden, die aus der Partei austreten. Wir wollen die Enttäuschungen und Verbitterungen umleiten in neue Energie für sozialen Widerstand. Dazu müssen wir etwas Ähnliches aufbauen wie das Sozialforum, ein Netzwerk, das all jene zusammenführt, die der herrschenden Politik etwas entgegensetzen wollen.

Ihr denkt nicht an eine neue Partei...

Im Moment nicht. Wir haben noch den Kampf in Rifondazione zu führen, das wäre verfrüht. Mit dem Verein Sinistra Critica haben wir ein Instrument, das für eine antikapitalistische Alternative steht. Wenn tatsächlich eine Demokratische Partei gegründet wird, wenn daneben eine linkssozialdemokratische Partei entsteht, dann gibt es auch Platz für eine starke antikapitalistische politische Kraft. Die müsste den Weg offen halten für das, was sich mal Kommunistische Neugründung genannt hat.

*Das Projekt einer neuen Einheitspartei aus DS, Margherita und anderen Parteien der aktuellen Regierungskoalition, jedoch ohne die ebenfalls an der Koalition beteiligten Parteien PRC, PdCI und Grüne.







Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang