SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 06

Rente mit 67

Kampf verloren — Wie geht es weiter?

Die gewerkschaftlichen Mobilisierungen gegen die Rente mit 67 waren ein voller Erfolg, auch wenn die Verabschiedung des Gesetzes nicht verhindert worden ist. So oder so ähnlich klingt die offizielle Bilanz in Funktionärsversammlungen und Gewerkschaftsmedien.
IG-Metall-Chef Jürgen Peters meinte gar, infolge der Aktionen Risse in der Phalanx der Befürworter feststellen zu können, weil einige SPD-Abgeordnete etwas von "Verlängerung der Altersteilzeit nach 2009" und einer "Revisionsklausel" gemurmelt haben sollen.
Zweifellos: Es ist ein positives Novum in der jüngeren Geschichte der Gewerkschaften, dass in den Betrieben zu politischen Aktionen während der Arbeitszeit aufgerufen wird. Und ein deutlicher Fortschritt gegenüber der bisherigen Linie, die sich mit dem Satz "Unsere schärfste Waffe — eine Unterschriftensammlung!" auf den Begriff bringen lässt.
Rund 200000 Beschäftigte haben sich an den Protestaktionen beteiligt, vor allem aus dem Organisationsbereich der IG Metall. Das ist nicht wenig, gemessen an der Tatsache, dass die Aktionen die ersten politischen Streiks waren, zu denen die Gewerkschaften seit Menschengedenken aufgerufen hatten. Gemessen an den Mitgliederzahlen war die Beteiligung jedoch eher bescheiden: Nicht einmal 10% der IG Metaller waren vor den Werkstoren oder auf der Strasse, von den Mitgliedern der anderen DGB-Gewerkschaften ganz zu schweigen.
Warum haben sich nicht mehr Beschäftigte und Gewerkschaftsmitglieder an den Aktionen beteiligt? An fehlender Zustimmung zu den Position der Gewerkschaft kann es nicht gelegen haben. Über 80% der Bevölkerung lehnen laut Umfragen die Lebensarbeitszeitverlängerung ab. Die politische Hegemonie war und ist in dieser Frage unübersehbar. Das hat aber offensichtlich nicht ausgereicht, um eine kämpferische Massenbewegung zu initiieren, die in der Lage gewesen wäre, die Regierung in die Knie zu zwingen.
In den Diskussionen mit Kollegen im Betrieb oder am Infostand auf der Straße zeigt sich schnell, was die wunden Punkte sind:
Da ist erstens das weit verbreitete Gefühl von Ohnmacht, der tief sitzende Zweifel, "ob die da oben nicht sowieso machen was sie wollen", egal ob man protestiert oder nicht. Das kann nur überwunden werden, wenn Proteste und Aktionen dies praktisch widerlegen, also Erfolgserlebnisse vermitteln. Und die waren doch seit langer Zeit ziemlich rar.
Zweitens gibt es große Zweifel daran, "wie ernst die Führungen der Gewerkschaften das wirklich meinen", anders gesagt: an deren Glaubwürdigkeit.
Der dritte wunde Punkt ergibt sich aus den beiden ersten: Das skeptische Argument vieler Kollegen, das sei alles "sowieso viel zu spät", zeigt dass sie einen durchaus guten Instinkt für die Beeinflussbarkeit politischer Prozesse haben. Beim heutigen Stand der Kräfteverhältnissen und dem niedrigen Radikalisierungsgrad sozialer Auseinandersetzungen ahnt jeder, wie illusionär es ist, ein Gesetzesvorhaben am Vorabend seiner Verabschiedung kippen zu wollen. Dass die Großdemonstrationen am 21.Oktober 2006 eben nicht Auftakt für eine sich steigernden Mobilisierungsphase waren, sondern zum wiederholten mal aufs Dampf ablassen nichts folgte, hatten die Kollegen ebenso registriert wie die Öffentlichkeit.

In die zweite Reihe gerutscht

Schon im Herbst 2006 wurde die Forderung nach Verlängerung der Altersteilzeit immer lauter, vor allem bei den Spitzen-Metallern mit SPD-Parteibuch — vom Vorstand über die Bezirksleiter bis zu den Betriebsratsvorsitzenden der Großbetriebe in der Automobilindustrie. Für sich genommen ist das ja keine falsche Forderung. Inzwischen steht die Frage der Altersteilzeit allerdings schon im Vordergrund, der Kampf gegen die Rente mit 67 in der zweiten Reihe. Das ist fatal. Erstens, weil die Fokussierung auf "Rente mit 67" eine betriebs-und branchenübergreifend wirken und die Kollegen zusammenführen kann. Zweitens, weil Altersteilzeitregelungen in vielen Betrieben und Branchen eben kein gangbarer Weg sind. Sie bieten keine Lösung gegen die Rentensenkungen, die mit der Rente mit 67 ins Haus stehen, weder für den Montagearbeiter bei Daimler noch für die Verkäuferin bei Aldi.
Und drittens droht die Diskussion über eine dringend nötige weitere Wochenarbeitszeitverkürzung unter die Räder zu kommen, wenn nach der Lohntarifrunde 2007 in der IG Metall das Projekt "Tarifliche Regelung von Ausstiegsmodellen" unter den Bedingungen der Rente mit 67 in Angriff genommen wird: Lang- und Lebensarbeitszeitkonten statt wochennaher Arbeitszeitverkürzung wurden dafür in den letzten Jahren von ihren Verfechtern schon kräftig in Stellung gebracht.
All das deutet darauf hin, dass es — zumindest bei der IG Metall — ein Arrangement zwischen Regierungs- und Gewerkschafts-Sozialdemokratie gibt: "Tausche Verlängerung der Altersteilzeitregelungen gegen Rücknahme der gesellschaftlichen Mobilisierung." Schon heute werden die BR-Spitzen der Autobetriebe nicht müde, auf derartige positive Signale aus der SPD hinzuweisen. Und für neuerliche Wahlempfehlungen der SPD als kleineres Übel könnte das dann auch allemal gut sein.
Die Linke in den Gewerkschaften muss dagegen den Kampf gegen die Rente mit 67 als ein Programm gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und gegen die Absenkung der Renten hoch halten. Eben weil es ein branchenübergreifendes Thema mit verbindendem Potential ist, und weil mit der Verabschiedung des Gesetzes nicht sofort wirkende Fakten geschaffen werden, die via "Gewöhnung" weitere Mobilisierung erschweren würden.
Bleibt noch zu hoffen und daran zu arbeiten, dass die anlaufende Metall-Tarifrunde unter den heutigen günstigen ökonomischen Bedingungen von der IG Metall konsequent genug genutzt wird, um mit Kampf eine Lohnerhöhung durchzusetzen, die in den Betrieben als Erfolg erlebt wird. Solche Erfolgserlebnisse sind notwendig, damit das Vertrauen in die eigene Kraft seinen heutigen Tiefpunkt überwindet und wieder zunimmt.

Tom Adler

Der Autor ist Betriebsrat bei DaimlerChrysler, Stuttgart Untertürkheim.



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