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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 08

Toulouse, Hamburg, Solidarität!

Ein Gespräch mit Airbus-Kollegen aus Frankreich und Deutschland

"Wo, wenn nicht bei diesem europäischen Vorzeigekonzern, soll grenzüberschreitende Arbeitnehmervertretung sonst funktionieren?", heißt es in einem aktuellen Kommentar der Süddeutschen Zeitung zum Konflikt bei Airbus. Gründe dafür gibt es ja jetzt gute und viele. Das Power8- Programm des Airbus-Managements zeigt in deutlicher Offenheit, wie der "europäische Vorzeigekonzern" seine Probleme lösen will: auf dem Rücken der Belegschaft. Doch wie steht es mit der so nötigen Fähigkeit, eine solche Lösung scheitern zu lassen?
Wir haben zwei Kollegen von Airbus Toulouse und eine Kollegin und einen Kollegen des Hamburger Werks gebeten, uns darüber Auskunft zu geben. Das Interview wurde nach dem europäischen Aktionstag gemacht.

EADS/Airbus hat die Schließung bzw. den Verkauf ganzer Werke angekündigt und will auf 10000 Arbeitsplätze verzichten. Die Wut der betroffenen Belegschaften in Frankreich wie in Deutschland ist groß. Kam die Ankündigung für euch überraschend?

Hamburg: Intern gab es auf Seiten des Arbeitgebers schon seit Monaten jede Menge Planspiele. Inoffiziell kannten wir (Betriebsrat und IGM) daher die verschiedensten Überlegungen. Für die Belegschaft kam es schon überraschend, denn keiner hat so recht geglaubt, dass diese ganze Palette von Verkauf und Arbeitsplatzabbau umgesetzt werden soll. Zumal es bisher immer noch wenig Konkretes gibt. An wen sollen die Standorte verkauft werden und zu welchen Bedingungen? Welche Arbeitsplätze sollen abgebaut werden? Wie soll die Arbeit dann organisiert werden? Eine weitere Leistungsverdichtung werden wir jedenfalls nicht akzeptieren.
Toulouse: In Toulouse herrscht keine Wut. Wut herrscht hingegen in einer Fabrik im Norden Frankreichs, in Méaulte. Die soll an einen Subunternehmer verkauft werden.
In Toulouse sagen sich die Kollegen: Im Moment wird es keine direkten Entlassungen geben, es sind vor allem die Beschäftigten der Subunternehmen, die "Power8" über sich ergehen lassen müssen.

Wie werden die Pläne offiziell begründet und wie beurteilt ihr diese Erklärungen?

Toulouse: Offiziell lautet die Begründung für den Plan "Power8", man will "Cash" machen, liquide sein. Man braucht 10 Milliarden Euro, um das künftige Airbus-Modell A350 entwickeln zu können. Das ist ein neues Flugzeug mit zusammengesetzten Materialien. Das Problem dabei ist, dass die Unternehmensleitung im November 2006 gesagt hat, die Kosten für die Entwicklung des A350 betragen 4,5 Milliarden Euro und heute sind es 10 Milliarden Euro! Das ist eine Verdopplung innerhalb von sechs Monaten! Wir sagen, die Unternehmensleitung lügt uns an, die Geschäftsbücher müssen offengelegt werden.
Hamburg: Nach jahrelangen enormen Gewinnen hat Airbus für 2006 ein negatives Ergebnis ausgewiesen. Grund dafür ist die Verzögerung beim A380 Programm. Daneben gibt es für zukünftige Programme, allen voran die A350 und die Entwicklung von neuen "kleinen" Flugzeugen, einen hohen Investitionsbedarf. Weiter wird die Dollarschwäche als Wettbewerbsnachteil zu Boeing angeführt. Das Hauptproblem ist also eine sich verschlechternde Cash- und Gewinnsituation.
Das Unternehmen hat sich in den letzten Jahren enorme Gewinne in die Tasche gesteckt, es ist nicht einzusehen, warum wir für die Verluste einstehen sollen. Ja, die Verzögerung beim A380 ist ein Problem. Aber mit den jetzt geplanten Maßnahmen werden die Ursachen, die zu der Verzögerung geführt haben, nicht beseitigt. Eine Verbesserung der Abläufe ist nötig, aber dazu wird das Erfahrungswissen der Kolleginnen und Kollegen gebraucht. Wir brauchen ein mit den Beschäftigten entwickeltes Zukunftskonzept.

Wie hat die Belegschaft auf die Angriffe reagiert? Gab es Arbeitsniederlegungen und wie lief das ab? Wer hat dazu aufgerufen?

Hamburg: In den Standorten Varel und Nordenham gab es spontan mehrere Tage lang Arbeitsniederlegungen. Die Kolleginnen und Kollegen sind empört, aber auch verzweifelt, dass ihre Standorte nach 50 Jahren Flugzeugbau an eine unsichere Zukunft verkauft werden sollen. Und das in einer Region, wo es außer Airbus nichts weiter gibt. Man hat noch den jahrelangen Widerstand Anfang der 90er Jahre gegen die Schließung von Olympus vor Augen. Deshalb hat es auch sofort eine breite Solidarität mit den Streikenden gegeben. Zum Aktionstag am 16.März kamen Verwandte, Bekannt und sogar ganze Schulklassen.
Toulouse: Zu Beginn ist es der Geschäftsleitung durch Propaganda gelungen, den Menschen einzureden, dass Airbus große Schwierigkeiten hat; das ändert sich aber. Die Arbeiter glauben immer mehr, dass sie uns anlügt. Die Arbeiter sehen sehr gut, dass Airbus viele Aufträge hat und dass EADS, das Mutterhaus, Profite ankündigt.
Es war die Gewerkschaft FO, die als erste für eine Arbeitsniederlegung plädiert hat, eine Stunde am 28.Februar. Danach gab es die Demonstration am 6.März in Toulouse 12000 Menschen. Ihre Parole war: "A320 nach Toulouse", eine nationalistische Losung. Strukturen für einen unabhängigen Kampf gibt es keine, ein solcher Kampf ist nicht vorhanden. Im Moment ist es die FO, die alles leitet. Die einzige spontane Aktion, die es gegeben hat, war in Méaulte, wo die Arbeiter drei Tage lang die Fabrik blockiert haben. Diese Aktion wurde jedoch von der FO in Toulouse unter den Teppich gekehrt.

Welche Rolle spielen die Gewerkschaften im Betrieb? Ist eine gewerkschaftliche Strategie erkennbar?
Toulouse: Die Gewerkschaften leiten und kontrollieren alles. Sie marschieren Hand in Hand mit der Geschäftsleitung. Am Anfang wollten sie die Einschnitte in die Beschäftigung, sie wollten eine "gleichmäßige" Aufteilung der Opfer zwischen Deutschland und Frankreich.

Gibt es Kommunikation und Kooperation zwischen den Belegschaften einzelner Airbus-Werke?

Hamburg: Auf deutscher Seite läuft die Zusammenarbeit über den Gesamtbetriebsrat und die IGM-Küste, bzw. die Vertrauensleute sehr gut. Unser Motto heißt ja auch: "Wird einer von uns angegriffen, werden alle angegriffen."

In der deutschen Presse heißt es, französische Gewerkschafter wollten die Verlagerung von Werksteilen nach Deutschland blockieren. Was hat es damit auf sich? Ist das Ausdruck einer nationalistischen Orientierung oder eher als wirksames Druckmittel gedacht?

Toulouse: Das ist wahr. Am Anfang war die FO gegen die Öffnung einer dritten Produktionseinheit für den A320 in Hamburg. Das ist eine nationalistische Reaktion. Es gab wohl einen Briefwechsel zwischen der FO und der IG Metall, aber im Moment bewegt sich die Gegenwehr gegen den "Power8"-Plan nicht wirklich auf der Höhe des Angriffs.

Gab es unterstützende Interventionen von Seiten der Politik und was spielt das für eine Rolle?

Hamburg: Bisher haben die Betriebsräte die Unterstützung der Politik eingefordert, und zwar für den Erhalt der Standorte und der Arbeitsplätze. Da in Frankreich der Airbus als nationales Projekt bzw. als französisches Produkt gesehen wird, ist es schon wichtig, dass wir auch hier von der Politik unterstützt werden. Nicht so begeistert waren wir von den nationalistischen Tönen, die besonders der Hamburger Wirtschaftssenator Uldall angeschlagen hat. Ebenso waren alle entsetzt, als der neue Koordinator für Luft- und Raumfahrt nach der Veröffentlichung des Power8- Konzeptes meinte, das wäre ja ein ausgewogenes Programm, da sollte sich die Politik nicht weiter einmischen.

EADS ist einer der wenigen Konzerne mit multinationalem Management und einer wenig hierarchischen Arbeitsteilung zwischen den nationalen Belegschaften. Sind das nicht gute Voraussetzungen für einen europäischen Arbeitskampf? Wo liegen die Hindernisse für eine Europäisierung der gewerkschaftlichen Gegenwehr?

Toulouse: Objektiv gesehen sind alle Bedingungen für eine europäische Gegenwehr vorhanden, aber das größte Hindernis sind immer noch die Gewerkschaften. Jeden Tag werden in den Produktionsstätten in Toulouse rund zwei Flugzeuge hergestellt, das sind etwa 100 Millionen Euro. Das wäre eine wirkliche Waffe, die wir in unseren Händen halten, aber die Gewerkschaften gebären sich viel zu "verantwortlich", sie wollen sie nicht einsetzen.
Hamburg: Im Prinzip, ja. Die gegenwärtigen Planungen von EADS werden als Schlag ins Gesicht aller Beschäftigten verstanden. Dennoch hat der Integrationsprozess zwischen den Belegschaften auf europäischer Ebene noch nicht stattgefunden. Es fehlen zu viele persönliche Kontakte und die Gefahr einer "nationalen" Schiene ist nach wie vor vorhanden. Es ist die Frage, ob ein längerfristiger Arbeitskampf möglich sein wird, der ausschließlich von den Funktionärsgremien geplant und durchgesetzt wird.
Der Konsens müsste nicht nur lauten: Bremen und Hamburg lassen Nordenham, Varel und Laupheim nicht fallen, er müsste weiter gehen: Wir lassen die Kollegen in Méaulte, St.Nazaire usw. nicht im Stich.
Wir denken, ein internationaler Arbeitskampf lebt vor allem von der Erfahrung derselben Betroffenheit. Dazu müssen sich die Kollegen länderübergreifend austauschen und bei Aktionen der jeweils anderen anwesend sein.
Es geht also jetzt darum, einen sozialen Prozess nachzuholen, um diese Perspektive einer gemeinsamen Aktion und vielleicht auch eines längeren Kampfes zu entwickeln.

Am 16.3. war europäischer Aktionstag. Was waren die Ergebnisse aus eurer Sicht und wie soll es weitergehen?

Toulouse: Der europäische Aktionstag war ein richtiger Erfolg und markiert zudem eine kleine "Wende". In Toulouse waren 7000 Menschen auf den Beinen. Der Ton der Demonstration richtete sich entschieden gegen die Aktionäre. Die Atmosphäre war dynamisch und es waren auch Arbeiter aus England, Spanien und Frankreich da. Die deutschen Arbeiter riefen: "Toulouse, Hamburg, Solidarität!" Das war keine Demonstration mehr wie noch die vom 6.März. Man muss trotzdem anmerken, dass die Gewerkschaften diese Demonstration zwei Stunden nach Arbeitsschluss durchgeführt haben.
Hamburg: Der 16.3. war ein guter Auftakt — hier in Hamburg haben sich über 20000 Menschen aus dem norddeutschen Raum beteiligt, aber gerade die europäische Zusammenarbeit muss noch erheblich verbessert werden. Es wäre ein gutes Signal bewesen, wenn in Hamburg auch ein Gewerkschafter aus Frankreich gesprochen hätte und umgekehrt. Es war jedoch schon ein Erfolg, dass in Toulouse unsere deutschen Kollegen (etwa 1000 erledigen dort zur Zeit Restarbeiten am deutschen Bauanteil) zum ersten Mal gemeinsam mit ihren französischen Kollegen demonstriert haben.
Jetzt wird es Verhandlungen zwischen dem europäischen Betriebsrat und dem Management geben. Die IGM ist dabei, ein Gegenkonzept zu entwickeln. Erst wenn konkrete Maßnahmen auf dem Tisch liegen, werden weitere Arbeitskampfschritte geplant.

Vor 30 Jahren gab es mit den Arbeitskreisen über "Alternative Produktion" eine Debatte um Rüstungskonversion und Produktdiversifizierung. Spielen diese Fragen gerade auch angesichts der Klimakatastrophe heute in den Betrieben eine Rolle?

Toulouse: Ich weiß nichts über die Ereignisse in England, auf die du Bezug nimmst. In Frankreich kämpfen wir für die Wiederverstaatlichung von Airbus unter der Leitung der Angestellten und ohne Entschädigung der Aktionäre, die sich auf unserem Rücken bereichert haben. Airbus wurde 1998/99 von der "linken" Regierung Jospin (PS) privatisiert. Die Kandidatin der PS, Segolène Royal, hat sich jetzt dafür ausgesprochen, dass die gewählten Regionalräte Kapital in Airbus schießen, ein bisschen wie es die deutschen Bundesländer tun wollen. Das bedeutet aber nichts anderes als dass private Aktionäre mit öffentlichen Geldern finanziert werden.
In Frankreich versuchen wir, Forderungen populär zu machen wie: Verbot der Entlassungen; Einstellung der öffentlichen Subventionen, Öffnung der Bücher, Wiederverstaatlichung von Airbus unter der Kontrolle der Angestellten und der Bevölkerung.
Hamburg: Nein, die Arbeitskreise haben sich in den vergangenen Jahren stark auf Internetveröffentlichungen und persönliche Kontakte innerhalb der IGM reduziert. Wir glauben aber, dass es hierzu einen neuen Anlauf geben muss. Viele Kollegen, auch unpolitisierte, fragen sich wie es politisch, gesellschaftlich unter einer "Klimakatastrophe" weitergehen mag. Und diese Menschheitsfragen sind auch immer politische Fragen. Da sollten wir anknüpfen. Wir müssen uns als politische Aktive auch selber fragen, ob der Rahmen, in dem wir agieren (IG Metall, betriebliche Organisierung usw.) noch stimmt.

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