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Ungeachtet konjunktureller Auf- und Abschwünge war die
Luftfahrtindustrie bislang eine Wachstumsbranche. Beherrscht wird der Markt von Airbus und Boeing, da sich
der russische Flugzeughersteller Tupolev nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht als Global Player
etablieren konnte und entsprechende chinesische Pläne noch in den Kinderschuhen stecken.
Die hohen Produktions- und Absatzzahlen,
die das seit fast drei Jahrzehnten anhaltende Wachstum der Luftfahrtindustrie mit sich gebracht hat,
sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Branche in äußerst "dünner
Luft" operiert. Zwar hat die große Zahl neuer Fluglinien erheblich zum Umsatzwachstum der
Flugzeugbauer beigetragen, damit aber auch zu großen Risiken geführt. Um in Märkte
einzudringen, die über lange Zeit von einer überschaubaren Zahl von, oftmals staatlichen,
Fluglinien beherrscht wurden, verfolgen die Newcomer einen extremen Niedrigpreiswettbewerb, der sich hart
am Rande bzw. sogar unterhalb der Kostendeckung bewegt.
Diese Strategie ist mit enormen
finanziellen Risiken verbunden. Darüber hinaus macht sie Menschen zu Flugreisenden, die, wenn sie
kostendeckende Preise bezahlen müssten, entweder auf andere Verkehrsmittel umsteigen oder viele Reisen
gar nicht erst antreten würden.
Somit ist nicht nur die zukünftige Zahlungsfähigkeit der Billigflieger, sondern auch deren
Auftragsvolumen unsicher. Gleiches gilt für die etablierten Fluggesellschaften, die nach Jahrzehnten
monopolistischer Marktaufteilung zu einem für sie ungewohnten Preiswettbewerb gezwungen wurden und
dabei mitunter riesige Schuldenberge aufgetürmt haben, die zu einer Reihe von Beinahepleiten
(Alitalia), Zusammenbrüchen (Swiss Air), Übernahmen (TWA- durch American Airlines) und Bildung
von kartellähnlichen Zusammenschlüssen (Star Alliance, Sky Team) geführt haben.
Hinzu kommt, dass die weitere Entwicklung
der Luftfahrtindustrie, unabhängig von der verschärften Konkurrenz der Fluglinien, angesichts
langfristig steigender und kurzfristig stark schwankender Ölpreise unsicher geworden ist. Die
Unternehmensplanungen von Fluglinien und Flugzeugbauern beruhen auf einer weiteren Expansion der Branche.
Diese ist keinesfalls gesichert, weil Preissteigerungen aufgrund höherer Energiekosten durchaus zu
sinkenden Passagier- und Frachtzahlen führen können.
Den Unsicherheiten zukünftiger
Absatzentwicklung stehen riesige und insbesondere auch langfristig wirkende Entwicklungskosten auf der
Angebotsseite entgegen. So wird die Entscheidung, die Frachtversion des A380 auf absehbare Zeit nicht in
Serie zu produzieren, Airbus noch auf lange Zeit finanziell belasten. Hätten die gesamten
Entwicklungskosten auf Passagier- und Frachtversion sowie auf eine insgesamt größere Zahl von
Maschinen umgelegt werden können, wäre eine Deckung der Entwicklungskosten möglich gewesen.
Nunmehr ist sie höchst unwahrscheinlich, stattdessen wird ein Rückgriff auf andere konzerninterne
Finanzmittel oder die Mobilisierung von Staatshilfe erforderlich sein.
Wirtschaftlich befinden sich Boeing und
Airbus in einer Situation, in der sie um ein gegenwärtig hohes Auftragsvolumen konkurrieren, sich aber
zugleich auf mögliche Auftragsrückgänge bzw. die Zahlungsunfähigkeit einzelner Kunden
einstellen müssen. Dabei sind die Produktionsbedingungen nicht nur durch sehr hohe Entwicklungskosten,
sondern auch durch sehr kapitalintensive Produktionsmethoden geprägt.
Der Gegensatz zwischen möglicherweise
stark schwankender Nachfrage und hohem Fixkostenanteil kann durch die Auslagerung von
Produktionsabschnitten, die Boeing bereits in großem Umfang vollzogen hat und die Airbus nunmehr
vornehmen will, zwar nicht gelöst, die entsprechenden Risiken aber auf Zulieferfirmen und die dort
beschäftigten Arbeiter abgewälzt werden.
Ein Blick auf die Geschichte der Luftfahrtindustrie scheint eindrucksvoll zu bestätigen, dass
kapitalistische Konkurrenz sich insbesondere als Verdrängungswettbewerb vollzieht, an dessen Ende nur
eine Handvoll marktbeherrschender Konzerne übrig bleiben. Aber dies ist nur die halbe Wahrheit.
Mindestens ebenso wichtig wie die unsichtbare Hand des Marktes ist die ebenso unsichtbare, weil zumeist
hinter verschlossenen Türen erfolgende Diplomatie von Staatsoberhäuptern und ihrer Entourage.
Airbus wurde auf Betreiben
europäischer Politiker gegründet, die sich der Ende der 60er Jahre viel diskutierten
"Amerikanischen Herausforderung" stellen wollten. Die Unternehmensorganisation der beiden
Konkurrenten unterscheidet sich. Airbus ist zum Zweck der Entwicklung und des Baus ziviler
Passagierflugzeuge gegründet worden und hat erst 1999 eine eigene, allerdings sehr kleine
Militärsparte aufgebaut. Fast alle der knapp 50000 Airbus-Beschäftigten sind demnach im zivilen
Flugzeugbau tätig. Boeing beschäftigt in diesem Bereich etwa 56000 Arbeiter, hat aber eine
Gesamtbeschäftigtenzahl von über 150000.
Mit dem Bau von Militärhubschraubern,
Raketen, Bombern und Kampfjets durch die Sparte Boeing Integrated Defense Systems ist der Konzern eine der
tragenden Säulen des militärisch-industriellen Komplexes in den USA. Trotzdem wäre es falsch
Airbus aufgrund seiner gegenüber Boeing recht unbedeutenden Militärsparte als rein ziviles
Unternehmen anzusehen, da Airbus 2000 in den damals gegründeten EADS-Konzern eingegliedert wurde,
dessen Hauptaktivitäten im Rüstungsbereich liegen. Mit der Eingliederung des zivilen Flugzeugbaus
in einen Rüstungskonzern wird genau die gleiche Doppelnutzung von Technologien im militärischen
und im zivilen Bereich angestrebt, die Boeing aufgrund seiner gleichzeitigen Entwicklung als ziviler
Flugzeugbauer und als Rüstungsbetrieb schon lange möglich ist.
Die Eingliederung von Airbus in den EADS-
Konzern sollte allerdings nicht als gezielter Beitrag zur Herausbildung eines euroimperialistischen
Projektes angesehen werden, das die wirtschaftliche und industriepolitische Konkurrenz zwischen Boeing und
Airbus auf die Ebene imperialer Rivalität hebt. Einer solchen Entwicklung stehen gegenwärtig die
Legitimationsdefizite der EU im Innern sowie ihre Zerstrittenheit in außenpolitischen Fragen,
insbesondere auch im Verhältnis zu den USA, entgegen.
Schwierigkeiten, eine einheitliche
europäische Linie zu finden, haben allerdings nicht nur die Regierungen der EU-Staaten, sondern
gegenwärtig auch die Gewerkschaften. In den abgestimmten Gewerkschaftsaktionen in Großbritannien,
Deutschland, Frankreich und Spanien wurde deutlich spürbar, dass sich viele
Gewerkschaftsfunkionäre und -mitglieder eine Zusammenarbeit mit ihrer jeweiligen Regierung vorstellen
können, um den auf sie entfallenden Teil der Anpassungslasten zu verringern.
Gleichzeitig sind Regierungsvertreter
angesichts der angesprochenen Legitimationsdefizite, die sie sich bei der Verfolgung des neoliberalen EU-
Projekts eingehandelt haben, darauf erpicht, sich als Wahrer nationaler Beschäftigungsinteressen zu
präsentieren. Es ist den um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Airbus-Beschäftigten sehr zu
wünschen, dass sie zu einer länderüberschreitenden Zusammenarbeit finden, die den
Regierungen gegenwärtig nicht möglich ist.
Ingo Schmidt
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