SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 11

Alte Erfahrungen und neue Kämpfe

Ein Sozialismus für das 21.Jahrhundert

Der Kapitalismus bietet keine lebenswerte Perspektive. Im Grunde wird das heute in jedem Schulbuch eingeräumt. Die bürgerlich-patriarchalische Klassengesellschaft, die Produktion für Profit, das System der verallgemeinerten Konkurrenz, die Bestie mit den vielen Namen, sie lebt nur noch von TINA, von der Behauptung: "There is no alternative — es gibt keine Alternative".
"Sozialismus des 21.Jahrhunderts" bezeichnet den Versuch, die Glaubwürdigkeitskrise der sozialistischen Alternative zu überwinden. Die Mängel des "Sozialismus des 20.Jahrhunderts" sind die erste Ursache dieser Krise.
Es gab im vorigen Jahrhundert sozialistisch geführte Massengewerkschaften und Genossenschaften, große sozialdemokratische und später auch kommunistische Massenparteien, die viel erkämpften. Es gab sogar eine ganze Reihe von Ländern, in denen die kapitalistische Marktwirtschaft abgeschafft war, in denen weder große Produktionsmittel noch Arbeitskräfte "frei" gehandelt werden konnten.
Die große Mehrheit der Menschen in diesen Organisationen und Staaten blieben jedoch Objekte der Entscheidungen anderer, Untertanen von Führungen und Apparaten, Spielbälle von Partei- und Staatsräson. Das alles war weit entfernt vom ursprünglichen marxistischen, sozialistischen, kommunistischen Vorhaben, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", wie Marx gesagt hat und wie es auch das Motto dieser Konferenz ist.
Die neue Erfahrung der bolivarianischen Revolution in Venezuela bringt nicht nur deshalb neue Luft zum Atmen, weil Hugo Chávez dem mächtigen US-Imperium die Stirn bietet. Ihre Anziehungskraft rührt daher, dass hier den Besitzlosen und den Ärmsten der Armen bedeutende materielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit sie Versorgung und Infrastruktur, Gesundheitsdienste und Medien selbst organisieren. Sie tun dies mit beeindruckendem Erfolg. Darüber hinaus werden Belegschaften ermutigt, in den Betrieben die Kontrolle über Entscheidungen und Vorgänge auszuüben, die ihre Arbeits- und Lebensbedingungen betreffen.
Noch ist nichts entschieden in Venezuela, noch ist die Macht der herrschenden Klasse dort nicht gebrochen. Doch an der Idee der Selbstorganisation von unten gilt es anzuknüpfen. Wenn viele Menschen gemeinsam die Fremdbestimmung durchbrechen, entsteht Gegenmacht und letztlich eine zum bürgerlichen Staat alternative Macht, die den Keim des Absterbens der Herrschaft von Menschen über Menschen in sich trägt.
So charakterisierten Marx und Engels die Pariser Kommune von 1871, und das ist mit sozialistischer Rätedemokratie gemeint. Auch Rosa Luxemburg verstand unter der "Diktatur des Proletariats" die sozialistische Demokratie. Später wurde der Marxismus zur Rechtfertigungslehre herrschender Partei- und Staatsapparate umgemodelt. Nichts hat ihm mehr geschadet. Die Herrschaft der assoziierten Produzenten und Produzentinnen sollte laut Marx freie Individuen hervorbringen, die ihre gesellschaftlichen Angelegenheiten gemeinschaftlich regeln und ihre Fähigkeiten frei entfalten. Das Ziel muss auch die Mittel regieren, mit denen es erkämpft wird.
Heute gilt es die Mobilisierung, Eigenaktivität und Selbstorganisation der für ihre Rechte und Interessen kämpfenden Beschäftigten und Ausgegrenzten systematisch zu fördern. Morgen muss die sozialistische Revolution für die große Mehrheit der Menschen nicht weniger, sondern tausendmal mehr demokratische Rechte und Freiheiten schaffen, als es die demokratischste der bürgerlichen Republiken je kann.
Sie muss die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse jenseits von Markt und Existenzkampf garantieren und die Arbeitszeit, die aufgewendet wird, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, radikal verkürzen. Alle Menschen müssen die materielle Möglichkeit erhalten, einen Teil der ihnen verbleibenden Arbeitszeit der Selbstverwaltung im Betrieb und im Gemeinwesen zu widmen. Alle müssen an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben können.
Einige bürgerliche Kommentatoren sprechen heute von "Revolution", nämlich von der notwendigen Klimarevolution. Sie bleiben dabei dem Waren- und Geldfetischismus verhaftet. Wie viel kann man mit dem ökologischen Kapitalismus verdienen? Wieviel Ökosteuer wird der zahlen müssen, der unsere natürlichen Lebensgrundlagen zugrunde richtet?
Schon Marx wusste, dass die kapitalistische Produktionsweise die Produktivkräfte nur entwickelt, indem sie zugleich die Erde und die arbeitenden Menschen ruiniert. Die Erde aber kann nur menschenwürdig erhalten und gestaltet werden durch die assoziierten Produzenten und Produzentinnen selbst, denen es nicht um Profit und Niedermachen von Konkurrenten geht, sondern um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse in einer wohnlichen Welt.
Niemand weiß, ob das 21.Jahrhundert den Durchbruch zu einer menschlichen, solidarischen, sozialistischen Welt bringen wird. Die Suche nach Wegen zum Ziel und nach der Ausgestaltung des Ziels ist nicht abgeschlossen. Neue Generationen werden sie fortsetzen. Doch gibt es auch Gewissheiten:
Die Alternative zu einer sozialistischen Perspektive ist der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaften und elementarer zivilisatorischer Fundamente des menschlichen Zusammenlebens.
Eine sozialistische Gesellschaft kann nicht mit einem Einparteiensystem oder mit der gesetzlich verbrieften Führungsrolle einer Partei aufgebaut werden.
Sozialistische Demokratie bedeutet nicht nur Selbstverwaltung der Betriebe, sondern auch die tätige Mitwirkung der Bevölkerungsmehrheit an den Entscheidung über die großen Richtungsfragen der Politik, einschließlich der Wirtschaftspolitik.

Manuel Kellner

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