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Seit der Verkündung der Agenda 2010 durch den damaligen Bundeskanzler
und SPD-Vorsitzenden Gerhard Schröder im Frühjahr 2003 ist eine Neuformierung der deutschen
Linken im Gange. Es gibt aber keine Kritik an der Selbstbeschränkung der deutschen
Nachkriegssozialdemokratie und der Gewerkschaften auf Reformen im Rahmen des Kapitalismus. Im Gegenteil.
Oskar Lafontaine hat die keynesianische Warnung vor einer gefährlichen Nachfragelücke, die
größeren Wohlstand und Beschäftigung verhindere, geradezu zu einem Erkennungszeichen der
neuen Linksfraktion im Bundestag gemacht.
Das Argument ist populär. Das
Alltagsbewusstsein hält eine "Produktion um der Produktion willen" für widersinnig. Man
zitiert gerne Henry Ford: "Autos kaufen keine Autos." Zu geringe Löhne und Gehälter
erscheinen als ein Missverständnis, das nur auf die Kurzsichtigkeit und betriebswirtschaftliche
Borniertheit der Unternehmer zurückzuführen ist. Tatsächlich sprechen sich die Keynesianer
aller Richtungen keinesfalls für unkontrolliertes Wachstum der Arbeitseinkommen aus. Ihre Theorien
weisen nicht dem Konsum der Beschäftigten und des Staates, sondern den Investitionen die entscheidende
Rolle für die Entwicklung der effektiven Nachfrage zu.
Ihre Frage ist: Was bestimmt die
Investitionen? Die traditionelle Antwort von Joan Robinson und Luigi Pasinetti verknüpfte unmittelbar
Wachstums- und Profitrate. Bei hohen Investitionen waren auch die Profite hoch, in ihrem Modell waren die
Kapitalisten an Stagnation und Wachstum immer selbst schuld, der Konsum war nur eine abhängige
Variable. Für die Aufschwungphase des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg war dies ein mehr als
plausibler Zusammenhang.
Erst nach den ersten Erfahrungen der langen
Akkumulationskrise der 70er Jahre kamen neue Modelle auf, die der Konsumnachfrage eine eigenständige
Bedeutung bei langfristiger Auslastung des Kapitals einräumten. Dabei könnten durchaus
höhere Löhne langfristig mit höheren Profiten einhergehen, das Alltagsbewusstsein habe
Recht. Der Klassenantagonismus der klassischen und marxschen politischen Ökonomie schien
wachstumstheoretisch aufgehoben zu sein.
Diese Position wie sie vielen
Beiträgen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-
Böckler-Stiftung zugrunde liegt und von großen Teilen der Memorandum-Gruppe geteilt wird
bezieht ihren politischen Charme daraus, dass sie eine Lösung ökonomischer Widersprüche in
der Besserstellung der arbeitenden Klasse sieht. Ein nachhaltiger Erfolg einer kapitalfreundlichen, sog.
angebotsorientierten Politik wird aus rein theoretischen Gründen für unmöglich erklärt.
Die wirtschaftspolitische Doktrin der neuen Linkspartei lag vor, ehe die Parteigründung geplant war.
Leider reagiert die Neuformierung der
deutschen Linken auf eine kapitalistische Entwicklung, die mit diesem harmonischen Bild nicht viel zu tun
hat. Vielmehr verflüchtigte sich seit den 80er Jahren selbst der alte Zusammenhang von Profiten und
Akkumulation. War die Krise Ende der 70er Jahre noch mit einem Rückgang der Profitrate zu
erklären, so ging die Wiederherstellung einer höheren Profitrate nicht mit einer Rückkehr zu
mehr Investitionen einher. Ein jüngste Studie von Till van Treeck sieht darin den Einfluss der
geänderten Finanzstrukturen: die Shareholder verprassen ihren Value, statt ihn zu investieren. Zuviel,
statt zu wenig Konsum lautet damit das vorläufig letzte Wort aus der keynesianischen Richtung zu den
Wachstumsschwierigkeiten des Kapitals in den Metropolen.
Marxisten sollten die Schwierigkeiten der
keynesianischen Kollegen kennen, müssen sie aber nicht teilen. Vor Jahren bereits hat Anwar Shaikh
eine reproduktionstheoretische Synthese der Wachstumstheorie vorgelegt. Er geht nicht von fragwürdigen
Annahmen über das Investitionsverhalten der Kapitalisten, sondern von den Bilanzbeziehungen einer
Volkswirtschaft aus, von der Veränderung des Produktionspotenzials durch Investitionen in Fixkapital
und die Steuerung der Auslastung durch Investitionen in zirkulierendes Kapital. Denn, wie schon die antiken
Philosophen wussten: "Keinesfalls können die Götter aus Nichts irgend etwas erschaffen"
(Lukrez) und was die Götter nicht können, funktioniert auch im real existierenden
Kapitalismus nicht. Deshalb setzt der Konflikt um den Mehrwert nicht erst bei der Verteilung auf dem Markt
ein. Jamee K. Moudud hat weiterführend Shaikhs Ergebnisse in eine Darstellung der Kreditbeziehungen
und Zahlungsströme einer modernen kapitalistischen Ökonomie eingebettet.
Was sich nun leisten ließe, ist eine
Kritik der effektiven Nachfrage, eine Analyse der ökonomischen Klassenkämpfe. Doch seit fast
dreißig Jahren ist keine Arbeit von Anwar Shaikh mehr auf deutsch veröffentlicht worden. Die
Marxisten hierzulande haben mit Wirtschaftswissenschaft zumeist nichts am Hut die
Wirtschaftswissenschaftler nichts mit Marxismus. Auch deshalb geht die neue Linkspartei mit Doktrinen an
den Start, die den aktuellen gesellschaftlichen Konflikten nicht einmal theoretisch gewachsen sind.
Sebastian Gerhardt
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
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