SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 15

1.Weltforum zur Ernährungssouveränität

Gute Produkte, sinnvolle Beschäftigung

In Mali tagte vom 23. bis 27.Februar das erste Weltforum für Ernährungssouveränität.
Was bedeutet Ernährungssouveränität? "Für uns ist es das Recht, das absolute Recht, unsere Agrarfrüchte auf unserem eigenen Land zu produzieren, in unserer eigenen Region, mit ökologischen Mitteln. Von unseren Regierungen verlangen wir, dieses System der Agrarproduktion zu unterstützen, politisch und mit finanziellen Mitteln", sagt der indische Agraraktivist Peryapatna Satheesh, einer der Initiatoren des ersten internationalen Forums zur Ernährungssouveränität, das im Februar in Sélingué stattfand, einem Dorf 150 Kilometer entfernt von Malis Hauptstadt Bamako.
Mehr als 500 Vertreter von Kleinbauern- und Fischerorganisationen aus fünf Kontinenten waren in die abgelegene Region gereist. Die Organisatoren, darunter Via Campesina, das internationale Netzwerk der Kleinbauernorganisationen, und Friends of the Earth, die Dachorganisation der deutschen Umweltschutzorganisation BUND, betrachten Ernährungssouveränität als Gegenkonzept zum globalisierten Handel und zur industriellen Herstellung von Agrarprodukten.
Der Begriff Ernährungssouveränität stammt vom Welternährungsgipfel 1996. Seitdem orientieren sich viele Kleinbauernorganisationen, soziale Bewegungen, biologische Landwirtschaftsprojekte und NGOs daran, die Bewegung ging aus dem Widerstand gegen das neoliberale Agrarmodell und praktischen Alternativen hervor.
"Wir sind willens und in der Lage, die Bevölkerung der Welt zu ernähren, aber unsere viele Generationen alten Fähigkeiten, gute, gesunde und reichhaltige Lebensmittel zu produzieren, sind bedroht und werden ausgehöhlt — durch Neoliberalismus und die kapitalistische Globalisierung", heißt es in der Abschlusserklärung von Mali. Die derzeitige Weltagrarordnung bezeichnen sie als "Neokolonialismus".
Ernährungssouveränität setzt auf Selbstbestimmung. Das meint das Recht der Regionen, Nationen und Völker der Welt, die einheimische landwirtschaftliche Produktion und den Handel mit Agrarprodukten zu schützen und zu regulieren.
Die Verfechter dieses Ansatzes sehen ihre Märkte durch Billigimporte zerstört, sehen wie ihnen die Privatisierung von Ressourcen buchstäblich das Wasser abgräbt, und machen die bittere Erfahrung, dass sie wegen internationaler Patentrechtsabkommen nicht mehr ihr eigenes Saatgut verwenden dürfen, während Biotechnologiekonzerne immer wieder neue Patente auf die Pflanzen anmelden, deren genetischer Code dann sprichwörtlich in das "Eigentum" dieser Konzerne übergeht.
Die meisten Regierungen und multilateralen Institutionen folgen seit einem Vierteljahrhundert einer einseitig an den Interessen der Agrarindustrie orientierten Politik: Kurzfristig wird die Produktion durch den Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut, Kunstdünger und Pestiziden gesteigert. Dabei verlieren aber Millionen Bauern ihre Existenz, in die Slums der Megacities getrieben, ganze Landstriche veröden durch Monokulturen und die Umwelt wird massiv geschädigt. Diese Kosten tragen nicht die Agrargiganten, sondern die Allgemeinheit.

Widersinnige Armutsbekämpfung

Die Agrarindustrie will die von ihr verursachte Armut mit dem Export ihrer horch subventionierten Agrarprodukte aus dem Norden verringern. Das verringert weder den Hunger noch hilft es den Kleinbauern. Organisationen wie die Weltbank, der IWF und die WTO zwingen die südlichen Länder dazu, ihre Märkte zu öffnen. Ein rapider Preisverfall ist die Folge, die Bauern müssen ihre Landwirtschaft aufgeben. Obwohl weltweit mehr Lebensmittel als nötig produziert werden, steigt die Zahl der Hungernden nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO.
2006 lebten weltweit erstmals mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land — also über 3 Milliarden. Könnte eine Landwirtschaft, die ohne Pestizide, Kunstdünger und Gentechnik auskommt, alle diese Menschen ernähren? "Die Flucht vieler Landbewohner in die Städte hat der bäuerlichen Landwirtschaft geschadet und Millionen von sozial benachteiligten Menschen hervorgebracht", sagt Peryapatna Satheesh. Es gehe darum, diese Entwicklung wieder umzukehren; die Menschen aus den Slums würden ein gutes und existenzsicherndes Leben auf dem Land dem Vegetieren in den Elendsquartieren vorziehen.
"Außerdem gibt es mehr und mehr Belege, auch aus unserer eigenen Erfahrung, dass die Ernteerträge der traditionellen Landwirtschaft, die ohne Kunstdünger, Pestizide und Gentechnik auskommt, bis zu 40% über denen der sogenannten modernen Landwirtschaft liegen kann."
Das bestätigt auch eine langjährige wissenschaftliche Untersuchung der Universität Sussex in Brighton — sie kam schon 2003 zum Ergebnis, dass mit nachhaltiger Landwirtschaft die Ernährungsprobleme des Südens gelöst werden könnten. Häufige Fruchtfolgen könnten höhere Ernteerträge einfahren als die Monokulturen, die in der industriellen Landwirtschaft vorherrschen.
Ernährungssouveränität hätte viele Vorteile: Sie würde die Qualität der Lebensmittel erhöhen und den CO2- Ausstoß und damit die Klimaerwärmung verringern. Denn traditionelle Landwirtschaft benötigt viel weniger Energie, sie kommt ohne klimaschädlichen Kunstdünger aus, und die regionale Produktion würde die Transportkosten für Lkw, Schiffe und Flugzeuge erheblich senken.
Es ist kein Zufall, dass das erste Weltforum zur Ernährungssouveränität in Mali stattfand. Denn Mali ist das erste Land, dessen Regierung auf Druck von nationalen Bauernorganisationen die Ernährungssouveränität in ihr Programm aufgenommen hat. Ob sie tatsächlich die Interessen ihrer Bevölkerung, die zu 80% von der kleinbäuerlichen Landwirtschaft lebt, schützen kann, steht in den Sternen.
Die EU-Kommission drängt auf ein neues sog. "Partnerschaftsabkommen" mit 79 Drittweltländern. Mali ist eines davon. Das Abkommen würde weitere Privatisierungen im öffentlichen Sektor (z.B. Wasser- und Stromversorgung) einleiten, und die Importzölle weiter senken — auch für subventionierte Agrarprodukte aus der EU. Das würde die Ausgangsbedingungen erheblich erschweren, zukunftsweisende Konzepte wie das der Ernährungssouveränität umzusetzen.

Gerhard Klas

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