SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 20

Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext

Verlogene Moral kostet Leben

Weltweit stirbt alle sieben Minuten eine Frau an den Folgen eines illegalen oder medizinisch nicht korrekt durchgeführten Schwangerschaftsabbruchs. Diesen Frauen wurde der Zugang zu einer sicheren Abtreibung in einer Klinik verwehrt.
Ein jüngst erschienenes Buch* führt keine Diskussion über moralische Bedenken gegenüber Abtreibung, es plädiert vielmehr für die Wahlfreiheit für oder gegen ein Kind und die Anerkennung der reproduktiven Rechte von Frauen. Das schließt auch das Recht ein, sich in einer schwierigen Situation für ein Kind zu entscheiden. Es sind die realen Geschichten von betroffenen Frauen, die das Buch spannend machen und nachempfinden lassen, wie viel Nöte, Ängste und Erniedrigungen Frauen durch verlogene und wenig hilfreiche gesellschaftlich verordnete Moralvorstellungen ertragen müssen. Das gilt nicht nur für Afrika und Lateinamerika, auch im "aufgeklärten" Europa kämpfen die Frauen weiter um das Recht, über ihren eigenen Körper selbst zu bestimmen.
Ermutigend ist der Bericht aus Argentinien, wo ausgehend von einem konkreten, besonders skandalösen Fall eine außerparlamentarische Untersuchungskommission eingerichtet wurde (Rechtsanwälte und Menschenrechtler), die über einen längeren Zeitraum betroffenen Frauen ein Forum gaben, in Workshops und Rollenspielen über ihre negativen Erfahrungen, z.B. grausame und demütigende Behandlung durch das Klinikpersonal, im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen zu sprechen.
Die Zustände an den Krankenhäusern wurden zu einem öffentlichen Thema, was die Verantwortlichen nach anfänglichem Leugnen zu Eingeständnissen zwang, an deren Ende ein Umdenken aller Beteiligten einsetzte. Schließlich fanden die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur Eingang in die Ausbildung und Praxis der Beschäftigten an den Krankenhäusern, sondern auch in die Gesetzgebung zur Wahrung der Menschenrechte in Argentinien.
Die doppelbödige Moral radikaler Abtreibungsgegner kommt z.B. in den USA vor allem dort zum Ausdruck, wo die Kampagnen im Kontext rassistischer Bevölkerungspolitik betrieben werden und es in erster Linie um weiße US-amerikanische Identität geht. Aber auch in der BRD, wo den weißen deutschen Frauen die Verantwortung für die demografische Zukunft des Landes aufgebürdet wird, erleben wir, dass Kinder aus Migrantenfamilien vor allem als Problemfälle wahrgenommen werden. Die Intensität, die Abtreibungsgegner für das Austragen ungewollter Kinder aufbringen, steht im krassen Gegensatz zur Verantwortung, die sie den bereits geborenen Kindern entgegenbringen.
Es mangelt nicht nur in der Dritten Welt an einer systematischen Aufklärung und dem Zugang zu sicheren Verhütungsmethoden, das zeigt sich in Großbritannien, Polen und auch in den USA in einer wachsenden Zahl von Schwangerschaften bei Minderjährigen.
Wer Argumente für die Forderung nach einem verantwortlichen Umgang der Politik mit diesem Thema sucht, findet sie bspw. im Bericht zu Südafrika, wo die Liberalisierung der Abtreibungsgesetze dazu führte, dass sich die Todesrate bei Schwangerschaftsabbrüchen um 91% verringerte. Kanada muss hier als ein herausragendes Beispiel genannt werden, denn dort hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass es beim Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft ärztliche Behandlung notwendig und eine gesetzliche Einmischung unangebracht ist, das bestehende Abtreibungsgesetz wurde deshalb 1988 ersatzlos gestrichen.
Leider hat dieses Beispiel europaweit noch nicht Schule gemacht. Auch in der BRD ist der Schwangerschaftsabbruch immer noch rechtswidrig (wenn auch straffrei), die Zwangsberatung — sie gilt übrigens nur für die Frau — ist entwürdigend und wenig hilfreich. In Polen, Irland und Malta sind Schwangerschaftsabbrüche sogar bei Gefährdung der Gesundheit der schwangeren Frau, Vergewaltigung und Inzest illegal; in den Beitrittsverträgen zur EU wurden diese Gesetze durch Zusatzprotokolle noch bestätigt.
Die gesetzliche Situation in den einzelnen Ländern mit ihren jeweiligen Besonderheiten wird an Hand von persönlichen Erfahrungsberichten und in Interviews mit Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen ausführlich dargestellt. In Ländern wie Nigeria und Eritrea geht es zuerst einmal darum, dass sich Frauen ein eigenes Bild ihrer islamischen Religion machen können und nicht auf die Interpretation durch die Männer angewiesen sind. In Kamerun behindern die soziale Kontrolle der direkten Umgebung und die ablehnende Haltung der Kirche eine angemessene medizinische Betreuung und eine umfassende Sexualaufklärung junger Menschen.
Beklagt wird, dass weder in der Literatur noch im Film eine angemessene Behandlung das Thema Abtreibung aufgegriffen wird, auch in der Kunst setzt man sich nur ungenügend damit auseinander. Die wenigen Beispiele werden ausführlich dargestellt, sie enden mit einem Interview zu dem Dokumentarfilm My Foetus von Julia Black, der im britischen Fernsehen ausgestrahlt wurde und zu Debatten im Parlament und in der Öffentlichkeit führte.
Es gibt aber auch eine wirtschaftliche Seite, die im Buch ebenfalls angesprochen wird. Dazu gehören sowohl der umstrittene Handel mit embryonalen Stammzellen als auch das international lukrative Geschäft mit illegalen Abtreibungen. Solche Geschäfte gedeihen dort am besten, wo die Gesetze besonders repressiv sind.
Wer sich einen historischen Überblick über die Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs in Europa verschaffen will, wird ebenfalls fündig. Das Buch beschreibt die Abtreibungspraktiken afrikanischer Sklavinnen in der atlantischen Welt des 18.Jahrhundert beschrieben, die diese anwandten, um ihren Kindern ein Leben als Sklave zu ersparen.
Das Buch schließt mit sehr persönlichen Erfahrungen um Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch, die noch einmal die vielen Facetten um dieses Thema aus der Sicht der Frauen verdeutlichen.

Larissa Peiffer-Rüssmann

*Deproduktion Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext (Hg. Sarah Diehl), Aschaffenburg (Alibri) 2007, 256 S., 17 Euro.



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