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Mohssen Massarrat, Professor für Politikwissenschaft an der
Universität Osnabrück, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac und gelegentlich auch
Interviewpartner dieser Zeitung, hat sich in seinem neuesten Buch eine Reihe ausgesprochen anspruchsvoller
wissenschaftlicher und politischer Aufgaben gestellt.
Das Buch gliedert sich in zwei große
Teile. Der erste Teil widmet sich der Beschreibung und Analyse des weltpolitischen Istzustands,
insbesondere des US-amerikanischen Hegemonialsystems, sowie der laut Massarrat unzureichenden theoretischen
Aufarbeitung dieses Zustands durch die Linke. Diese habe sich in eine analytische und argumentative
Sackgasse begeben. Diese "Kapitalismusfalle" sei im Grunde zurückzuführen auf eine
ökonomistische Verengung kapitalismus- und imperialismuskritischer Analysen (Massarrat nennt hier
Mandel, Callinicos und Harvey), bei der letztlich alle (welt-)politischen Konflikte als Folge von
Kapitalverwertungsmechanismen und Klassenkonflikten gefasst würden. Als einziger Ausweg werde
entsprechend die unmittelbare sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft postuliert. Damit habe die Linke
eine unglaublich hohe Hürde aufgebaut, was letztlich in eine Selbstblockade führen müsse.
Wie kann diese Selbstblockade
überwunden werden? Auf theoretischer Ebene versucht Massarrat dies, indem er der ökonomischen
Kritik eine Theorie der Macht hinzufügt, die es dann konkret politisch erlaubt,
"Systembrüche zu identifizieren und mobilisierungsfähige Reformprojekte zu
konzipieren". Träger dieser Projekte sollte eine "Allianz für Frieden,
ökologischen Ausgleich und Gerechtigkeit" sein, die zwar gegen die gegenwärtige neoliberale
Welt- und Kriegsordnung, aber nicht per se antikapitalistisch sein müsse.
Im zweiten Teil seines Buchs versucht
Massarrat, konkrete Alternativen zu Neoliberalismus und Kapitalismus in Form von "revolutionären
Reformen" herauszuarbeiten. Die theoretische Grundlage einer solchen Strategie bildet ein
"Fünf-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit" (ökologische, ökonomische, soziale
Nachhaltigkeit, ergänzt um eine politisch-institutionelle und eine kulturelle Dimension),
Deglobalisierung, Selbstorganisation und eine neue Ethik der Nachhaltigkeit.
An fünf Projekten zeigt Massarrat
exemplarisch auf, wie solche "revolutionären Reformen" seiner Ansicht nach konkret umgesetzt
werden könnten: Verkürzung der Arbeitszeit und Grundeinkommen als Form der Deglobalisierung in
den kapitalistischen Zentren; ein "globaler Klima-New Deal", in dem bestimmte Staaten zu
Vorreitern bei einer neuen Weltklimaordnung werden; eine "Demokratisierung der Demokratie" mit
einer stärkeren Beteiligung von NGOs im nationalen Rahmen; der Aufbau einer UN-Behörde zur
Krisenprävention unter Beteiligung von NGOs auf internationaler Ebene; und schließlich die
Schaffung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten.
Unter dem Stichwort "De-
Hegemonialisierung" skizziert Massarrat abschließend Schritte zum Übergang zu einer neuen
Weltordnung. In diesem Szenario spielt Europa eine entscheidende Rolle. Es bedürfe "der aktiven
Rolle von Europa als Zivilmacht und einer weltweiten Allianz mit Multilateralisten aller Staaten, USA
eingeschlossen, um den Weg einer multilateralen Weltordnung beschreiten zu können", schreibt
Massarrat.
Allerdings: War es nicht gerade der Entwurf
für eine europäische Verfassung, der Neoliberalismus und Aufrüstung gesetzlich festschreiben
wollte? Wie weit kann und darf man von der realen Politik Europas abstrahieren? Ist schließlich
Multilateralismus ein Wert an sich? So ist die Besetzung Afghanistans zur Zeit durchaus eine recht
multilaterale Angelegenheit. Dennoch ist sie hier würde Massarrat ohne Zweifel zustimmen
nicht weniger abzulehnen.
Harald Etzbach
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