SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 22

YOK 2006

Lieselotte Meyer lebt (ab dafür records)

Die Erwärmung der Erdatmosphäre ist seit Wochen ein die Schlagzeilen beherrschendes Thema. Dabei ist das Problem seit Jahren bekannt. Der Streit darüber, wie sie sich auswirkt, ist in den verschiedenen Sparten künstlerischer Ausdrucksformen ebenfalls schon lange ein Thema. Und wie so oft sagen diese Kunstwerke einiges über die aus, für die sie stehen. Wie die "Landkarte für die Tourplanung von ‘Revolte Springen-Seniorenkapelle‘ in 2022" von Michael Fuchs in das Booklet der CD von YOK 2006, Lieselotte Meyer lebt, kam, entzieht sich meiner Kenntnis, aber sie ist ein Ausdruck für den Humor des Musikprojekts. Dortmund und Osnabrück sind Hafenstädte an der "Teutoburger Bucht". Auch Hildesheim liegt an der Nordsee und ist durch eine Meerenge von einer Insel getrennt, auf der Helmstedt und Braunschweig auszumachen sind. Die Sächsische Bucht reicht bis einige Kilometer vor die Hansestadt Dresden und hoch im Norden ist der "Leuchtturm am Alex" durch einen roten Punkt gekennzeichnet.
Dieser Humor, der den Pessimismus, den die herrschenden Verhältnisse produzieren, ertragen lässt, ist ein Markenzeichen des Itzehoer Anti-AKW-Aktivisten YOK, der Anfang der 90er Jahre mit seinem Akkordeon nach Berlin umzog. Dort bewies er als "Quetschenpaua", dass politische Liedermacherei nicht zu Schunkelversionen von Arbeiterliedern à la Hannes Wader oder zu deutschstiftender Nachwuchsförderung eines Reinhard Mey verkommen muss.
Während in seiner Zeit als Quetschenpaua 1991—1994 wurde er zu einem der wenigen Musiker einer Szene, deren Markenzeichen "Großmäuligkeit" war, der weit über seine Szene hinaus wahrgenommen wurde. In dem er selbstironisch die Selbstüberschätzung seiner politischen Heimat in seine Lieder einbaute und sich kritisch etwa mit dem Phänomen Militanz, wenn sie zum Selbstzweck verkam, auseinandersetzte, gelangen ihm Zeitdokumente, die ihre Gültigkeit nicht verloren haben.
Dies mag auch mit dazu beitragen, dass auch noch heute Jugendliche die Lieder, die damals auf Kassetten vertrieben wurden, schätzen. Diese Tatsache sorgt im Übrigen auch dafür, dass die Ermordung des Hausbesetzers Silvio Meyer in Berlin-Friedrichshain durch Neonazis 1992 nicht so leicht vergessen wird.
Dem Soloprojekt folgten die Zeit bei Tod und Mordschlag 1995—1999 und großartige Lieder wie "Schade, dass Beton nicht brennt" und "Alles wird bleiben wie bisher". Aber auch die Fortsetzung der Reihe der Lieselotte Meyer aus der Rosenstraße 8 gehört dazu. Die Lieder von und mit Lieselotte Meyer, die als diebische Antifaschistin älteren Jahrgangs schon als Sympathieträgerin in Liedern von Quetschenpaua auftauchte, nehmen im Grunde die Geschichte des "Mensch Meyer" der Ton Steine Scherben auf. Gleichzeitig gehen die Geschichten auf eine Zeitungsmeldung zurück, die Heiter bis Wolkig Anfang der 90er Jahre zu ihrem wohl besten Musikstück verarbeiteten. Laut dieser Meldung hatte eine ältere Dame eine tiefgefrorene Ente im Geschäft unter ihrem Hut versteckt und fiel daher in der Schlange an der Kasse infolge von Unterkühlung in Ohnmacht. Seit 2000 macht YOK wieder Solomusik als New oder Old YOK. Seit 2001 arbeitet er auch noch mit bei "Revolte springen". Das sind zur Zeit um die 15 Leute, verteilt über sechs Städte, die gemeinsam an Kleinkunstprojekten arbeiten.
Lieselotte Meyer lebt ist eine "Frühlingsproduktion", die gerade jetzt in den Player gehört. Es muss nicht das Paul-Linke-Ufer in Berlin sein, das YOK im umfangreichen Booklet empfiehlt, um sich an einem der kommenden warmen Tage mit einem Kopfhörer niederzulassen und sich die CD zu Gemüte zu führen. "Anlauf" ist so ein Lied, dass auch an unzähligen Orten, die mir einfallen, ähnlich passen würde.
In "Ein Brot auf Stelzen" verzichtet YOK auf die Quetsche, aber Bass und Drumcomputer tun es eben auch, um klarzustellen: "Sinnlosigkeit ist nur ein anderes Wort für Normalität." Die Fortsetzung der Geschichte von "Lieselotte Meyer" erinnert auch ein bisschen an "Alles wird bleiben wie bisher". Davon, dass die Dame aus der Rosenstraße 8 lange zu einem Symbol subversiven Widerstands geworden ist, zeugen unzählige Flugblätter, auf denen sie als "Verantwortliche im Sinne des Presserechts" fungiert.
Ob YOK mit Sylvia oder Hella über "Euschrecken" oder "Vergisses" singt, den Humor haben sich die Musikerinnen und Musiker um den Wahlberliner erhalten. Dabei bleiben die Probleme der Miltanz und von Situationen, in denen die "Nerven blank liegen", in Liedern wie "Kurz und klein" oder "Spurrillen" Thema. Letzteres ist im Übrigen das einzige Lied, das nicht aus der Feder von YOK, sondern seiner musikalischen Mitstreiterin Hella stammt. Auch wenn YOK bei "Kurz und klein" Regenunterstände an Bushaltestellen und Telefonhäuschen in Schutz nimmt, ist er meilenweit vom sozialdemokratischen Lampenputzer eines Erich Mühsam entfernt.
Die pessimistische, aber trotzige Stimmung eines Musikers, der lieber sein Geld als Taxifahrer verdient, als sich den musikalischen Zwängen einer Künstlerkarriere zu unterwerfen, und so sich und seinen Ideen treu bleibt, kommt in "Ohne Beine" zum Ausdruck. Diese Haltung bewahrt ihn davor, Schunkelversionen von Arbeiterliedern, deutschtümelnden Unfug oder sexistische Flachwitze zum besten zu geben. Die 15 Lieder dieser CD sind genau das Richtige, um für die Gestaltung des Frühlings etwas akustische Unterstützung zu bekommen und einem heißen Sommer entgegenzusehen.

Thomas Schroedter

www.ab-dafuer-records.de/yok2006.shtml

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang