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Die Euphorie ist groß, schließlich hatte die Linkspartei bei der Bundestagswahl 8,4% der Stimmen
erhalten. Da glauben sich die Spitzenkandidaten der Linken, Peter Erlanson und Klaus Rainer Rupp, schon so sicher in der Bürgerschaft,
dass sie medienwirksam, in einem lokalen Fernsehbeitrag bei Buten & Binnen, ihre Stühle im Parlament anschrauben. Ihre
möglichen Fraktionskollegen fehlen. Daran wird ein Politikstil deutlich, der bis jetzt die PDS prägte und sich in der Organisation des
Wahlkampfs ungebrochen fortsetzt. Nur die Spitzenkandidaten zählen, der Rest der Partei darf Plakate kleben und aufstellen. Die
Frauenquote scheint als lästiges Übel empfunden zu werden, entsprechend war keine der Kandidatinnen bei dem Fernsehtermin
anwesend.
Wie schon immer geht Klaus Rainer Rupp davon aus, dass die Wähler
diesen demokratischen Zentralismus übersehen und sich der Bundestrend einfach im Bremer Wahlergebnis niederschlägt.
Selbstsicherheit ist zwar notwendig, zu dick aufgetragen kann sie jedoch leicht arrogant wirken und dadurch Wähler vergraulen. Darin war
Rupp als Spitzenkandidat der PDS schon Spitze. Von 2,9% 1999 hat er ihren Stimmenanteil auf 1,7% bei der letzten Bürgerschaftswahl
2003 heruntergewirtschaftet.
Hieran wird deutlich: 5% sind für die Linke in Bremen trotz Bundestrend
eine hohe Messlatte.
Wie kam es nun zu dem starken Stimmenzuwachs zwischen der letzten Bürgerschaftswahl und der Bundestagswahl?
Da ist zunächst das Auftreten der WASG auf der politischen
Bildfläche zu nennen sie verlieh dem Protest gegen Sozialkürzungen einen glaubwürdigen Ausdruck. Entsprechend
gelang der Linkspartei bei der Bundestagswahl, was der PDS in Bremen, zuvor nicht gelungen war: der Einbruch in die Wählerschichten der
klassischen Arbeiterviertel. Dabei ist besonders beachtenswert, dass in Bremen schon bei der letzten Wahl eine große Koalition von CDU
und SPD regierte. Trotz deren unsozialer Politik und dem massenhaften Herankarren bundespolitischer PDS-Prominenz konnten nur
katastrophale 1,7% erzielt werden.
Hier deuten sich zwei wesentliche Probleme an. Wenn die Partei den
Bundestrend in die Bürgerschaftswahl mitnehmen will, muss sie die Inhalte aufgreifen, die diesen getragen haben, und die Stimmen in den
Arbeitervierteln wiedergewinnen. Zusätzlich muss das linke Milieu gehalten werden. Die Proteststimmung gegen Hartz IV war bei der
Bundestagswahl ausschlaggebend, Die Linke zu wählen. Diese Proteststimmung wird jedoch von der Linken im aktuellen Wahlkampf kaum
aufgegriffen.
Die Einschätzung, ein zu lauter Protest könne die Linke anderswo
Stimmen kosten, trägt sicher nicht dazu bei, in den Arbeitervierteln zu punkten Klaus Rainer Rupp meint immerhin, er persönlich
spreche eher die Eliten und Manager an.
Der Spitzenkandidat der SPD, Jens Börnsen, hat seinerseits die
Forderung von Ver.di nach 7,50 Euro Mindestlohn übernommen. Damit schrumpfen die Mobilisierungspotentiale für die Linke in den
Arbeitervierteln. Die SPD hat erkannt, dass sie im bürgerlichen Milieu Stimmen abgeben wird. Sie versucht nun, dies mit allen Mitteln und
mit sozialen Themen in den Arbeitervierteln auszugleichen, um dort verlorenes Terrain zurück zu gewinnen. Auch die drei rechten Parteien
(DVU, Reps und Siegerists "Bremen muss leben"), setzen massiv auf sozialen Protest. Mit der DVU sind die Rechten schon über
Bremerhaven in der Bürgerschaft vertreten. Ob die Linke unter diesen Bedingungen mit ihrem harmlosen Wahlkampf das Stimmenpotenzial
der Bundestagswahl in den Arbeitervierteln erneut mobilisieren kann, scheint mehr als fraglich.
Bei aller postulierten hanseatischen Weltoffenheit fühlen sich die meisten Bremerinnen und Bremer doch zuallererst als Einwohner ihrer
Stadt. Bundestagswahl, Bundespolitik und Bundestrend verlieren da schnell an Bedeutung, wenn die Bürgerschaft zu wählen ist.
Zudem gibt es in Bremen eine ausgeprägte linke Szene, die insbesondere mit der Bremer PDS sehr schlechte Erfahrungen gemacht hat.
Auch Menschen aus sozialen Bewegungen, die sich von einer linken Fraktion in der Bürgerschaft politische Unterstützung
versprochen haben, sehen sich durch die Praxis dieser Partei immer mehr enttäuscht.
Während bspw. in Bremen gegen ein Außenministertreffen
demonstriert wird, hält es die Linkspartei für wichtiger, eine Schulung für Stadtteilbeiräte zu organisieren. Oder: Am 4.Mai
findet ein von einem breiten Bündnis getragener Aktionstag der Beschäftigten bei den Trägern von 1-Euro-Jobs statt.
Sämtliche 1-Euro-Jobber in Bremen bekommen dazu eine Freistellung. In Unkenntnis dieser Veranstaltung organisiert die Linke für
den gleichen Tag eine eigene sozialpolitische Konferenz. Die Partei gibt vor, sich für die Interessen der von Hartz-IV-Betroffenen
einzusetzen, bekommt aber noch nicht einmal mit, dass die Betroffenenverbänden eine so bedeutende Veranstaltung organisieren!
Wenn selbst die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping,
auf einer groß und teuer aufgezogenen Veranstaltung vor weniger als 30 Teilnehmenden im Haus der Wissenschaft erklärt, es sei
doch schon viel gewonnen, wenn das jetzige ALG II repressionsfrei ausgezahlt würde, dann drängt sich der Verdacht auf, dass diese
Linkspartei zugunsten einer Regierungsbeteiligung selbst die Forderung der Sozialverbände, das ALG auf 440 Euro anzuheben, noch
unterschreiten würde.
Wenn diese politische Haltung der Bremer Partei Die Linke ins
Massenbewusstsein dringt, kann die Linkspartei in den von Arbeitslosigkeit betroffenen Vierteln keine Stimmen gewinnen. Ganz zu schweigen von
Stimmen aus dem Milieu der Arbeitsloseninitiativen. Vor diesem Hintergrund verklingen Warnrufe wie die von Karl-Heinz Roth über die
Zusammenhänge von sozialer Frage und dem Erstarken der Rechten ohne politische Konsequenz.
Im Gegensatz zur SPD tut die Linkspartei alles, schon in der Opposition
deutlich zu machen, dass sie ihre Versprechen zugunsten einer Regierungsbeteiligung sofort aufgeben würden.
Wenn die SPD nicht dumm ist, wird sie erkennen, dass sie durch diese
versteckten Koalitionsangebote (z.B. Mindestlohn: "Ihr seid 50 Cent linksradikaler als wir") nur gewinnen kann. Sie stärkt ihr
soziales Profil und sie weckt die Hoffnungen in der Bremer Linkspartei, doch an der Regierung beteiligt werden zu könnnen. Entsprechend
harmonischer werden die Forderungen der Linken und entsprechend sozialer erscheint die SPD. So kann die SPD Stimmen von der Linken
gewinnen, diese eventuell aus der Bürgerschaft heraushalten und hätte dann wohl genug Stimmen für Rot-Grün.
Bezeichnend für den Wahlkampf ist der Umgang mit dem
Hauptwahlflugblatt. Es führt in elf Punkten die wesentlichen Forderungen auf. Nur unter Mühen konnte die WASG die Ablehnung von
Privatisierungen in diesem Programm durchsetzen und kurz vor der Drucklegung noch verhindern, dass sie unter dem Vorwand der
Layoutgestaltung wieder herausgenommen würde.
Wer alle Wählerschichten gleichmäßig ansprechen will, kann
kaum den Protest konkret benachteiligter Gruppen artikulieren. Wer vor dem Hintergrund knapper Kassen eine Regierungsbeteiligung erreichen
will, kann kein Interesse haben, schon im Wahlkampf mit sozialem Protest die eigene Opposition, im Falle einer Regierungsbeteiligung, zu
organisieren.
Trotz verbaler Oppositionsrhetorik, scheint, angesichts des relativ harmlosen
Wahlkampfs der Partei Die Linke, Axel Troosts Credo "An uns darf ein Politikwechsel nicht scheitern" den Wahlkampf zu bestimmen.
Viele in der WASG wollten statt einer Linken, die sich nur aus LPDS und WASG zusammensetzt, eine breite Wählervereinigung.
Dadurch hätte eine bremenspezifische Mobilisierung erreicht werden können, die den lokalpolitischen Besonderheiten entsprochen
hätte. Die Linkspartei verweigerte sich diesem Bündnis und drohte mit einer Alleinkandidatur. Dieser Erpressung ist die WASG
schließlich nach vielen zähen Verhandlungen und absurden Abstimmungen gefolgt.
Im Kampf um die Wählervereinigung wurde im Juli 2006 zunächst
der linke Bremer Landesvorstand abgewählt. Aber auch der neue Vorstand musste erleben, wie die Vertreter der ehemaligen PDS ihre
Vorstellungen gegen die WASG durchsetzten. Entsprechend verhalten ist die Stimmung in der WASG selber. Ein Ruck, der durch Bremen geht
und eine lokale Motivationswelle für die "Neue Linke" auslösen könnte, scheint völlig unmöglich. Die
Beteiligung an Landesmitgliederversammlungen ist rapide gesunken. Das Engagement im Wahlkampf lässt sehr zu wünschen
übrig. Für die Organisierung der Straßenstände musste sogar eine bezahlte Kraft aus den Reihen der WASG-internen
Opposition gefunden werden.
Es stellt sich jetzt die Frage, ob das Selbstbewusstsein der ehemaligen
PDSler, nachdem sie die WASG inhaltlich abgewatscht haben, ausreicht, um entsprechend weit über ihr Potenzial von 1,7% hinaus
Stimmen zu gewinnen. Mit der Wählervereinigung ist auch der Versuch gestorben, neben dem Bundestrend eine bremenspezifische, eigene
Dynamik für eine linke politische Kraft zu wecken.
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