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Mit den ersten Abschlüssen in der diesjährigen Tarifrunde setzten die Gewerkschaften Ver.di (bei der
Lufthansa), IGBCE und IG BAU die ersten Duftmarken: rund 3,5% mit ein paar Einmalzahlungen geben einen Vorgeschmack auf die
Tarifergebnisse, die in diesem Jahr zu erwarten sind.
Alle Abschlüsse kamen ohne große
"Geräuschkulisse" zustande. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die großen Chemiekonzerne ihre Profite auch im
letzten Jahr wieder kräftig steigern konnten und die Lufthansa von ihrem besten Ergebnis aller Zeiten schwärmt. Offensichtlich sollen
in Zeiten des Aufschwungs die Tarifrunden schnell zu Ende gebracht werden, damit die Umsatz- und Profitmacherei nicht durch
"unnötige" Streiks unterbrochen wird.
Dass diese Strategie auch von den Vorständen der Gewerkschaften
getragen wird, ließ sich schon an der Höhe der Forderungen ablesen: Obwohl viele Vertrauensleutekörper in der Metallindustrie
(Alstom Power, Daimler, Opel, Porsche) für Forderungen bis zu 9,5% eintraten, beließ es der Bundesvorstand der IG Metall bei
bescheidenen 6,5%. Eine wirkliche Mobilisierung für eine echte Umverteilungskomponente wird nicht angestrebt. Die bescheidenen
Tarifabschlüsse der letzten Jahre führen auch in Zeiten des Aufschwungs nicht zu einer Änderung der sozialpartnerschaftlichen
Politik. In Zeiten, in denen die Mehrwertsteuer um 3% erhöht wird, die Energiekosten einen immer größeren Teil des
Einkommens verschlingen und die Belegschaften weiter durchrationalisiert werden, sich auf reine, und dann noch bescheidene Lohnforderungen
zu beschränken, ist schon ziemlich ignorant, nicht zuletzt denen gegenüber, die von der Beteiligung am Arbeitsleben ausgeschlossen
sind.
Anstatt die gute Konjunktur zu nutzen, um die Frage von
Rationalisierungsschutz, Arbeitszeitverkürzung und Schaffung neuer Arbeitsplätze in den Vordergrund zu stellen, bleiben die
Gewerkschaften bei dem seit Mitte der 90er Jahre eingetretenen Pfad: der Stärkung des Standorts D. Durch ihre Tarifpolitik haben sie
wesentlich dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft zum Dauerexportweltmeister werden konnte. Sie tragen dazu bei, dass die deutsche
Industrie ihre Rivalen in anderen Ländern, auch innerhalb der EU, nieder konkurrieren kann, was z.T. erhebliche Auswirkungen auf Betriebe
und Belegschaften in anderen Ländern hat. In keinem anderen Land der EU gibt es eine ähnlich schlechte Entwicklung der
Lohnkosten wie in der Bundesrepublik.
Exemplarisch wurde dies wieder einmal bei VW vorgemacht: Die IG Metall gab
ihr Einverständnis zu unentgeltlicher Arbeitszeitverlängerung von 28,8 auf 35 Stunden. Damit wurde die Produktion des Golf in
Wolfsburg gesichert. Dies hatte jedoch zur Folge, dass der VW-Vorstand beschloss, die Produktion des Golf in Brüssel einzustellen.
Daraufhin gab es sehr heftige Reaktionen der Brüsseler Belegschaft. Nun will der Vorstand beide Belegschaften, in Brüssel wie in
Wolfsburg, zu "Zugeständnissen" erpressen und macht davon eine dauerhafte Produktion abhängig. Beide sollen flexibler
und billiger werden.
Leider sieht es bei Ver.di nicht besser aus. 2001 wurde diese Gewerkschaft
gegründet, um gewerkschaftliche Kraft zu bündeln und mehr für die Mitglieder zu erreichen. Von diesem Anspruch ist nicht viel
übrig geblieben: der öffentliche Dienst ist heute in viele Einzelsparten aufgeteilt, damit sind große, nicht kampffähige Teile
zum Bittsteller geworden. Die Arbeitszeit im ÖD wurde so gut wie überall auf 40 Stunden verlängert, und mit dem neuen
Tarifvertrag ÖD gibt es vor allem für Arbeiter erhebliche Einkommenseinbussen. In der Entwicklung der Tarifeinkommen befinden sich
manche in Ver.di organisierten Bereiche auf den letzten Plätzen (Druckindustrie, Handel).
Nun sollte man meinen, die Zeit sei gekommen, die Tarifpolitik einmal zu
überdenken. Die Mitgliederentwicklung ist weiterhin sehr schlecht ist. Von den 3 Millionen Mitglieder bei der Gründung von Ver.di
blieben Ende 2006 nur noch 2274000 übrig ein Rückgang um 25%, im letzten Jahr um 3,6%.
Auch in diesem Jahr wird es aller Voraussicht nach keine berauschenden
Ergebnisse zu feiern geben. Ist schon der Abschluss bei der Lufthansa ziemlich mager, so sind für wichtige andere Bereiche noch
schlechtere Abschlüsse zu erwarten. Als einziger hat sich der Fachbereich Druck dazu durchringen können, wie in der Metallindustrie
6,5% zu fordern. Der Fachbereich Handel stellt Forderungen zwischen 4,5% (Einzelhandel NRW) und 6% (Großhandel in mehreren
Bundesländern). Hier fällt vor allem der Einzelhandel auf: in dieser Branche gab es in den letzten zwei Jahren insgesamt nur 1%
mehr, hier dürfte der Nachholbedarf ziemlich groß sein. Da ist eine Forderung von 4,5% schon ein deutliches Signal an die Bosse.
Aber wir können sicher sein, dass trotz dieser bescheidenen Forderung
die Tarifrunde im Einzelhandel wieder diejenige sein wird, die am längsten dauert. Bisher hat sich bei den Einzelhandelsbossen noch immer
die Knauserigkeit durchgesetzt.
Bleibt nur zu hoffen, dass nicht alles so einfach geht, wie es momentan
aussieht. Linke in den Gewerkschaften sollten für eine volle Durchsetzung der Forderungen eintreten und die Debatte um die Qualität
der Arbeit in die Betriebe und die Gewerkschaften tragen. Dazu gehört natürlich auch, dass die Frage der Arbeitszeit endlich wieder
einmal positiv aufgegriffen wird: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich. Wir würden sagen:
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