SoZ - Sozialistische Zeitung |
Anfang Mai
2007 hat das Sozialministerium in Nordrhein-Westfalen einen neuen Sozialbericht vorgestellt. Er spiegelt
die Situation "unterversorgter Personen" ebenso wie die Entwicklung von Reichtum und
Vermögen wider. Das Datenmaterial zum Reichtum ist bereits sechs Jahre alt, neuere Zahlen lägen
nicht vor. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter
auseinanderklafft. Rund 2,57 Millionen arme Menschen leben in NRW, darunter 815000 Kinder und Jugendliche.
720000 Menschen gelten als überschuldet. Auf der anderen Seite gab es 462730 Einkommensreiche,
darunter 3192 Einkommensmillionäre, die ein Jahreseinkommen von durchschnittlich 1,51 Millionen Euro
haben. 1,37 Millionen Haushalte gelten als vermögensreich, weil sie mindestens 222600 Euro besitzen.
Armut ist längst zur Verhandlungsmasse
geworden und wird unterschiedlich definiert. Bis heute streiten sich die Gelehrten darum, ab welchem Grad
der Unterausstattung bzw. Unterversorgung mit welchen Ressourcen Armut beginnt.
Nach dem neuen Bericht gilt ein Ehepaar mit
zwei Kindern unter 14 Jahren als arm, wenn das Haushaltseinkommen unter 1661 Euro liegt. Alleinerziehende
mit einem Kind unter 14 Jahren sind arm, wenn sie weniger als 923 Euro zur Verfügung haben. Damit geht
der Bericht vom "Haushaltsansatz" aus, anstatt die einzelnen Individuen als Analyseeinheit zu
berücksichtigen. Haushalt und Familie sind schon lange keine einheitlichen Gebilde, die von den dort
zusammenlebenden Menschen gemeinsam gestaltet werden und ihnen gleiche Lebenschancen ermöglichen, die
sich dann im Alter fortsetzen.
Die Notwendigkeit der gerechten
Verteiligung wird im Bericht nicht diskutiert. Skandalisiert wird vor allem die Armut von Kindern und
Jugendlichen. Ihr wird ein ganzes Kapitel gewidmet. Kein Wunder, kein Thema wird so emotionsgeladen
diskutiert wie die Tatsache, dass Deutschland angeblich zu wenige Kinder hätte, und nun stellt sich
heraus, dass von dieser (angeblich) aussterbenden Spezies jedes vierte von Armut betroffen ist. Diesen
Kindern stehen rund 2,55 Euro täglich für (Über-)Lebensmittel zur Verfügung. was nicht
annähernd für ein gesundes Essen ausreicht.
Dem Bericht kommt der Verdienst zu, dass
nicht nur Erwerbslosigkeit als Armutsindikator angeführt wird, sondern auch die breiter werdenden Zone
prekärer Erwerbsbeteiligungsmuster und der Arbeit im Niedriglohnsektor. Zudem geht es nicht mehr um
rein materielle Armut, sondern es werden Analysen zur "Teilhaber-Armut", d.h. Zugang zu Bildung,
Erwerbsbeteiligung, Gesundheit und Wohnen vorgestellt. Prekäre Erwerbsbeteiligung wird im
Erwerbsverlauf analysiert und festgestellt, dass bei jedem 6.Vollzeitarbeitnehmer mit minderjährigen
Kindern das Einkommen nicht ausreicht, um dem Armutsrisiko zu entgehen.
Der Bericht soll als wichtige
Planungsgrundlage zur zielgenauen Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung dienen. Verbände der
freien Wohlfahrtspflege stellen daher in einem eigenen Kapitel Forderungen auf: die ALG-II-Regelsätze
"an die Lebenswirklichkeit anzupassen", Lehrmittelfreiheit oder "übergangsweise
Zuschüsse" für Bücher und bezahlbares Essen in Ganztagsschulen einzuführen. Die
Kommunen werden aufgefordert für einkommensarme Menschen "Bildungs- oder Teilhabepässe"
für verbilligten Zugang zu Kultur, Spiel und Sport einzuführen. Verschiedene Volkshochschulen
appellieren bereits an die Selbsthilfepotenziale vor allem der Mütter, denn sie sind es meist, die mit
dem wenigen Geld wirtschaften (müssen). Sie bieten Kochkurse an, wie man aus ganz wenig Geld viel
Gesundes zaubern kann.
Vertreter von Wohlfahrtsverbänden
aller Richtungen und der Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) waren sich bei der Vorstellung scheinbar
einig: Gegen die zunehmende Verarmung immer weiterer Bevölkerungskreise muss etwas getan werden. Was
genau, wird nicht deutlich. Man kann also gespannt sein, welche Konsequenzen die Landesregierung aus dem
Bericht ziehen wird. Dass die Reichen zur Kasse gebeten werden, ist offenbar nicht vorgesehen. Der Minister
lehnte eine Wiedereinführung der Vermögensteuer ab, weil er nicht glaubt, dass man die Probleme
der "kleinen Leute" mit einer "Neiddebatte" lösen könne. Das kostenlose
Schülermittagessen ist gerade von der Landesregierung gestrichen worden, das sollen nun die Kommunen
ausgleichen. Kölns Sozialdezernentin denkt über Hobbygutscheine nach, damit arme Kinder die
gleichen Reitstunden, wie Kinder reicher Eltern bekommen können und das Geld nicht für
irgendetwas Sinnloses (z.B. neue Fernseher) verbraten wird. Ob sich die Kinder dann reich und tüchtig
vorkommen?
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