SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2007, Seite 04

Die Linke im Glanz des Selbstgefallens

von Thies Gleiss

Beginnen wollen wir mit einer Danksagung. Die 42% Nichtwählerinnen und Nichtwähler bei der Wahl in Bremen konnten auch diesmal mit weitem Vorsprung die relative Mehrheit erringen. Ihr Verhalten mag erklärbar sein, politisch dumm ist es trotzdem, weil jede der unterlegenen Nichtmehrheiten von dieser stimmlosen Masse beliebig Gebrauch machen kann und wird. Aber einem Nichtwähler oder einer Nichtwählerin gebührt besondere Anerkennung. Nämlich der nicht eingegangenen 2217.Stimme für die wild gewordenen Kleinbürger mit dem programmatischen Namen "Bürger in Wut". Diese rechte Sekte scheiterte mit ihrem Wahlkampf gegen Konsumwahn und Spaßgesellschaft, gegen Islamterror und für den Kinderknast wegen genau einer einzigen fehlenden Stimme an der 5%-Klausel in Bremerhaven. Das Leben kann auch gerecht sein.
Dass die Parteien der großen Koalition in Bremen heftige Verluste hinnehmen mussten, wundert niemanden, schon gar nicht sie selbst. Im Zwiespalt des öffentlich bejubelten "Aufschwungs" und der Erkenntnis bei gut zwei Dritteln der Bevölkerung, dass der offensichtlich an ihnen vorbeigegangen oder noch nicht angekommen ist, hätte selbst ein Duett aus Heinz Rühmann und dem legendären Eduard Marks das Märchen vom Neoliberalismus als Win-Win-Glücksgeschichte für alle nicht glaubhaft vortragen können. Dank also auch all denen, die ihre Stimme nicht der Großen Koalition gegeben haben. Dass in Bremen- Ostertor und -Steintor besonders viele Toren leben, ist seit den Zeiten des grünen kalten Kriegers Olaf Dinné wohl bekannt, aber die 45000 Stimmen für die heißen Krieger der Grünen von heute wundern von allen Wahlergebnissen am meisten.
And the winner is — The LINKE — so tönt es seit einer Woche aus allen Medien. Und die selbsternannten Obermänner aus Linkspartei und WASG können von diesen Sonnenstrahlen gar nicht genug bekommen. Wer sich — wie heute in der oberflächlichen, auf Effekte zielenden Mainstreamkultur der neuen Linken weit verbreitet — mit Prozentzahlen berauschen will, der kann das mit den 8,4% — immerhin doppelt so viel wie die sorgfältig unter die 5%-Mauer gedeckelten Vorwahlumfragen der Demoskopen ergaben — natürlich prächtig machen. Aber ein Blick auf die absoluten Zahlen (23100) lässt erkennen, dass Die Linke ein Viertel der Wähler, die noch bei der Bundestagswahl mobilisierbar waren, schon wieder verloren hat. Auch der schwache Rückhalt bei den Erst- und Jungwählern ist für ein Parteiprojekt, das vier Wochen vor der glorreichen Gründung steht, eher alarmierend schlecht als Grund zum Jubeln.
Die Bremer Jungs und Mädels der Linken waren sicher keine "Berliner". Dafür sei auch ihnen gedankt. Ihr in Wort und Geste deutlicher Oppositionswahlkampf tat gut und tut dem neuen Wahlprojekt gut. Sie mussten sich dafür gegen die buchstäblich haarsträubenden Versuche der Mehrheitsströmung in der Bundesführung der Linkspartei und WASG durchsetzen, denen das gewünschte Personal in Bremen für ihr Ansinnen, bei den Herrschenden akzeptiert zu werden, zu schmuddelkindhaft und langbärtig war. Noch heute beleidigt der sich selbst als "das bekannteste Gesicht der WASG" bezeichnende Klaus Ernst die Bremer, wenn er behauptet mit Leuten seines Schlages als Spitzenkandidat wären "glatt 15—16%" zu holen gewesen. Wer die Kommentare der bürgerlichen Gazetten nach der Wahl liest, wird nachdenklich registrieren, dass offensichtlich niemand vor der Linken Angst hat, außer der SPD, die mal wieder einen "außerhalb angesiedelten linken Flügel" verkraften muss, der zu einer Neuverteilung des Wählerkuchens führt. Damit die Linke aber von den herrschenden Kräften in dieser Gesellschaft wirklich gefürchtet und von den Verlierern der herrschenden Politik als Hoffnungsträger angenommen wird, muss allerdings noch ein kleiner Radikalisierungsschub her. Der Erfolg von Karl Marx aus Bremen könnte dafür noch nützlich sein.


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