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Die Bundesanwaltschaft ordnet Hausdurchsuchungen unter Verweis auf die Bildung einer terroristischen
Vereinigung an und bekennt gleichzeitig, dass sie keine konkreten Hinweise auf Anschläge hat.
Wenige Tage später wird das Versammlungsrecht um Heiligendamm außer Kraft gesetzt. Dazu
heißt es in der Allgemeinverfügung, es komme auf konkrete Anhaltspunkte für einen geplanten
Anschlag gar nicht an. Kann man jetzt jede Demonstration präventiv auseinander nehmen?
Natürlich nicht. Ich glaube auch nicht, dass die Allgemeinverfügung Bestand haben wird. Das
Bundesverfassungsgericht und etliche Ländergerichte haben schon oft genug geurteilt, dass solche
Großveranstaltungen wie der G8-Gipfel sich öffentliche und wahrnehmbare Kritik gefallen lassen
müssen. Es reicht nicht aus, die Ankündigung von Blockaden zur Grundlage zu nehmen, um tagelang
das Demonstrieren zu verbieten.
Die ernstere Gefährdung sehe ich
darin, dass die Demonstrationsfreiheit scheibchenweise zurückgedrängt wird. Schon beim Bush-
Besuch wurde eine demokratiefreie Zone eingerichtet, wo den Anwohnern praktisch vorgeschrieben wurde, wie
sie ihre Blumentöpfe auszurichten hatten. Dieser Hochsicherheitsbereich ist jetzt ausgeweitet worden.
Es scheint, dass selbst die Demonstration am 2.6. in Rostock davon betroffen sein wird. Auf was
müssen sich die Gipfelgegner einstellen?
Vermutlich weiß die Polizei in Rostock selbst, dass ihr Verbot in dieser Form nicht durchkommen
wird. Ich sehe da einen Zusammenhang mit den Razzien bei linken Projekten und Wohnungen: Auch hier wird die
Generalbundesanwältin nicht wirklich geglaubt haben, brauchbare Ergebnisse zu erhalten. Es geht
vielmehr darum, die Szene zu verunsichern und kritische Bürgerinnen und Bürger
einzuschüchtern. Die Hoffnung der Staatsgewalt, dass Kriminalisierung und das Schüren von
Gewaltängsten zu einer Schwächung der Proteste führt, könnte sich allerdings als
trügerisch erweisen. Es war absolut ermutigend, wie direkt am Abend nach den Razzien spontan Tausende
in Berlin und anderen Städten demonstriert haben.
In der Allgemeinverfügung ist sogar
die Rede von einer Gefahr durch Präzisionswaffen und Raketen. Das ist so abenteuerlich, dass nicht
einmal die Rostocker Polizei daran glauben kann. Wahrscheinlich denken die, dass sie ein möglichst
großes Schreckensszenario aufbauen müssen, um vor Gericht durchzukommen. Ich kann mir aber nicht
vorstellen, dass ihnen die Gerichte auf den Leim gehen.
Das Polizeigesetz von Mecklenburg-Vorpommern ist als das schärfste in Deutschland
berüchtigt. Inwiefern? Aus welchem Anlass wurde es erlassen? In welchem Zusammenhang steht es?
Tatsächlich wurde das im bundesweiten Vergleich relativ liberale "Sicherheits- und
Ordnungsgesetz" (SOG) von Mecklenburg-Vorpommern im Juni 2006 durch Novellierung in eines der
schärfsten Polizeigesetze transformiert. Die damalige SPD-PDS-Landesregierung bezog sich in ihrer
Begründung ganz offen auch auf den G8-Gipfel in Heiligendamm. Auch der Zeitpunkt der Verabschiedung
lässt nur den Schluss zu, dass es in erster Linie darum ging, geeignete Repressionsinstrumente
für die Proteste gegen den Gipfel zu schaffen: Die Novelle wurde kurz vor Ende der Legislaturperiode,
aber einen Monat vor dem Bush-Besuch in Merkels Heimatwahlkreis im Juli 2006 sowie ein Jahr vor dem G8-
Gipfel verabschiedet.
Das novellierte SOG weitet die
Überwachungsbefugnisse der Polizei erheblich aus. So erlaubt es Videoüberwachungen
öffentlicher Plätze, Videoaufzeichnungen in Polizeifahrzeugen zwecks "Eigensicherung",
das automatische Ablesen von KFZ-Kennzeichen, "präventive"
Telekommunikationsüberwachung und die Ausweitung der Rasterfahndung. Dass die PDS in Mecklenburg-
Vorpommern in Eintracht mit der CDU und der SPD diese Novelle mit verabschiedet hat, ist eine Katastrophe.
Sie reiht sich hier ein in die Große Koalition der Demokratie- und Bürgerrechtsbeschneider.
Man gewinnt den Eindruck, dass Schäuble ein wenig Genua spielen will: also an einer Strategie
der Spannung arbeitet, bei der im Vorfeld Anschläge herbeigeredet werden, damit sie umso leichter
möglich werden und wenn die Staatsmacht sie selber verursachen muss. Sind wir schon so weit?
Und wie könnten wir uns da schützen?
Die Razzien gegen die Gipfelgegner zeigen durchaus Parallelen zu Genua. Schäuble redet Gefahren
herbei, die so einfach nicht existieren, um politische Alternativen zu stigmatisieren. Interessanterweise
wird er immer sehr schwammig, wenn es um konkrete "Bedrohungsszenarien" geht. Schäuble
versucht auch ganz offensichtlich, die Bewegung entlang der Militanzfrage zu spalten und die guten,
demokratisch Protestierenden zu einer Distanzierung von den bösen, gewaltbereiten "Chaoten"
aufzufordern. Es kommt auf alle Teile der Bewegung an, sich hier nicht gegeneinander ausspielen zu lassen.
Andererseits ist der Vergleich zu Genua
auch etwas zu hoch gegriffen. Leider ist das Protestpotenzial in Deutschland vergleichsweise geringer.
Niemand geht zur Zeit ernsthaft davon aus, dass es einem Demonstrationszug gelingen könnte, die
"Rote Zone", innerhalb des Zaunes zu betreten. Gleichzeitig hat die Repression (noch) nicht das
Ausmaß von Genua erreicht. Damals wurden im Vorfeld zum Beispiel gezielt Berichte in die Presse
lanciert, die Regierung habe 200 Leichensäcke nach Genua geordert. Neben dem ungeheuren Ausmaß
der Polizeigewalt, die sich in Genua entlud, muss jedoch auch hervorgehoben wurden, dass dort in
räumlicher Nähe zum Ort des Geschehens selbst demonstriert werden durfte, was zumindest momentan
in Heiligendamm verboten ist.
Irgendwie passt das gut zur derzeit geplanten Ausweitung des Überwachungsstaats: Online-
Durchsuchungen, elektronische Fingerabdrücke, allgemeiner Datenabgleich usw. Siehst du da einen
Zusammenhang?
Die Ausweitung des Überwachungsstaats ist aus meiner Sicht ein langfristig geplantes Anliegen von
Schäuble und Co. Großereignisse wie die Fußball-WM oder der G8-Gipfel haben hier in erster
Linie eine Legitimationsfunktion, um gegenüber der Öffentlichkeit neue Beschneidungen von
Bürgerrechten zu rechtfertigen. Aber ich betone: auch ohne diese Ereignisse würde der Ausbau des
Überwachungsstaats voranschreiten, weil dies die herrschende politische Agenda ist, denn die Regierung
hat allem Anschein nach Angst vor einer breiten Protestbewegung gegen die Folgen ihrer neoliberalen
Politik. Wie sich in den letzten Wochen gezeigt hat, liegt ihr viel daran, die Überwachungsbefugnisse
explizit gegen fortschrittliche Bewegungen auszuweiten.
Die Große Koalition will den Bundeswehreinsatz im Innern per Grundgesetzänderung
ermöglichen. Was bedeutet das für die Demokratie in diesem Land?
Union und SPD spielen seit ihrem Regierungsantritt das Spiel guter Bulle, böser Bulle.
Innenminister Schäuble fordert mindestens einmal pro Woche, die Bundeswehr vor Bahnhöfen und auf
öffentlichen Plätzen zum Objektschutz einzusetzen, und Justizministerin Zypries gibt sich als
Bedenkenträgerin, verweist auf die Grundrechte und will alles "sorgfältig prüfen".
Dabei ist schon seit Monaten klar, dass auch die SPD das Grundgesetz ändern will. Während
Schäuble am liebsten jeden mutmaßlichen Terroranschlag mit dem Kriegsrecht beantworten
würde, gibt sich die SPD vorerst mit einem kleineren Schritt zufrieden und will Artikel 35
ändern. Dazu muss man sagen, dass das Luftsicherheitsgesetz, das ja den Abschuss verdächtiger
Passagierflugzeuge vorgesehen hatte, unter anderem deswegen vor dem Verfassungsgericht gescheitert ist,
weil nach geltender Rechtslage die Bundeswehr im Inland keine "militärtypischen" Waffen
einsetzen darf. Das soll jetzt geändert werden. Zur "Abwehr eines besonders schweren
Unglücksfalls", also bereits präventiv, könnte dann die Bundeswehr ihr schweres
Kriegsgerät auffahren.
Was von der Bundesregierung dabei nicht
thematisiert wird, ist der Aspekt der Menschenwürde. Das zentrale Motiv der Karlsruher Entscheidung
war nämlich die Aussage, dass man nicht Leben gegen Leben aufrechnen könne. Es sei
"schlechterdings unvorstellbar", hatten die Richter erklärt, dass der Staat unschuldige
Menschen vorsätzlich töten dürfe. Die Menschenwürde gehört zum Garantiebestand des
Grundgesetzes, da hilft der Regierung also keine Verfassungsänderung.
Hinzu kommt die historische Erfahrung: Wann
immer in der deutschen Geschichte das Militär polizeiliche Aufgaben im Inland wahrnahm, stand dies im
Zeichen demokratiefeindlicher Ziele. "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten", hieß es bereits
1848. In der Weimarer Republik tolerierte das Militär den monarchistischen Kapp-Putsch 1920 und zwang
1923 im Auftrag der Reichsregierung die SPD/KPD-Koalitionsregierungen in Sachsen und Thüringen zum
Rücktritt. Unter dem Faschismus bildeten militärische Verbände und die Polizei unter
Führung des Reichsführers SS Heinrich Himmler einen im In- wie Ausland wirkenden Terrorapparat.
Eine Folge dieser Erfahrungen war die im Grundgesetz festgeschriebene Trennung polizeilicher und
militärischer Zuständigkeiten.
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