SoZ - Sozialistische Zeitung |
Niicht nur in der Telekom gärt es. Auch im Bereich der Postdienste
werden Sozialstandards und Arbeitsplätze abrasiert. Gegen diese Zukunftsaussichten demonstrierten am
14.Mai. 30000 Beschäftigte der Deutschen Post AG in Berlin. Die Kundgebung richtete sich gegen die
deutsche Vorreiterrolle bei der Öffnung der Briefmärkte, die die Mitarbeiter von
Postdienstleistern zwingt, für weniger Geld mehr zu arbeiten und sie einer ungezügelten doppelten
Konkurrenz aussetzt: durch inländische private Dienstleister und durch ausländische
Dienstleister, bei denen das Briefmonopol für Briefe unter 50 Gramm erst frühestens 2009
ausläuft. Über die angestrebten Arbeitsstandards und wie sich Gewerkschaften dagegen erfolgreich
wehren können, sprachen wir mit Benedikt Frank, Sekretär im Fachbereich 10 des Ver.di-
Landesverbands Berlin-Brandenburg. Für die SoZ sprach Jochen Gester mit Benedikt Frank.
Benedikt, du hast bereits auf der Gründungskonferenz des Berliner Sozialforums anschaulich
berichtet, wie ihr vor Ort neue Wege geht, um den Prozess der Entmachtung der Gewerkschaften bei den
Postdienstleistungen umzukehren. Wie kam es dazu?
Als ich 2004 anfing, war mir bald klar: Wir brauchen eine starke Konzentration auf die Pin AG. Anders
als in anderen Bundesländern war der private Dienstleister Pin AG sehr stark und hatte mit 1000
Beschäftigten auch einen Auftrag des Senats. Ich war einiges gewohnt. Ich habe auch schon Lidl
betreut. Was ich jedoch bei der Pin AG an Abwehrmaßnahmen erlebt habe hat all das übertroffen.
Ich wurde persönlich mit Unterlassungsverfügungen überzogen, wo es nur ging. Vermutlich hat
man auch mein Privatleben ausgeforscht, um Dinge zu finden, mit denen man mich unter Druck setzen kann.
Als ich meine ersten Treffen organisierte,
gab es bei der Pin AG etwa 15 Mitglieder bei 900 Beschäftigten. Ziel dieser Treffen war es, die
Kollegen stark zu machen. Dort gab es einige Leute, die sich sehr kritisch äußerten. Deren
Verträge wurden daraufhin nicht verlängert. Dazu muss man wissen, dass damals um die 75% nur
befristet beschäftigt waren über vier Jahre, was normalerweise nur über zwei Jahre
möglich ist. Der Trick war, dass die erst in einer hauseigenen Zeitarbeitsfirma angefangen haben. Und
wenn man dann das eigene Rückgrat abgegeben hatte, konnte man bei der Pin AG anfangen und bekam dann
wieder drei befristete Verträge über zwei Jahre. Es gab also insgesamt sechs Verträge
über vier Jahre; zwei Jahres- und vier Halbjahresverträge. Logischerweise findet man erst mal
keinen, der zum Betriebsrat kandidiert. Man kann also überhaupt nur bei den 25%, die nicht befristet
beschäftigt sind, anfangen Leute zu finden, die sich zur Verfügung stellen. Die sind
natürlich auch durch die ganze Mühle gelaufen und haben vielfach entweder ihr Rückgrat
abgegeben oder auf die andere Seite gewechselt.
2002 gab es die ersten Versuche einen
Betriebsrat wählen zu lassen. Das wurde jedoch gekonnt vom Arbeitgeber torpediert. Der Arbeitgeber hat
dann selbst einen Betriebsrat installiert, der uns auch nicht reingelassen hat. Gleichzeitig wurden
bestimmte Teilnehmer unserer Treffen gekündigt bzw. ihre Verträge nicht verlängert. Denn auf
diesen Treffen saßen U-Boote des Arbeitgebers. Danach bin ich dazu übergegangen, Geheimtreffen
abzuhalten. Für jeden Zustellbezirk habe ich versucht jeweils eine Person zu finden, die mein Kontakt
war. Diese Person hat dann nur Leute ihres Vertrauens eingeladen. Das war so ähnlich, wie früher
antifaschistische Gruppen im Widerstand gearbeitet haben. Ich war der Einzige, der die Kontaktpersonen
kannte. Und es war klar, dass ich sie nicht verpfeifen werde. Es konnte also praktisch im schlimmsten Fall
nur eine Gruppe hochgehen. Erst nach zwei bis drei funktionierenden Treffen habe ich dann die Einlader
zusammengerufen und miteinander bekannt gemacht. Wir hatten 16 Zustellbezirke plus Sortierung, bei der ich
bis heute noch nicht richtig drin bin. Aus den 16 Bezirken bildeten sich zehn Gruppen und bei den anderen
hatte ich Einzelpersonen.
Anfänglich dachte ich, dieser
systematisch strukturierte psychische Druck auf die Beschäftigten muss doch jemand in der Presse
interessieren. Doch dem war nicht so. Erst als ich meine Botschaft geändert habe, ist die Presse
aufgesprungen. Die Botschaft war: Der rot-rote Senat beschäftigt ein Unternehmen, bei dem ein Drittel
der Beschäftigten ALG II bezieht, da sie so wenig verdienen, dass der Staat ihren Verdienst aufstocken
muss. Das kam dann bei Frontal 21 und in andern Kanälen.
Hast du über Öffentlichkeitsarbeit etwas erreichen können?
Ich bin Mitglied von WASG und Linkspartei, allerdings erst seit letztem Jahr. Ich wollte innerhalb der
Linkspartei auch Politik machen in Bezug auf die Pin AG. Dort hörte man sich zwar an, was wir zu sagen
hatten, dann bekam man symbolisch betrachtet einen Klaps auf den Po mit der Empfehlung: Nun verschwindet
mal wieder.
Erst als ich den Druck über die Medien
erhöhen konnte, wurde der Senat aktiv. Diesen Druck habe ich auf mehreren Schienen aufgebaut. Durch
die Öffentlichkeitsarbeit und indem ich mit den Personalräten der Bezirksverwaltung
zusammenarbeitete und ihnen sagte, sie sollen doch mal ihren Arbeitgeber anspitzen und ihre Missbilligung
der Vergabepraxis erklären.
Das dritte Standbein, das Druck
entwickelte, war die Einbeziehung der Kunden. Als ich mir irgendwann die Kunden der Pin AG genauer
angeschaut habe, fand ich plötzlich zwei Gewerkschaften, die jüdische Gemeinde und die
evangelische Kirche. Zuerst sagte ich mir: Die müssen sofort ihre Geschäftsbeziehungen beenden.
Doch dann wurde mir klar: Kunden können Druck machen, was Ex-Kunden viel weniger können. Deshalb
habe ich diese Kunden angeschrieben und sie zu einem Gespräch gebeten. Die kamen auch. Doch
mehrheitlich waren es die Kleinkunden, auf die die Pin AG sicher gerne verzichtet hätte, wenn sie nach
deren Verlust damit Ruhe vor den gewerkschaftlichen Querköpfen gehabt hätte.
Der entscheidende Hebel waren die
Großkunden: Die Polizeigewerkschaft hat natürlich durchaus Einfluss auf die Polizei. Und wir als
Ver.di hatten Einfluss auf die BSR, die BVG, auf die Gasag und auf die AOK. Da sitzen wir ja überall
in den Aufsichtsräten drin. Irgendwann hatte ich dann eine Erklärung dieser Unternehmen, dass sie
daran mitwirken wollen die Pin AG dazu zu bewegen anständige Arbeitsbedingungen zu garantieren. Das
war der Punkt, an dem die Pin AG eingeknickt ist. Zu diesem Zeitpunkt aber der Senat auch schon so weit,
dass er das Vergabegesetz geändert hatte.
Im Koalitionsvertrag von SPD und
Linkspartei wurde vereinbart, dass Tariftreue ein Kriterium bei der Vergabe von öffentlichen
Leistungen sein soll. Das hat ganz gut geklappt und allein diese Aussage führte dazu, dass die Pin AG
auf uns zugekommen ist zwecks Aufnahme von Tarifverhandlungen. Am 22.Mai ist jetzt das zweite
Sondierungsgespräch und danach gehen die Tarifverhandlungen los. Bundesweit.
Die verschiedenen Tarifarchive, die es gibt, geben ja Auskunft darüber, was es mitunter
heißt, wenn im Dienstleistungsbereich Tarifverträge abgeschlossen werden. Es gibt da ja Beispiele
von Tariflöhnen, die kaum über 3 Euro liegen. Was bedeutet das für die von dir ins Auge
gefassten Tarifverhandlungen? Liegen die dann auch unterhalb des von Ver.di propagierten Mindestlohns von
7,50 Euro oder wo wird dieser Tarif liegen?
Wenn dieser Tarifvertrag nicht deutlicher besser ist als diese 7,50 Euro, werden wir hier keinen
Tarifvertrag abschließen. Ein Fortschritt ist es natürlich vor diesem Hintergrund schon, wenn die
Tarife nicht mehr unter 7,50 Euro liegen. Das tun wir aber seit zwei Jahren auch nicht mehr. Da lassen wir
die Branche dann lieber untertarifiert. Mit dem Mindestlohn können wir die Entwicklung ein wenig
abmildern. Aber die Folgen der Privatisierungsorgie können wir so nicht beseitigen.
Was passiert jetzt eigentlich mit Jurex? Müssen die, nachdem dieser Sumpf im öffentlich-
rechtlichen Fernsehen zu besichtigen war, jetzt dichtmachen?
Eine von Jurex 53 GmbHs wurde jetzt dicht gemacht. Den gekündigten Beschäftigten bot
man an, in der GmbH nebenan weiterzuarbeiten, für einen schlechteren Lohn. Nachdem wir sie so richtig
aufs Korn genommen haben [siehe SoZ 5/07] flogen sie aus der Vermittlung des Arbeitsamts raus.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |