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Der Streik
der T-Com-Beschäftigten gegen die Ausgliederung von 50000 Beschäftigten,
Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzung ging bei Redaktionsschluss in die zweite Woche. 15000
Beschäftigte waren beteiligt mit Schwerpnkten in Bayern, NRW, Berlin und Brandenburg. Der Autor
diskutiert Stärken und Schwächen der Streiktaktik von Ver.di.
"Erstmals seit ihrer Privatisierung
vor 12 Jahren steht der bedeutendsten europäischen Telefongesellschaft ein Streik bevor, der nicht von
Pappe ist." Da hat der Spiegel nicht unrecht. Man darf getrost davon ausgehen, dass Obermann & Co
in diesem Streik voll auf Konfrontation setzen werden. Fairplay ist für die Ritter des Shareholder
Value ein Fremdwort.
Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass mit
einer weiteren Verschärfung der Auseinandersetzung zu rechnen ist zumal Obermann seine
persönliche Karriere mit dem Ausgang des Streiks verknüpft hat. Schon fast Standard sind die
derzeit von Obermann gezielt gestreuten Schreckensmeldungen, wonach das Unternehmen alsbald in
ausländische Hände fallen wird, wenn er mit seinem Horrorkatalog nicht durchkommt.
Ver.di und die T-Com-Beschäftigten
haben allen Grund, Obermanns Aussage ernstzunehmen: "Wir haben uns so gut wie möglich auf den
Streik vorbereitet und werden alles dafür tun, dass unsere Kunden wenig davon merken." Schon
jetzt klagt Ver.di über Schikanen, mit denen die Telekom die Streikenden unter Druck zu setzen
versucht. "Es wird sogar mit Kündigung gedroht", sagte Streikleiter Ado Wilhelm der Bild am
Sonntag. "Teilweise werden Diensthandys eingesammelt und die SMS kontrolliert, um nachzugucken, wie
wir uns organisieren."
Wer nicht am Streik teilnimmt, soll vom
Unternehmen einen Judaslohn von 300 Euro bekommen. In der Financial Times Deutschland vom 10.Mai wurde
schon einmal eine Variante lanciert, wie man Ver.di überrumpeln könnte: Man könnte die
Beschäftigten der Call-Center aus der Festnetzsparte T-Com herausnehmen und zur Mobilfunktochter T-
Mobile verschieben. Dort liegt das Einkommensniveau deutlich unter dem von T-Com, und bei einer
Verschiebung würde nach dem Betriebsübergang sofort der schlechtere T-Mobile-Tarifvertrag
wirksam.
Das Kapitallager ist insgesamt
zuversichtlich, dass das Management in der Auseinandersetzung letztendlich die Oberhand behalten wird.
Großkunden erwarten keine besonderen Beeinträchtigungen durch den Streik, und die Börse
reagierte auf das Ergebnis der Urabstimmung ausgesprochen gelassen.
Tatsächlich wird es Ver.di einiges abverlangen, ein zu allem entschlossenes Management zum
Einlenken zu zwingen. Leider werden die ersten Ankündigungen Ver.dis dem Ernst der Lage nicht gerecht.
Manchmal bekommt man den Eindruck, als zögere die Ver.di-Spitze, die Konfrontation anzunehmen. Wenn
Ver.di-Verhandlungsführer Lothar Schröder unmittelbar nach der Urabstimmung sagt, es habe schon
Fälle gegeben, wo ein Unternehmen sofort nach der Ankündigung eines Streiks eingelenkt habe, ist
das schlicht weltfremd. Ziemlich nichtssagend ist auch die Ver.di-Aussage, man wolle nicht die Privatkunden
und auch nicht die Großkunden, sondern lediglich das Unternehmen Telekom treffen. Wie soll das bei
einem Dienstleistungsunternehmen gehen, wenn nicht durch Maßnahmen, die die Kunden in irgendeiner Form
treffen?
Gewiss gibt es einige besonders sensible
Bereiche in der Telekom, wo relativ kleine Beschäftigtengruppen maximale Wirkung entfalten
können. Das ist sicherlich wichtig, aber eine Strategie der kleinen Nadelstiche allein wird nicht
ausreichen, um hinreichenden ökonomischen Druck auszuüben. In Bereichen wie den Call-Centern
entfaltet sich die Wirkung erst, wenn längere Zeit bundesweit ein Vollstreik stattfindet. Wer aus Bad
Tölz wegen einer Reklamation bei der Telekom anruft, kann dank der ACD-Anlage durchaus bei einer
Telekom-Mitarbeiterin in Ostfriesland landen. Damit der Streik hier richtig spürbar wird, reicht es
nicht, diesen Bereich lediglich ein oder zwei Tage zu bestreiken.
Ein weiteres Problem hat sich in den
Warnstreiks gezeigt. In den Call-Centern ist die Mobilisierung schwieriger als im technischen Service. Zum
einen ist dort das Regiment der Vorgesetzten schon fast totalitär und das Selbstbewusstsein der
Beschäftigten geringer als im technischen Service. Erschwerend kommt hinzu, dass hier der Anteil der
Beamten sehr hoch ist. Wenn Ver.di hier wirklich Druck ausüben will, muss die Gewerkschaft an das
Thema "Beamtenstreik" ran. Ähnlich stellt sich die Lage bei jenen Teilen des technischen
Kundenservice dar, die die Datenleitungen einrichten bzw. entstören. Auch hier entfaltet der Streik
erst bei längeren Arbeitsniederlegungen seine Wirkung und der Anteil der Beamten ist nicht
unbedeutend.
Am besten sieht es im klassischen
Arbeiterbereich aus, bei den Technikern, die zum Kunden vor Ort gehen, oder jenen, die eine
Kabelstörung beheben sollen hier ist noch am ehesten ein lokaler Bezug gegeben. Und wenn die
Disponenten mitziehen, kann hier auch ein Einsatz von Streikbrechern oder Leiharbeiterfirmen unwirksam
gemacht werden.
Grundsätzlich stellt sich in einem
Streik bei der Telekom noch ein Problem, das es bei klassischen Industriebetrieben in der Regel nicht gibt.
In den Bürokomplexen der Telekom-Niederlassungen sind eine Vielzahl von unterschiedlichen Betrieben
untergebracht. Da kommt es häufig vor, dass nur eine Minderheit dieser Kollegen streikberechtigt ist.
Daher gibt es Probleme mit den Streikposten. Welcher Kollege darf rein in den Betrieb und welcher ist ein
Streikbrecher? Durch die vielen Beamten wird die Sache nicht gerade einfacher. Hinzu kommt: Bei der Telekom
ist ein entschlossenes Vorgehen gegen Streikbrecher durchaus nicht Standard. Es gibt wohl viele Telekom-
Standorte, wo Streikbrecher ohne große Behinderung in den Betrieb reinkommen.
Insbesondere in ländlichen Niederlassungen und in Landesbezirken mit stark ausgeprägter Co-
Management-Tradition mangelt es auch an der Bereitschaft und Fähigkeit, die nicht vom Streik
betroffenen Belegschaften einzubinden. Bei den bisherigen Warnstreiks gingen z.B. Kollegen aus jenem Teil
der T-Com, der nicht T-Service zugeschlagen werden soll, an den Warnstreikenden vorbei in den Betrieb,
obwohl sie von ihren Gleitzeitkonten hätten Gebrauch machen und so durchaus ein oder zwei Stunden ihre
Solidarität mit den Streikenden hätten demonstrieren können. Ganz zu Schweigen von den
Beschäftigten anderer Konzernteile wie T-Systems oder T-Mobile.
Anders der als kämpferisch geltende
Landesbezirk Bayern. Er hat in der Warnstreikphase auch in kleineren Städten wie Bamberg, Weiden,
Kempten oder Traunstein aus dem Betrieb heraus Demonstrationen in die Stadt zuwege gebracht was nur
unter Beteiligung von Kollegen aus nichtstreikberechtigten Unternehmensteilen möglich ist. Aus Bayern
wird auch gemeldet, dass Teile von T-Systems sich mit ihren Kollegen von T-Service öffentlich
solidarisierten was wiederum in anderen Landesbezirken eher die Ausnahme ist. Es scheint so, als ob
auch andere Ver.di-Landesbezirke allen Grund hätten, dem bayrischen Vorbild nachzueifern.
Und eine letzte Baustelle sei genannt: die
Öffentlichkeit. Schon jetzt machen unternehmernahe Medien Stimmung gegen den Streik, was sicherlich
noch stärker werden wird, wenn es bei der Verschärfung des Streiks zu Beeinträchtigungen
kommt. Dem muss entgegengetreten werden, sonst wendet sich die öffentliche Meinung gegen die
Streikenden. Die Öffentlichkeitsarbeit gegenüber den "Kunden" der Telekom ist also von
entscheidender Bedeutung. Presseerklärungen der Bundesleitung von Ver.di werden nicht ausreichen. Die
Beschäftigten müssen regional offensiv für ihre Belange eintreten. Hier wären
örtliche Solidaritätsaktivitäten, getragen von anderen Ver.di-Fachbereichen, IG-Metall-
Kollegen sowie örtlichen DGB-Ortsvereinen äußerst hilfreich.
Dieser Streik wird in der ganzen Republik mit Interesse verfolgt. Der Ausgang des Kräftemessens
zwischen Telekom-Beschäftigten und Management wird Folgen haben. Noch nie hat ein Konzern einer so
hohen Zahl von Beschäftigten auf einen Schlag so viel mehr Arbeit für soviel weniger Geld
aufgenötigt. Andere Konzerne würden sofort nachziehen. Der Kampf der Telekom-Beschäftigten
geht also alle an. Eine Zusammenarbeit mit anderen Beschäftigtengruppen drängt sich geradezu auf
gemeinsame Streiks kombiniert mit Kundgebungen. Man denke an Ver.dis Tarifauseinandersetzungen im
Einzel- und Großhandel und an die ankündigten Entlassungen bei Nokia-Siemens und bei Alcatel-
Lucent. "Wenn das durchgeht", sagte Ver.di-Verhandlungsführer Lothar Schröder über
Obermanns Programm für Billigarbeit, ist das "die Blaupause für eine neue, andere
Republik".
Das gilt es zu verhindern! Alle gemeinsam!
14.5.2007
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