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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2007, Seite 08

Nach dem Wahlerfolg für Die Linke in Bremen

An die Menschen ran

Gespräch mit Peter Erlanson

Deer Wahlerfolg für Die Linke in Bremen hat hohe Wellen geschlagen. Die PDS-Führung in Berlin kommentierte sie als "endlich erreichte Vereinigung von Ost und West", die bürgerlichen Kommentatoren machten sich Gedanken über künftig vielleicht notwendige Dreierkoalitionen auch im Bund. Für die SoZ sprach Angela Klein mit dem Spitzenkandidaten Peter Erlanson. Er ist Personalrat im Klinikum, das privatisiert werden soll.

Der Wahlerfolg kam in dieser Höhe doch überraschend. Hast du dafür eine Erklärung?

Bei der letzten Bundestagswahl hatten wir 8,4%. Wir konnten also einschätzen, dass wir ein Potenzial in Bremen haben. Hier haben auch die Grünen einmal angefangen, es gibt in dieser Stadt eine linksliberale Stimmung. Im Wahlkampf standen wir vor der Frage: Wie schöpfen wir dieses Potenzial am ehesten aus? Das ist zum einen dadurch gelungen, dass wir eine bunte Mannschaft hatten und uns die Abwehr der Einmischungsversuche von oben Sympathien gebracht hat. Bunte Truppe hieß auch, dass wir verschiedene Facetten der Gesellschaft ausleuchten konnten — von Gewerkschaften über Migranten bis zur DKP. Das war ein Teil des Erfolgs.
Wir hatten Glück dass die Medien aus geleitetem Interesse uns fair behandelt haben. Die Lokalpresse, die in CDU-Hand liegt, wollte natürlich, dass die Große Koalition fortgesetzt wird. Dazu mussten sie alles tun, was der SPD schadet, und deshalb haben sie über uns neutral berichtet. Das Konzept ist aufgegangen: Die Wählerwanderung zu uns war am stärksten von der SPD (6000 Stimmen), von den Grünen haben 4000 Stimmen bekommen, wir haben auch 2000 Nichtwähler gewinnen können.
Ein dritter Faktor war, dass wir einen Straßenwahlkampf geführt haben. Wir haben nicht so überprofessionelle Sachen gemacht — es gab auch einige Veranstaltungen von Bundestagsabgeordneten, aber die dienten eher der Selbstvergewisserung der Szene. Wir hatten eine gute Plakatkampagne, die in sich schlüssig war, die Plakate waren in auffälligen Farben, sie hatten einen Wiedererkennungseffekt, und obwohl wir weniger Plakate hatten als die anderen, sind wir damit gut aufgefallen; wir hatten einheitliche Westen und Taschen — und das ergab ein abgerundetes Erscheinungsbild. Wenn wir ausgeschwärmt sind, hat man uns gleich erkannt: Ah, da ist Die Linke. Wenn wir am Rückeingang von Supermärkten standen, wo die Leute rausgehen, die mit der Bahn und nicht mit dem Auto kommen, sind wir angesprochen worden: Schön, dass ihr da seid, dass man euch sieht, wir wählen euch, ihr seid authentisch...

Im Vergleich zur Bundestagswahl konntet ihr das Potenzial aber nicht ganz ausschöpfen?

Teilweise erklärt sich das daraus, dass die Wahlbeteiligung nochmal gesunken ist. Das letzte Mal lag sie bei 61%, jetzt bei knapp 58%. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass wir noch mehr Menschen hätten erreichen können, wenn wir selber mehr Leute gehabt hätte. Man muss deutlich sagen: Wir haben noch keine soziale Basis in der Stadt: Viele haben uns aus Sympathie gewählt, andere aus strategischen Gründen, andere weil sie meinte, es gibt jetzt mal eine Wahlalternative, warum mache ich nicht mal da ein Kreuz? Wenn wir mehr Leute gehabt hätten, dann hätten wir das Straßenwahlkampfkonzept, das uns zu den Leuten vor Ort führt, noch ausweiten können. Das müssen wir uns jetzt as Aufgabe für die nächsten vier Jahre stellen.

Ihr habt eine konsequente Opposition angekündigt. Wie konzipierst du die Tätigkeit der Fraktion in der Bürgerschaft?

Wir stehen natürlich noch völlig am Anfang. Wir werden versuchen, konsequente Opposition im Parlamentsbetrieb zu machen — das kann aber nur die eine Seite sein. Wenn wir uns völlig auf dieses Parlamentsspiel einlassen, dann werden wir im Endeffekt gegenüber den anderen Fraktionen immer den Kürzeren ziehen — weil wir immer zu wenig wissenschaftliche Mitarbeiter haben, zu wenig Kenntnisse, und wir werden mit Akten zugemüllt. Die Gefahr sehe ich.
Wir müssen uns auf unsere Themen konzentrieren, daraus Aktionen entwickeln und dann müssen wir raus gehen. Wir müssen uns draußen unsere soziale Basis schaffen, Stichwort: Bürgerbüros; Verbindungen knüpfen zu den sozialen Bewegungen, was kann man gemeinsam machen?

Welche Schwerpunkte habt ihr euch vorgenommen?

Die soziale Frage: Bei uns stehen die Zwangsumzüge an, es wird Deputationssitzungen geben, wo wir als Abgeordnete hingehen werden, aber auch mit den Betroffenen. Wir wollen auch nochmal an die 1-Euro-Jobs rangehen, es gibt da das Modell: aus 4 mach 3. Vier 1-Euro-Jobs werden in drei sozialversicherungspflichtige und tariflich bezahlte Jobs umgewandelt. Wir könnten mit Bündnissen zusammen neue Träger gründen, damit auch die Inhalte der Arbeit andere werden, Pilotprojekte machen und versuchen sie durchzusetzen. Wenn man den Zwang weghaben will, muss man Unterstützung geben, dass Menschen sich eine sinnvolle Beschäftigung suchen können. Dann werden wir darauf dringen, dass ein Sozialticket eingeführt wird.

Man wollte dich in Berlin als Spitzenkandidat nicht haben, jetzt heftet man sich den Erfolg stolz an die Brust. Wie gehst du damit um?

Gelassen. Ich bin als Bewegungspolitiker schon lange unterwegs, das schockt mich nicht. Wir haben uns gewehrt, das hat uns gut angestanden, jetzt müssen sie mit uns rechnen.

Werden die Versuche fortgesetzt, bei euch hinein zu regieren?

So direkt noch nicht. Sie haben auch ein ganzes Stück Respekt, denn das hätten sie so nicht erwartet. Dass es immer solche Versuche geben wird, das glaube ich schon. Parteiapparate sind Parteiapparate. Wenn wir es im Laufe der Zeit nicht hinkriegen, dass die Partei nicht nur eine Vereinigte Linke, sondern auch eine Neue Linke darstellt, wird das Projekt sowieso scheitern. Was das Neue daran ist, das müssen wir noch herausfinden, da passen die alten Apparatstrukturen der Linken nicht mehr dazu. Aber das ist eine schwierige Aufgabe.


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