SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2007, Seite 24

Der Sklavenaufstand von Haiti

von C.L.R.James

Die französische Nationalversammlung erklärte 1789, alle Menschen seien gleich und frei geboren, aber sie weigerte sich die Freiheit und Gleichheit für die Sklaven in ihren Kolonien anzuerkennen. Die Französische Revolution hatte in den Kolonien in Amerika Aufstände auf allen Inseln zur Folge, in Grenada, St.Vincent, St.Lucia, Martinique, Dominica, Guadeloupe, Antigua. Berühmt wurde vor allem die Revolution im französischen Teil von Santo Domingo, dem heutigen Haiti, unter Führung von Toussaint L‘Ouverture und Jean-Jacques Dessalines. Die französische Nationalversammlung hatte 1790 dekretiert, dass die Mulatten der Kolonien, die Land besaßen und Steuern zahlten, die Bürgerrechte, einschließlich des Wahlrechts, genießen sollten. In Haiti verweigerte die Kolonialverwaltung den Mulatten dieses Recht, und diese rebellierten 1790. Die Franzosen unterdrückten die Rebellion mit Hilfe schwarzer Freiwilliger. 1791 begann in Haiti die Rebellion der schwarzen Sklaven. Die Weißen der Stadt Cap François konnten jedoch die Revolte ersticken. Zehntausend Schwarze und zweitausend Weiße wurden getötet. Nach der Niederlage der Sklavenrebellion im Norden gab es eine Revolte der Mulatten im Süden und Westen Haitis. Die französische Nationalversammlung forderte, den Mulatten in der Kolonie gleiche Rechte zu gewähren. Es kam zu einer Spaltung unter den Weißen Haitis — zwischen denjenigen, die die Befehle der Revolutionäre in Paris akzeptierten, und denjenigen, die sie missachteten. Im April 1793 besiegten französische republikanische Truppen zusammen mit Tausenden bewaffneter Schwarzer die weißen royalistischen Streitkräfte in Cap François. Im August 1793 wurde die Sklaverei in Haiti abgeschafft. Bei dem folgenden Text handelt es sich um zwei Auszüge aus der klassischer Darstellung der haitianischen Revolution von 1790 bis 1804: The Black Jacobins. Toussaint L‘Ouverture and the San Domingo Revolution (1938) von C.L.R.James.

Prolog

Christoph Kolumbus landete in der Neuen Welt zuerst auf der Insel San Salvador. Nachdem er Gott gelobt hatte, forschte er eifrig nach Gold. Die einheimischen Indianer waren friedfertige und freundliche Leute. Sie empfahlen ihm Haiti, eine große Insel (annähernd von der Ausdehnung Irlands), wo dies gelbe Metall reichlich zu finden sei. Als eines seiner Schiffe strandete, halfen ihm die haitischen Indianer so bereitwillig, dass sehr wenig verlorenging, und von den Gegenständen, die sie an Land schafften, wurde kein einziger gestohlen.
Die Spanier annektierten die Insel, nannten sie Hispaniola und unterstellten die rückständigen Einwohner ihrem Schutz. Sie führten das Christentum ein, Zwangsarbeit in den Bergwerken, Mord, Notzucht, Bluthunde, unbekannte Krankheiten und eine künstliche Hungersnot (indem sie Bodenkulturen zerstörten, um die Rebellen auszuhungern). Infolge dieser und anderer Erfordernisse der höheren Zivilisation verringerte sich die Zahl der Ureinwohner in fünfzehn Jahren von schätzungsweise einer halben, vielleicht einer ganzen Million auf 60000.
Der Dominikanerpriester Las Casas, ein Mann mit Gewissen, fuhr nach Spanien, um für die Aufhebung der Sklaverei zu plädieren. Aber wie sollte die Kolonie ohne Druck fortbestehen?
Die spanische Regierung entschied sich für einen Kompromiss, sie schuf ein Gesetz, das Zwangsarbeit dem Buchstaben nach beseitigte, während ihre Vertreter in den Kolonien sie weiter praktizierten. Las Casas, von der Befürchtung getrieben, am Ende einer Generation eine ganze Population ausgelöscht zu sehen, suchte einen Ausweg. Er empfahl, robustere Arbeitskräfte, Neger aus dem bevölkerungsreichen Afrika einzuführen; 1517 genehmigte Karl V. den Export von 15000 Sklaven nach San Domingo, und so bescherten Priester und König der Welt den amerikanischen Sklavenhandel und die amerikanische Sklaverei.

Die Massen San Domingos beginnen

Die Sklaven bearbeiteten das Land, und wie revolutionäre Bauern überall in der Welt verfolgten sie das Ziel, ihre Unterdrücker zu vernichten; aber da sie auf den riesigen Zuckerplantagen der Nordebene in Gruppen von Hunderten zusammen arbeiteten und lebten, hatten sie viel mit dem modernen Proletariat gemein. So war der Aufstand gründlich vorbereitet, eine gut organisierte Massenbewegung. Bittere Erfahrungen hatten gelehrt, dass isolierte Anstrengungen zum Scheitern verurteilt waren. Während der ersten Monate des Jahres 1791 trafen sie in und um Le Cap die letzten Maßregeln. Der Voodooismus bildete das geistige Medium der Verschwörung. Trotz aller Verbote wanderten die Sklaven Meilen, um zu singen und zu tanzen, Riten und Gespräche zu pflegen, und neuerdings — seit dem Ausbruch der [französischen] Revolution — auch, um politische Neuigkeiten zu erfahren und Pläne zu schmieden. Boukman, ein Papaloi oder Hoherpriester, ein riesiger Neger, Vorarbeiter einer Plantage, war ihr Führer. Er verfolgte die politische Entwicklung unter Weißen und Mulatten gleichermaßen. Ende Juli 1791 waren die Schwarzen in und um Le Cap bereit und warteten auf das Zeichen. Der Plan sah einen Massenaufstand, die Vernichtung der Weißen und die Übernahme der Kolonie vor. Es gab rund 12000 Sklaven in Le Cap, 6000 von ihnen waren Männer. Eines Nachts sollten die Sklaven der Vororte und Außenbezirke die Plantagen niederbrennen. Die Flammen waren für die in der Stadt das Signal, die Weißen zu massakrieren. Die Sklaven der Ebene würden das Zerstörungswerk vollenden. Seit Mackendals Giftanschlägen hatten sie einen weiten, weiten Weg zurückgelegt.
Der Plan hatte keinen hundertprozentigen Erfolg, aber er kam seinem Ziel sehr nahe, und Ausmaß und Organisation der Revolte qualifizierten Boukman zum ersten der großen Führer, die in den nachfolgenden Jahren zahlreich und rasch aus den Reihen der Sklaven hervorgehen sollten. Dass eine so breitangelegte Konspiration nicht aufgedeckt wurde, ehe sie ausgebrochen war, bezeugt die Solidarität, die unter den Aufständischen herrschte. Anfang August erhoben sich die Sklaven von Limbé, das bis zum Ende der Revolution ein Aufstandszentrum blieb. Die Erhebung hatte verfrüht begonnen und wurde im Keime erstickt, aber sie zeigte, dass es gefährlich war, den allgemeinen Aufstand zu lange hinauszuzögern. Drei Tage später versammelten sich Vertreter aller Gemeinden der Ebene, um den Zeitpunkt festzulegen. Deputierte, die zur Tagung der Kolonialversammlung — sie sollte am 25.August eröffnet werden — nach Le Cap unterwegs waren, stießen auf Sklavenscharen, die die Straßen versperrten, die Abgeordneten verhöhnten und sogar tätlich wurden... Am 21.August gab es ein paar Gefangene. De Blanchelande, der Gouverneur, verhörte sie am nächsten Tag persönlich. Er bekam nicht viel heraus, gewann aber den verschwommenen Eindruck, dass irgendetwas im Gange war. Er ergriff Vorsichtsmaßregeln, um die Stadt vor den Sklaven, die in ihr lebten, zu schützen und befahl, die Außenbezirke durch Patrouillen bewachen zu lassen. Doch die Weißen hielten die verachteten Sklaven für unfähig, eine ausgedehnte Massenbewegung zu organisieren. Die Namen der Anführer wurden von den Gefangenen nicht preisgegeben, und es war unmöglich, blindlings gegen Tausende von Sklaven auf Hunderten von Plantagen vorzugehen. Einige weiße Plünderer wurden in Le Cap festgenommen und überführt, in ein Komplott verstrickt zu sein. De Blanchelande fürchtete diese Verschwörer mehr als die Neger.
In der Nacht des 22. tobte ein Tropensturm mit Blitzen, Böen und schweren Regenschauern. Die Führer der Revolte trugen Fackeln auf ihrem Weg zum Versammlungsort, einem freien Platz in den dichten Wäldern des Morne Rouge, eines Berges, von dem aus Le Cap zu überschauen war. Dort erteilte Boukman seine letzten Anweisungen. Dann folgten Voodoobeschwörungen, das Blut eines abgestochenen Schweins wurde getrunken, und schließlich stimulierte er seine Anhänger durch ein Gebet, das er auf kreolisch sprach und dessen Wortlaut wie so mancher anderer Text, der aus ähnlichem Anlass vorgetragen wurde, erhalten geblieben ist.
"Der Gott, der die Sonne schuf, die uns Licht gibt, der die Wellen bewegt und über den Sturm herrscht, der beobachtet uns, obgleich er in den Wolken verborgen ist. Er sieht alles, was der weiße Mann tut. Der Gott des weißen Mannes ermuntert zum Verbrechen, aber unser Gott ruft uns auf, gute Werke zu tun. Unser Gott, der gut zu uns ist, befiehlt uns, dass wir uns für das Unrecht rächen. Er wird unsere Waffen lenken und uns helfen. Werft fort das Symbol des Gottes der Weißen, der uns so oft das Weinen gelehrt hat, und lauscht der Stimme der Freiheit, die in unser aller Herzen spricht."
Das Symbol der Weißen war das Kreuz, das sie als Katholiken am Hals trugen.
In dieser Nacht fingen sie an. Die Sklaven der Gallifet- Plantage wurden so gut behandelt, dass eine Redewendung der Sklaven "glücklich wie die Neger von Gallifet" zum geflügelten Wort wurde, doch durch ein Phänomen, das man bei allen Aufständen feststellen kann, lieferten gerade sie das Beispiel. Jede Sklavengruppe ermordete ihre Herren und brannte die Plantage nieder. Die Vorkehrungen die de Blanchelande getroffen hatte, retteten Le Cap, aber alles andere zeugte von einer gründlichen und umfassenden Vorbereitung. Nach wenigen Tagen war eine Hälfte der berühmten Nordebene in flammende Ruinen verwandelt, der Horizont von Le Cap aus eine geschlossene Feuersbrunst. Unablässig quollen dicke schwarze Rauchwolken, durch die einzelne Flammen bis zum Himmel aufzüngelten. Fast drei Wochen lang konnten die Leute in Le Cap die Nacht kaum vom Tag unterscheiden, während ein Regen aus brennenden Zuckerrohrstücken, vom Wind wie Schneeflocken gepeitscht, über die Stadt und den Hafen trieb und Häuser und Schiffe zu vernichten drohte.
Die Sklaven zerstörten unermüdlich. Wie die Bauern in der Jacquerie, dem größten nordostfranzösischen Bauernaufstand, oder die britischen Maschinenstürmer der Ludditenbewegung suchten sie ihr Heil in der Beseitigung dessen, was nach ihrer Erfahrung die Ursache allen Übels war, und wenn sie viel zerstörten, dann darum, weil sie viel gelitten hatten. Sie wussten, solange es diese Plantagen gab, würden sie bis zum Zusammenbruch darauf arbeiten müssen. Sie zu vernichten war der einzige Ausweg. Ihre Herren hatten es ihnen vorgemacht: Vergewaltigung, Folter, Erniedrigung und bei dem geringsten Vergehen der Tod. Nun zahlten sie es ihnen mit gleicher Münze heim. Zwei Jahrhunderte lang hatte ihnen die höhere Zivilisation gezeigt, dass Macht gebraucht wird, um dem Beherrschten den Willen der Mächtigen aufzuzwingen. Jetzt besaßen sie die Macht und taten, wie man es sie gelehrt hatte. In der ersten Raserei töteten sie jeden, schonten nur die Priester, die sie fürchteten, und die Ärzte, die freundlich zu ihnen gewesen waren. Sie, deren Frauen ungezählte Male Notzüchtigung hatten erdulden müssen, schändeten alle Frauen, die ihnen in die Hände fielen, häufig auf den blutenden Körpern ihrer Männer, Väter, Brüder. "Rache! Rache!" war der Kriegsruf, und einer trug als Standarte ein weißes Kind auf einem Spieß vor ihnen her.
Und doch waren sie erstaunlich zurückhaltend, damals und auch später, weitaus humaner als ihre Herren ihnen gegenüber gewesen waren oder jemals sein würden. Der Geist der Rache beseelte sie nicht lange. Die Grausamkeiten der Besitzenden und Privilegierten sind stets schrecklicher als die Sühne der Armen und Unterdrückten, denn die einen wollen schreiendes Unrecht verewigen, die anderen lassen sich lediglich von einer momentanen Aufwallung bald gestillter Leidenschaften leiten. Je weiter die Revolution um sich griff, desto mehr Männer, Frauen und Kinder, die die Angreifer auf den Plantagen überraschten, wurden geschont. Nur Kriegsgefangenen gegenüber blieben sie gnadenlos. Mit rotglühenden Zangen rissen sie ihnen Fleischstücke heraus, brieten sie auf niedrigem Feuer, einen Zimmermann zersägten sie zwischen zwei Brettern. Doch kein Bericht aus jener Zeit erwähnt eine einzige so teuflische Folter wie einen Mann bis zum Halse einzugraben und seine Gesichtshöhlen zu verschmieren, um Insekten anzulocken, oder ihn mit Schießpulver zu zersprengen oder eine der tausendundeinen anderen Bestialitäten, die ihren Brüdern angetan worden waren. Verglichen mit den kaltblütigen Schandtaten ihrer Herren war, was sie begingen, unbedeutend, aber sie wurden vorwärtsgetrieben durch die Grausamkeiten, die die Weißen in Le Cap gegen jeden gefangenen Sklaven verübten.

Aus: C.L.R.James: Die schwarzen Jakobiner. Toussaint L‘Ouverture und die San-Domingo-Revolution, Berlin: Neues Leben 1984, S.7/8, 100—106.

C.L.R. James (1901—1989), in Trinidad geboren, schloss sich in den 30er Jahren in Großbritannien der trotzkistischen Bewegung an, die er 1950 wegen Differenzen bei der Einschätzung des Stalinismus verließ. Danach verstand er sich als unabhängiger Marxist und profilierte sich vor allem als Publizist und Agitator für ein vom Kolonialismus befreites Afrika.



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