SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2007, Seite 03

Klima und G8-Gipfel

Effekthascherei und Kuhhandel

Merkel knickt ein auf die Linie von Bush

von Daniel Tanuro

Das G8-Treffen Anfang Juni hat gezeigt, wie der dringend notwendige Kampf gegen die Klimaveränderung instrumentalisiert und auf kriminelle Weise weiter aufgeschoben werden kann. Während sie Effekthascherei im großen Maßstab betrieben, haben die Herren der Welt den Interessen des Kapitalismus im Allgemeinen — und "ihrer" Kapitalisten im Besonderen — den Vorzug gegenüber der Erhaltung des Gleichgewichts der Biosphäre gegeben.
Obwohl die Getreidevorräte im Jahr 2006 aufgrund der Dürren auf 16% des weltweiten Verbrauchs gefallen sind, der Preis für Mais aufgrund der Begeisterung der US-Landwirte für die Produktion von Ethanol enorm gestiegen ist und der Strom der Klimaflüchtlinge anschwillt, haben sich die an der Ostseeküste versammelten Führer der G8 nur auf ein weiteres vages Versprechen einigen können: "Wir werden ein weltweites Ziel der Emissionsreduktion festlegen", und "wir werden aufmerksam die Beschlüsse der Europäischen Union, Kanadas und Japans prüfen, die vorsehen, die weltweiten Emissionen bis 2050 um mindestens die Hälfte zu reduzieren".
Angela Merkel hat sich dafür stark gemacht, eine Übereinkunft auf der Basis der im Post-Kyoto-Prozess gezogenen Linien zu erzielen. Dank des "Dialogs von Gleneagles" konnte sie versuchen, die USA und die großen Schwellenländer auf verpflichtende Prinzipien zum Klimaschutz festzulegen. Angelehnt an die EU und unterstützt von Japan schlug sie dem G8-Gipfel vor, sich für eine 50%ige Reduktion der weltweiten Emissionen bis 2050 auszusprechen. Dabei sollte der mittlere Temperaturanstieg im Vergleich zur vorindustriellen Zeit 2°C nicht übersteigen. Am Ende musste die Kanzlerin klein beigeben. Das hielt sie nicht davon ab, beim Abschluss des Gipfels von einem Erfolg zu sprechen. Die Unterstützung durch die Wähler muss durch Schlagzeilen abgesichert werden.
Eine detaillierte Untersuchung zeigt das Ausmaß von Merkels Medienzauberei. Das Ziel einer 50%igen Reduktion bspw. kann je nach Referenzjahr Unterschiedliches bedeuten. Deshalb scheint auch der kalifornische "Klimaplan" sehr radikal, wenn er eine 25%ige Reduktion bis 2020 vorsieht. Aber diese 25% sind eine Schätzung auf der Grundlage eines hypothetischen Emissionswerts, der 2020 erreicht werden würde, wenn keine Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Die Ziele von Kyoto hingegen sind auf der Grundlage des Jahres 1990 formuliert worden. Tatsächlich werden die kalifonischen Emissionen von Treibhausgasen auf den Wert von 1990 zurückgefahren — im Jahre 2020, acht Jahre nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls, das eine Verminderung der Emissionen um 7% vorsieht.
Die Frage des Referenzjahrs ist also kein nebensächliches Detail. Merkel weiß das, und es ist kein Zufall, dass sie dieses Projekt in keiner Weise präzisiert hat. Es geschah auch nicht aus wissenschaftlicher Unkenntnis, als die Kanzlerin (sie ist Physikerin) zwei miteinander völlig unvereinbare Ziele verteidigte: Um unter einer Grenze von 2°C Temperaturerhöhung zu bleiben, bedarf es einer Verminderung der Emission von Treibhausgasen von mindestens 80% bis 2050 — und nicht 50%. Es ist klar, dass die Präsidentin des Gipfels die große Retterin des Klimas spielen wollte, wie vor ihr schon Blair.

Bushs neue Rolle

In Heiligendamm hat G(lobal) W(arming) Bush seine Rolle als Klimaganove leicht modifiziert. Seine Verhinderungspolitik erscheint einem wichtigen Teil der herrschenden Klasse in den USA unhaltbar. Besonders angesichts des chinesischen Vorschlags, der die Behauptung, die ökonomisch aufstrebenden Länder würden nichts tun, Lügen strafte, konnte der Bewohner des Weißen Hauses nicht mehr als "Mister No" des Klimas auftreten.
Eine Woche vor dem Gipfel schlug er den 15 größten Emissionsverursachern vor, sich im Herbst zu treffen. Das Ziel: Die Abgleichung der jeweiligen nationalen Pläne zur Emissionskontrolle für die Zeit von 2012 bis 2030 und als Krönung des Ganzen eine nicht zwingende Vereinbarung über die weltweite Emission von Treibhausgasen. Die Rechtfertigung: Ein Vorgehen von unten nach oben ("bottom up") sei besser als eines von oben nach unten ("top bottom") wie das von Kyoto. Der Hintergrund: Wenn die USA einem Zeitplan zur Reduktion von Emissionen folgen müssen, soll es der von Kalifornien sein. Es kommt nicht in Frage, dass sie zu Reduktionszielen verpflichtet werden, die ihrer Situation als Hauptverantwortlicher für den Klimawandel entsprechen.
Das Manöver ist nicht ungeschickt. Neben dem innenpolitischen Druck in den USA müssen zwei andere Elemente berücksichtigt werden. Erstens: Die herrschenden Klassen der großen Entwicklungsländer wollen möglichst viele Möglichkeiten behalten, um eine kapitalistische Entwicklung auf der Grundlage fossiler Brennstoffe voranzutreiben. Sie haben es nicht eilig mit einer Einigung zwischen der EU, Japan und den USA über eine gemeinsame Klimapolitik, die die Länder des Südens unter erhöhten Druck setzen würde. Auch wenn dieser Druck wegen der ökologischen Schulden von Grund auf ungerecht ist, haben einige Regierungen die Tendenz, das Argument umzudrehen.
Zweitens: Die EU hat viel in die Führerschaft in der Klimafrage investiert. Sie kann diesen Vorteil aber nicht ohne eine weltweite Vereinbarung ausbauen, die die USA mit einschließt. Dank des europäischen Systems für den Emissionshandel ist z.B. die Londoner City gut platziert, zur Drehscheibe des Weltmarkts für Kohlenstoff zu werden. Aber damit dies geschieht, muss eine Verlängerung von Kyoto gefunden werden, die alle Parteien einbezieht. Eine Hand wäscht die andere — das ist das Niveau der Abschlusserklärung des G8-Gipfels.

Vereinbarungen und Kompromisse

Was sagt die Erklärung wirklich? Die Medien haben sich die beiden kurzen, bereits zitierten Sätze herausgegriffen. Man freut sich darüber, dass die Klimakonferenzen der UNO als "geeignete Instanz des Dialogs bei Verhandlungen" bestätigt werden. Diese Darstellung ist trügerisch, denn sie vermittelt den Eindruck, dass die Bush-Regierung nicht viel gewonnen habe. Die Abschlusserklärung übernimmt aber schlicht und ergreifend den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten: "Um der drängenden Herausforderung des Klimawandels zu begegnen, ist es entscheidend, dass die großen Ökonomien, die den größten Teil der Treibhausgase produzieren, sich bis Ende 2008 auf einen detaillierten Vorschlag zur Schaffung eines neuen internationalen Rahmens verständigen." Es wird sogar festgelegt, dass "im Rahmen des Prozesses, der alle großen Produzenten von Treibhausgasen umfasst", das "weltweite Ziel der Reduktion" neu definiert wird und dass eine 50%ige Verminderung "aufmerksam geprüft" werden wird.
Nichts garantiert also, dass Bushs Bottom- up-Methode zugunsten eines Vorgehens aufgegeben wird, das die physischen Zwänge des Klimas stärker berücksichtigt. In Bezug auf die Orte der Entscheidungsfindung bleibt die Erklärung sehr wirr. Sie scheint eher anzukündigen, dass man auf der Suche nach einem wackligen Kompromiss ist, der vor indiskreten Blicken geschützt werden soll.
Letztendlich scheint eine weltweite Übereinkunft, die deutlich über Kyoto hinausgeht, langfristig unvermeidlich. Die Situation verlangt dies objektiv. Die kapitalistischen Regierungen können nicht ewig fortfahren, (fast) nichts zu tun: Der soziale, ökonomische und politische Preis könnte viel zu hoch werden. Die Bedeutung der Klimafrage auf dem Gipfel in Heiligendamm ist Ausdruck dieser Realität.
Aber drei Dinge scheinen klar zu sein. Erstens: Das Fehlen jedweder imperialistischen Führung kompliziert die Angelegenheit ungemein. Zweitens: Die Vereinbarung, die die Herren der Welt eines Tages aus dem Hut ziehen werden, wird nicht erlauben, das Klima auf die beste noch mögliche Weise zu retten, sondern nur soweit es sich auszahlt. Drittens: Hunderte Millionen, ja Milliarden von Menschen — größtenteils Lohnabhängige und Arme — werden den Preis für diese zynische Politik zahlen. Unter diesen Bedingungen stößt die Lobbyarbeit der Umweltorganisationen deutlich an ihre Grenzen. Die Schaffung einer umfassenden weltweiten Mobilisierung zur Rettung des Klimas und für soziale Gerechtigkeit erweist sich als so dringlich wie nie zuvor.

(Übersetzung: Harald Etzbach)



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