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So etwas gabs noch nie. Ein Dax-30-Boss legt glänzende
Geschäftszahlen vor und wird am gleichen Tag gefeuert ohne dass ein Nachfolger feststünde.
So geschehen bei Siemens Ende April. Vorstandschef Klaus Kleinfeld präsentierte einen der besten
Quartalsberichte in der Konzerngeschichte.
Das Geschäft brummt, der Umsatz stieg
um 10%, das operative Ergebnis um knapp 50%, der Gewinn nach Steuern um 36%. Fast alle Konzernsparten haben
ihre Margenziele erreicht oder übertroffen. Kleinfeld prophezeite, im Verlauf des laufenden
Geschäftsjahres noch bessere Renditezahlen aus den Beschäftigten herauszupressen. Der Kurs der
Siemensaktie stieg seit Beginn des Jahres um 22%, der Aktienwert hatte sich also binnen vier Monaten um
fast ein Viertel erhöht, die Anleger waren zufrieden. Und dennoch war die (auf dem offiziellen Foto
wegretuschierte) Rolex-Uhr von Kleinfeld abgelaufen, er musste seinen Rücktritt erklären.
An den Korruptionsaffären und den an
die AUB (Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger) und deren Chef Schelsky gezahlten
Schmiergeldern kann es kaum gelegen haben. Die Verstrickungen in diesen Sumpf brachten den bisherigen
Aufsichtsratsvorsitzenden und langjährigen Siemensboss Heinrich von Pierer zu Fall. Er musste wenige
Tage vor Kleinfeld sein Amt als Aufsichtsratschef räumen.
Seinen Posten übernahm ThyssenKrupp-
Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, seit 2003 auch Mitglied des Siemens-Aufsichtsrats (AR). Er leitet den
Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats in Sachen Korruptionsaffäre und gilt als Vorsitzender der
Regierungskommission für transparente Unternehmensführung als "Mister Corporate
Governance", als "Saubermann der deutschen Wirtschaft".
Cromme lobte noch in der
Aufsichtsratssitzung, in der Kleinfeld den Bettel hinschmiss, die "entschlossene und erfolgreiche
Führung" des Konzerns, den "konsequenten Einsatz Kleinfelds" bei der Aufarbeitung der
Korruptionsaffäre.
Entlastung für Kleinfeld kam zudem aus
den USA. Zwar ermittelt wegen der Bestechungsaffären die allmächtige US-Börsenaufsicht SEC
gegen Siemens. Im Fall einer Verurteilung droht Siemens eine Geldstrafe von bis zu zwei Milliarden US-
Dollar, was auch die "Bank mit angeschlossener Elektroabteilung" nicht mehr als
"Peanuts" wegstecken könnte. Doch einen Tag vor besagter AR-Sitzung gaben die von Siemens
beauftragten externen Ermittler, die US-Kanzlei Debevois & Plimpton bekannt, dass bislang gegen
Kleinfeld nichts Belastendes gefunden worden sei.
Eine Vertragsverlängerung für
Kleinfeld hätte zudem eine Schutzklausel enthalten können: Falls Kleinfeld tatsächlich in
die Korruptionsaffäre verstrickt wäre, müsste er vorzeitig und ohne Abfindung gehen.
Wer und was steckt also hinter dem Rücktritt von Kleinfeld? Wer, das steht fest. Kleinfeld-
Lobpreiser Cromme führte zugleich den Dolch im Gewande. Er hatte auch den Sturz von Pierers betrieben,
sich ein wenig geziert, dann aber schnell den Aufsichtsratsvorsitz bei Siemens übernommen. In dieser
Funktion betrieb er sofort den Abgang von Kleinfeld.
Cromme war dabei nicht allein. Als
maßgebliche Strippenzieher des Kleinfeldsturzes gelten die Herren der Hochfinanz, die Siemens-
Aufsichtsratsmitglieder Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, und Henning Schulte-Noelle,
Aufsichtsratsvorsitzender des Versicherungsgiganten Allianz und deren früherer Chef. Der vierte im
Bunde der Königsmörder war der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende und Siemens-Aufsichtsrat
Berthold Huber. Siemens brauche "Klarheit" meinte dieser, damit sich das Unternehmen auf seine
eigentlichen Aufgaben konzentrieren könne. Möglicherweise sieht diese "Klarheit" bald
anders aus, als sich das Huber erträumt.
Cromme und die Vertreter der führenden
deutschen Finanzkonzerne betreiben offenbar unter der Devise "Neuanfang" eine totale
Neuausrichtung der Siemens-Konzernstrategie. Siemens verlor praktisch mit einem Schlag seine gesamte
Führungsspitze. Das sich auftuende Führungschaos und Machtvakuum aber könnte gewollt sein,
um Spekulationen und Spekulanten Tür und Tor zu öffnen.
Ein Externer an der Führungsspitze,
wie es vorgesehen ist, wäre wohl kaum in der Lage, das hochkomplexe Siemens-Imperium und -Konglomerat
so zu führen, dass der Konzern in seiner Gesamtheit mehr wert ist als die Summe seiner Einzelteile. Er
müsste Siemens deshalb rasch zerlegen. Ein solches Szenario wurde von Analysten und Investmentfonds
immer gefordert und auf mehreren Hauptversammlungen vorgetragen. Wortführer war dabei die Deutsche
Bank bzw. deren Investmentfonds DWS.
Und die Rolle von Saubermann Cromme, dem
jetzigen Siemens-Aufsichtsratschef? Der Ex-ThyssenKrupp-Chef hat keine Skrupel, wenn es um die Zerschlagung
von Konzernteilen im Interesse des Profits geht. Als Krupp-Chef räumte er ohne Hemmungen im Konzern
auf und ganze Belegschaften weg und walzte gegen den Willen und Widerstand einer ganzen Stadt das Stahlwerk
Rheinhausen platt.
Gerhard Cromme ist eine Schlüsselfigur
der internationalen Finanzoligarchie. Er sitzt in neun Aufsichtsräten. Neben ThyssenKrupp und Siemens
ist er in Schlüsselkonzernen wie Allianz, E.on und Springer vertreten. Er ist aber auch mit dem
französischen Kapital eng verfilzt und sitzt dort in den Aufsichtsgremien der Großbank BNP
Paribas, des Versorgers Suez und des Traditionskonzerns Saint-Gobain.
Vier Jahre lang war er zudem der Deutsche
Vorsitzende des European Round Table (ERT), eines Elite- und Lobbyclubs europäischer Konzernlenker,
der die politischen Vorgaben und Vorlagen ("Blaupausen") für die EU-Kommission ausarbeitet.
Dass er bis etwa 2005 drei Jahre lang auch den Finanzinvestor KKR beraten hat, hat Cromme nie
öffentlich gemacht. "In dieser Zeit soll er dem Private-Equity-Haus zahlreiche Türen
geöffnet haben", schreibt die "Financial Times Deutschland". "Ein Dienst, für
den KKR kaum einen besseren Berater hätte finden können."
Möglicherweise dient sich Cromme auch
jetzt wieder als Türöffner für die US-Heuschrecke an. Auch der frühere Finanzvorstand
von Siemens, Hans-Joachim Neubürger, hat nach seinem überraschenden Abgang bei Siemens Anfang
2006 einige Monate später als Berater bei Kohlberg Krawis Roberts (KKR) angeheuert. "Alles nur
Zufall?", fragt die Kommentatorin des Bayerischen Rundfunks. "Nein, das klingt nach Strategie. Es
wäre nicht das erste Mal, dass Banker einen Vorstandschef abservieren. Und dass Heuschrecken und
Investmentbanker einen Konzern gewinnbringend zerlegen wollen."
In diese Strategie passt auch Ackermanns und Crommes Wunsch-Nachfolgekandidat, der jetzige Linde-
Vorstandschef Reitzle. Reitzle hat zwar keine Ahnung vom Siemens-Geschäft, um so mehr aber versteht er
sich auf die Zusammenarbeit von Finanzkonzernen und Private Equity Fonds bei der Zerlegung und dem Umbau
von Konzernen.
Die Umorganisation des Linde-
Gemischtwarenladens zum größten Industriegaskonzern der Welt, u.a. durch die Abspaltung der
Gabelstapler-Sparte (Kion) und Zukäufe (britische BOC) geschah im Schulterschluss und Auftrag der
Linde-Großaktionäre Deutsche Bank und der Allianz-Versicherung aber auch im Zusammenspiel
mit der US-Investmentbank Goldman Sachs und dem Private-Equity-Fonds KKR.
Eine totale Zerlegung des Siemens-
Konglomerats in kerngeschäftorientierte Einzelteile im Zusammenspiel von Investmentbanken und
Finanzinvestoren wäre für diese neue Form des internationalen Finanzkapitals auf Jahre hinaus
eine gigantische Profitquelle (siehe dazu Leo Mayer, "Das moderne Finanzkapital", Plenarvortrag
auf der Marxismus-Konferenz in Berlin, www.isw-muenchen.de).
Die Investmentbanken, vorrangig die
Deutsche Bank, würden als Berater des Umbaus mit den damit verbundenen Börsengängen,
Fusionen, Übernahmen usw. Milliarden an Provisionen einstecken; für die Allianz als
institutioneller Anleger würden deren Siemens-Finanzinvests an Wert zulegen; und Heuschrecken wie KKR,
Cerberus (in deren Diensten der zweite gehandelte Nachfolgekandidat, Ex-VW-Sanierer Wolfgang Bernhard
steht) und andere Finanzinvestoren würden sich in die Einzelteile einkaufen, diese in die Verschuldung
treiben, ausschlachten und weiterverkaufen.
Mag sein, dass Kleinfeld für ein
solches Konzept der Totalzerschlagung nicht zur Verfügung stehen wollte. Er hatte zwar keine
Hemmungen, Konzernsparten abzuspalten, die nicht die vorgegebene Rendite erbrachten (und dabei mit den
Belegschaften übel umzuspringen vgl. die an BenQ verscherbelte Handy-Sparte), verfolgte
für den Gesamtkonzern aber eher das Holding-Konzept: so im Falle VDO, ein Unternehmen, das zwar
eigenständig an die Börse gebracht werden soll, von dem Siemens aber die Aktienmehrheit oder
zumindest eine Parität, wie auch bei NokiaSiemens oder SiemensFujitsu behalten will.
Das Gespann Ackermann-Cromme verfolgt
offenbar das Konzept der schnellen und umfassenden Zerschlagung. Möglicherweise gehört nach dem
Verschwinden traditionsreicher Konzernnamen, die häufig auf Unternehmerpersönlichkeiten des
19.Jahrhunderts zurückgehen wie AEG, Hoechst, Mannesmann usw. auch der Firmenname Siemens bald der
Wirtschaftsgeschichte an.
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