SoZ - Sozialistische Zeitung |
Alle Medien berichteten von der Trennung von DaimlerChrysler. Der
Bestsellerautor Jürgen Grässlin hat soeben sein neues Taschenbuch Abgewirtschaftet?! Das
Daimler-Desaster geht weiter (München: Knaur 2007, 9,95 Euro) veröffentlicht. Darin belegt der
Autor mit erstmals veröffentlichten Dokumenten, wie DaimlerChrysler am eigenen Vertrieb vorbei Autos
ins Ausland verkaufte und sich zugleich als Rüstungsriese auf dem Waffenmarkt platziert.
Bereits Jürgen Grässlins letzte
Dokumentation von Macht und Intrigen der DaimlerChrysler AG, die er detailreich und akribisch im Bestseller
Das Daimler-Desaster veröffentlichte, hatte den Konzern aus Stuttgart mächtig geärgert.
Zeigt sie doch schonungslos und erschütternd zugleich den Verfall des einstigen
schwäbischen Musterunternehmens zu einem Konzern, dem offensichtlich jede Moral abhanden gekommen ist.
Doch Versuche von DaimlerChrysler, das
Erscheinen des Buches oder einzelner Inhalte zu verhindern, scheiterten durch umfassende Schutzschriften,
die der Verlag bei den zuständigen Landgerichten einreichte. Zuletzt forderte der Rechtsanwalt des
Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche ein Schmerzensgeld von nicht weniger als 50000 Euro.
Das nun vorliegende Werk ist eine
überarbeitete und in Teilen stark erweiterte Neuauflage des Vorgängers. In Stuttgart scheint man
nervös zu werden. Angesichts der vorliegenden Veröffentlichungen ist das auch wenig
verwunderlich. Der Konzern geht nun mit massiven juristischen Schritten gegen den unbequemen Freiburger
Autor vor.
Neben den Teilen, die ausführlich auf
die gescheiterte Welt AG, das Produktdesaster und die Umstände des Rücktritts von Jürgen
Schrempp eingehen, spielen drei Kapitel des über 350 Seiten starken Taschenbuchs eine herausragende
Rolle. Nichts macht den moralischen Verfall des einstigen Vorzeigeunternehmens deutlicher als die
hochbrisante Dokumentation systematisch betriebener Graumarktgeschäfte in den Kapiteln 57 des
Buches.
Hier wurden über Jahre hinweg ganze
Existenzen vernichtet. Der Verkauf von Pkw am eigenen Vertriebssystem vorbei wäre an sich wohl nicht
mehr als verwerflich, würde hier nicht offensichtlich neben Vorgaben der Konzernführung auch noch
EU-Recht gebrochen.
Zum einen sind DaimlerChrysler auf Grund
einer Europäischen Richtlinie solche "Parallelmarktgeschäfte" untersagt, zum anderen
und an dieser Stelle wird das Buch zum wahren Wirtschaftskrimi verklagt der Konzern
reihenweise Händler, die ihn angeblich zu Lasten der DaimlerChrysler AG betrogen haben sollen. Viele
von ihnen, darunter auch der inzwischen vom BGH wiederholt freigesprochene ehemalige Spediteur Gerhard
Schweinle, mussten und müssen noch heute dafür ins Gefängnis.
Die Hintergründe hierzu sind so
tiefgreifend und folgenschwer, dass sich DaimlerChrysler veranlasst sieht, den bekannten Konzernkritiker
gleich mehrfach auf Unterlassung von Aussagen über die mögliche Verwicklung des neuen Daimler-
Vorsitzenden in Graumarktgeschäfte und dessen diesbezügliche Rolle als Zeuge in einem
Strafprozess zu verklagen. Ob die Strategie des Konzerns, den Kritiker mundtot zu machen, aufgeht darf
angezweifelt werden.
Denn Jürgen Grässlin argumentiert
mit Fakten und belegt akribisch, wie Daimler über Jahre am eigenen Vertrieb vorbei Autos ins Ausland
verkaufte. Mit Faksimiles und Aktennotizen wird diese Praxis im nun vorliegenden neuen Taschenbuch
präzise dokumentiert. Brisant ist hier insbesondere die Frage, welche Rolle der damalige
Vertriebsvorstand und heutige Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche dabei spielte. Dieser hatte am 9.
Dezember 2002 bei seiner Zeugenvernehmung vor dem Landgericht Stuttgart Angaben zu Graumarktgeschäften
der DaimlerChrysler AG und der Firmengruppe Schweinle gemacht.
Aus Konzernsicht sicherlich ebenso
unerquicklich müssten Grässlins Recherchen über die Verwicklung des Autokonzerns in
moralisch bedenkliche Waffenproduktion sein. So dürfte vielen Mercedes-Fahrern bisher nicht bewusst
sein, dass der Daimler-Stern nicht nur die Kühlerhauben von Luxuslimousinen ziert. DaimlerChrysler, so
Grässlins Vorwurf, ist über seine 15%ige Beteiligung am zweitgrößten europäischen
Rüstungsgiganten EADS zugleich "der größte deutsche Rüstungsproduzent und -
exporteur".
Die von ihm mitinitiierte Mercedes-
Boykottaktion "Wir kaufen keinen Mercedes. Boykottiert Streumunition!" zeigt den Leserinnen und
Lesern eine weitere Schattenseite auf: Daimler als Mitproduzent von Streumunition, Atomwaffenträgern,
Militärhubschraubern und Kampfjets. Mit Grässlins Buch und dem möglichen Verlust
Abertausender Mercedes-Kunden die sich zukünftig Fahrzeuge von rüstungsfreien Konzernen
kaufen muss der Daimler-Vorstand abwägen, wie viele verlorene Autokäufer ihm das eigene
"Rüstungs-Desaster" wert ist.
Jürgen Grässlin hat sich mit
seiner inzwischen über 15 Jahre andauernden unermüdlichen Recherchearbeit zu einem der
profiliertesten Kenner der DaimlerChrysler AG entwickelt. Das in weiten Teilen spannend zu lesende Buch ist
Ergebnis dieser akribischen Arbeit, die in großen Teilen von einem inzwischen offensichtlich
wachsenden Netzwerk von Informanten gespeist werden dürfte.
Jürgen Grässlin treibt die Suche
nach der Wahrheit. Das mag für viele heutige Opfer am Ende lediglich eine Genugtuung sein. Für
einige Manager dürfte es weit mehr bedeuten. Bleibt zu hoffen, dass sich für die hochbrisanten,
akribisch recherchierten Machenschaften des Stuttgarter Konzerns endlich Staatsanwaltschaften und Gerichte
sowie nicht minder wichtig ein paar mutige Journalisten interessieren.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |