SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2007, Seite 12

Mit Besonnenheit, Witz und Selbstorganisation

Die Tage der Blockaden

von Eberhard Fiebig

Der Bildhauer Eberhard Fiebig (siehe SoZ 5/2005), ein Anhänger der direkten Aktion, schildert seine Eindrücke von den Blockadeaktionen vor Heiligendamm, die er aus nächster Nähe beobachtet hat.

Dass dieser Protest nicht kleinmütig zerbrach unter den Verleumdungen, der Hetze, den Einschüchterungen und der polizeilichen Gewalt, sondern von Tag zu Tag an Entschlossenheit gewann, ist das Verdienst all derer, die sich nicht in vorauseilender Unterwürfigkeit zu einer unkritischen Entsolidarisierung gegenüber den Autonomen der Bewegung bereit fanden und dafür sorgten, dass dieses großartige Bündnis nicht zerbrach.
Nicht nur zu den fantasievoll burlesken Demonstrationen und Blockaden, sondern auch in zahlreichen Foren, Vorträgen, Konzerten versammelten sich Zehntausende, um zu bekennen, dass sie sich dem Terror der Ökonomie nicht beugen werden und dass sie, wenn es sein muss, den Komplizen dieser kannibalistischen Weltordnung und ihrer strukturellen Gewalt auch militant, was nicht gleichzusetzen ist mit gewalttätig, entgegentreten werden.
Mehr als 100000 Menschen suchten nichts anderes als den freien Dialog mit den Mächtigen. Nie zuvor wurde ihnen in Deutschland so drastisch gezeigt, dass die "Mächtigen" diesen Dialog nicht wollen. Unter solchen Bedingungen können nur Narren und Heuchler darauf hoffen, dass es "politisch korrekt" zugehen könnte in dieser Woche des Protestes gegen die G8. Es gibt also keinen Grund, wegen der von der Polizei angezettelten Gewaltausbrüche den Canossagang anzutreten — wobei sich die Polizei wie eine Besatzungsarmee aufgeführt hat.
Diese Polizeieinheiten waren nicht vom Willen geprägt, den Frieden im Land zu wahren, Leib und Leben der Menschen zu schützen. Ihr Ziel war es, jene Bilder der Gewalt zu produzieren, die sie schon Wochen vor dem Gipfel in die Köpfe der Bevölkerung projeziert hatte, indem sie durch zahlreiche polizeiliche Übergriffe pressewirksam auf die Eskalation hinarbeitete.
Inzwischen häufen sich die Meldungen, in denen die gewaltsamen Übergriffe der Polizei aufgedeckt werden. Es zeichnet sich das erbärmliche und erschreckende Bild einer politisch aus den Fugen geratenen Gesellschaft ab, in der die Regierung versucht, den verbalen Protest wie in jeder beliebigen Diktatur von ihrer hochgerüsteten Polizei niederknüppeln zu lassen. Und das Parlament, dessen Aufgabe es wäre, die Rechte des Volkes zu vertreten und alle für diesen Terror Verantwortlichen aus dem Amt zu jagen, beugt sich wieder einmal gewissenlos dem Fraktionszwang.
Die Gewalt, die in Rostock den Anti-Gipfel beherrschte, wurde zwar von einer Polizeiarmee praktiziert. Angezettelt wurde sie von Schreibtischtätern und einem paranoiden Innenminister, die gemeinsam handfeste Gründe dafür schaffen wollten, die Trennung von Polizei und Militär fallen und den Notstand zur Regel werden zu lassen. Die wildesten unter diesen Herrschaften ließen ja schon verlautbaren, dass sie auch bereit sind, den Schießbefehl zu erteilen.
Die Rechnung ging nicht auf. Die Polizei erwies sich zwar als zuverlässig brutal, aber doch unfähig, ihren simplen Auftrag, die Demonstranten vom Zaun fern zu halten, zu erfüllen. Sie hat versagt. Sie ist das Geld nicht wert, das wir für sie und ihre monströsen Spielzeuge, Wasserwerfer und Räumpanzer verplempern.

Im Camp

Dass es in dieser Protestwoche nicht zum Gemetzel kam, verdanken wir einzig der Besonnenheit der Demonstranten, die sich nicht provozieren ließen und jede von der gepanzerten Polizei aufgezwungenen Konfrontation gewaltlos, unbewaffnet, mit ihrem bloßen Körper, aber mit Witz und Fantasie begegneten. Und diese Haltung änderten sie auch dann nicht, wenn die Polizei, ohne jeden erkennbaren Grund, am Boden Sitzende niederknüppelte. Denn sie hatten einander versprochen, der Gewalt des Staates gewaltlos zu widerstehen. Mindestens an diese Menschen hätte Frau Merkel ein Wort des Dankes richten müssen nach ihrer neofeudalen Sommerparty. Denn diesen Menschen verdanken wir, dass noch Friede herrscht im Land.
Und der Schwarze Block? Der Schwarze Block ist kein Block. Er ist nicht einmal in sich homogen, sondern sehr differenziert. Nicht jeder, der sein Gesicht verhüllt, plant den Straßenkampf. Nicht jeder, der sich schwarz kleidet, will Steine werfen. Militant zu sein heißt nicht gewalttätig zu sein. Das Selbstverständnis der autonomen Bewegung ist außerordentlich vielfältig und deckt sich in manchem mit dem, was Heiner Geissler sagte: "Man hält nicht auch noch die andere Wange hin, wenn man geschlagen wird."
Wichtiger als hier weiterhin die Frage zu erörtern, ob die angeblich vom schwarzen Block geübte Gewalt wirklich radikal war, ist mir in Erinnerung zu rufen, was während dieser Woche von Tausenden aus eigener Kraft geschaffen wurde, ohne eingeübte Organisation, ohne Apparat und ohne jede finanzielle Basis. Die Orte, an denen die Camps entstanden, drei Wochen vor dem Gipfel noch verwilderte Wiesen, verwandelten sich in ein Meer von Zelten und Jurten, ergänzt durch aus Brettern und Planen errichtete Bauten für das Informationszentrum, das Pressezentrum, die erste Hilfe und den Sicherheitsdienst. Nicht zu vergessen das große Viermast- Zirkuszelt für Versammlungen und der hölzerne Turm, von dem aus Tag und Nacht weiträumig das Gelände beobachtet wurde. Denn während der gesamten Zeit war das Camp Reddelich, über das ich hier schreibe, von gewaltsamer polizeilicher Räumung bedroht. Noch am letzten Tag des Anti-G8- Gipfels war die am Eingang des Camps postierte Polizeieinheit der Ansicht, man müsse dieses "Pack ins Meer knüppeln".
Nach den verhetzenden Presseberichten über den ersten Protesttag gab es im Camp Reddelich innerhalb eines Tages über 5000 Neuzugänge. Womit das Camp, ursprünglich nur für 5000 Personen zugeschnitten, auf über 10000 Personen anwuchs. Die damit verbundene logistische Herausforderung, wurde mit Gelassenheit bewältigt. Überhaupt entwickelte sich während der ganzen Protestwoche eine bewundernswerte Selbstorganisation. Es wurden nicht nur täglich 10000 Menschen kostenlos (die Kosten wurden durch freiwillige Spenden gedeckt) mit drei Mahlzeiten versorgt, die Nahrungsmittel stammten ausschließlich aus biologischem Anbau.
Von Reddelich aus wurden, über eine Distanz von etwa fünf Kilometern, in Fußmärschen auch alle jene Hunderte von Demonstranten mit Decken, Schlafsäcken, Wasser und Nahrung versorgt, die über zwei Nächte hinweg die Zufahrten nach Heiligendamm blockierten. Es gab Gruppen, die alle aus der Haft Entlassenen vor dem Gefängnis abholten, um sie vor weiteren Übergriffen der Polizei zu schützen, während andere für einen ständigen Kontakt zum Legal Team sorgten, sich um die Betreuung von Verletzten kümmerten, Küchendienste verrichteten oder für die Wasch- und Duschplätze sorgten. Alle diese Gruppen formierten sich selbstständig und sorgten für eine lückenlose Information innerhalb des Camps.
Wann immer ich dieses Camp besuchte, traf ich hilfsbereite, freundliche, heitere, selbstkritische Menschen, die in nichts dem glichen, was die Zeitungen in sie hineinfantasiert hatten, in dem sie behaupteten, diese Menschen wären an nichts anderem interessiert als an Randale, am Steine werfen und Kaputtschlagen.
Was sich hier entwickelte, war eine große, zivile Solidargemeinschaft, in der jeder Hüter seines Nächsten war, in der für eine Woche lang jene Freiheit sich entfaltete, die, wie Hegel sagte, einzig der Einsicht in das Notwendige entspringt. Niemand wurde in diesem Camp zu etwas gezwungen oder musste zu etwas hin kommandiert werden. Jeder tat das, was in seinen Kräften stand, verantwortungsvoll, heiter und doch mit großem Ernst aus eignem Entschluss. All diesen Menschen rufe ich zu: Ihr wart großartig!

Wer druckte die Rede Jean Zieglers?

Dieser Ansicht war schließlich auch die Mehrzahl der Menschen der Region, denen man eingeredet hatte, eine Horde von Banditen würde ihre Ernte zertrampeln und ihre Orte verwüsten. Als die Bewohner der Region sahen, mit welcher Umsicht und Heiterkeit die Demonstranten durch das Land zogen, wie diszipliniert sie ihren Protest organisierten, kamen sie ins Camp, um dort ihre Hilfe anzubieten, brachten Nahrungsmittel und Getränke und sagten gelegentlich auch, dass sie in diesen Tagen von diesen "Chaoten" gelernt haben, warum dieser Widerstand notwendig und wie er zu realisieren ist.
Von den Veranstaltungen des Alternativgipfels, konnte ich nur die Eröffnungsveranstaltung erleben, zu der über tausend Menschen in die Nikolaikirche gekommen waren. Zur Eröffnung sprach Jean Ziegler, der UN- Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Dass die Rede dieses kämpferischen Mannes in ihrem Wortlaut, soweit mir bekannt ist, in keiner der großen deutschen Zeitungen veröffentlicht wurde, ist schändlich. Wird sie doch, mit aller Wahrscheinlichkeit, zu den wichtigen Reden dieser Epoche gehören. Jean Ziegler appellierte darin an unser aller Gewissen und rief zum gemeinsamen, entschiedenen Kampf gegen den Neoliberalismus und die strukturelle Gewalt des Kapitalismus auf. Es wäre vermessen, wollte ich sie kommentieren. Ich erlaube mir aber, die Lektüre seines Buches Das Imperium der Schande zu empfehlen. Sie sollte jedem der 16000 Polizisten als Pflichtlektüre auferlegt werden, damit diese ahnungslosen Menschen endlich erkennen, zur Wahrung welcher Interessen sie ein rasender Staat missbrauchte.


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