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"Para-Politik" ist eine interessante Wortschöpfung, die sich die kolumbianischen Medien vor Monaten haben
einfallen lassen, als deutlich wurde, dass etwa 35% der Kongressabgeordneten und ein halbes Dutzend Senatoren nicht nur mit
Paramilitärs sympathisieren, sondern diese aktiv unterstützen.
Um so überraschender war der jüngste Vorstoß des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe. Er
erklärte sich bereit, mehrere hundert inhaftierte FARC-Guerilleros frei zu lassen. Damit sollte ein einseitiges Zeichen
für einen Gefangenenaustausch mit der Guerilla gesetzt werden. Innenminister Carlos Holguin erklärte in den
folgenden Tagen gegenüber den Medien, es gebe dafür noch keine rechtlich Grundlage. Man sei jedoch dabei diese
auszuarbeiten. Schließlich sollte die Freilassung der an die 200 FARC-Guerilleros am 7. Juni, dem Tag des G8-Gipfels,
erfolgen.
Ein weiterer Vorschlag des Präsidenten brachte ebenfalls
Medienrummel: Das Gesetz über Gerechtigkeit und Frieden soll reformiert werden. Dieses Gesetz war im Rahmen der
"Friedensverhandlungen" mit den AUC (Vereinigte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens) entstanden und sieht sowohl
für Paramilitärs wie auch für desertierte Guerilleros eine Art Amnestie vor, die den Großteil der
Verbrechen straffrei lässt und die Höchststrafe auf acht Jahre Gefängnis begrenzt. Das reformierte Gesetz soll
nun auch auf die der "Parapolitik" beschuldigten Kongressabgeordneten angewandt werden. In diesem Fall läge
die Höchststrafe sogar nur bei zwei Haftjahren, da die Verurteilten ihre Haftdauer durch gute Führung
Geständnisse und eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Justiz erheblich verkürzen können.
Was anfangs nach einer großzügigen, fast
christlichen Geste des "Vergebens und Vergessens" aussah, erscheint beim zweiten Hinsehen als eine Maßnahme
der Regierung, um dem nationalen und internationalen Druck nachzugeben. Insbesondere machen der Regierung offensichtlich das
massive Interesse Frankreichs an der Befreiung seiner Staatsbürgerin und ehemaligen
Präsidentschaftsanwärterin, Ingrid Betancourt (sie wurde 2002 von der FARC entführt), und der Druck der linken
Oppositionspartei Polo Democrático Alternativo (PDA) auf die Regierung zu schaffen.
Präsident Uribe hatte bei seinem vorletzten Besuch in
Washington für internationales Aufsehen und deutliches Unbehagen in Paris gesorgt, weil er sich energisch für eine
militärische Befreiung der von der Guerilla Entführten ausgesprochen hatte. Gleichzeitig hatte sich Frankreichs
frisch gewählter Präsident Sarkozy in Paris mit den Angehörigen Betancourts getroffen und für eine
Lösung auf dem Verhandlungsweg votiert. Während der französische Präsident den direkten Kontakt zu dem in
Haft sitzenden "Außenminister der FARC", Rodrigo Granda, und damit zum Sekretariat, dem höchsten
Entscheidungsgremium der FARC, sucht, verfolgt Uribe scheinbar eine Konfrontationsstrategie.
Mit der bedingungslosen Freilassung von 200 FARC-Guerilleros
will Uribe mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Einerseits versucht er die FARC politisch unter Druck zu setzen, dass
sie ihrerseits einen Schritt in Richtung Gefangenaustausch macht. Dabei lässt er bewusst außer Acht, dass die FARC
die Zustimmung zu einem Gefangenaustausch immer an die Schaffung einer entmilitarisierten Zone unter ihrer Kontrolle
geknüpft hat. Auch hat die FARC stets betont, dass ein Gefangenaustausch mit der Freilassung von Gefangenen in den USA
beginnen muss.
Uribe möchte seine innenpolitischen Skandale aber auch
dem öffentlichen Interesse entziehen. Denn der PDA ist seit Monaten intensiv damit beschäftigt, die Parapolitik und
die in ihr verstrickten Politiker an die Öffentlichkeit zu zerren. In den vergangenen Kongresssitzungen wurden
regelmäßig neue Namen und Fälle von Politikern ans Tageslicht gebracht, die ihre politischen Erfolge
spätestens seit 2001 der Zusammenarbeit mit den AUC zu verdanken haben. Zudem verschärfte sich die politische
Auseinandersetzung, als bekannt wurde, dass der PDA im Wahlkampf Opfer von illegalen Telefonabhörungen durch die
staatlichen Sicherheitsorgane geworden war.
Schließlich müssen die Regierung und die sie
tragenden Parteien im Hinblick auf die im kommenden Oktober stattfindenden Gemeindewahlen darauf achten, dass sie keine
Stimmeneinbrüche erleiden. Bisher sieht es eher so aus, als sei die "Parapolitik" ein Fass ohne Boden. Immer
mehr Politikern der regierungsnahen Parteien werden Verstrickungen zur AUC nachgewiesen. Nicht zuletzt diese politischen
Einbrüche sind es, die die Regierung dazu treiben, eine Art Amnestie für die in die "Parapolitik"
verstrickten Politiker zu erreichen, um nicht ihren politischen Einfluss in den Regionen zu verlieren.
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