SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2007, Seite 20

Mittelmeer, zwischen Malta und Libyen

Fahrlässige Tötung an Flüchtlingen

Kompetenzstreit fordert Todesopfer

von Angela Huemer

In den letzten Maiwochen sind mehrere Dutzend Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken, weil die nächstliegenden Staaten, Malta (ein EU-Mitglied!) und Libyen, ihnen Hilfeleistung verweigert haben. Nicht einmal die Toten wurden geborgen.

Ein Schiff voll mit Flüchtlingen aus Eritrea ist in Not. Zwischen Libyen und Malta ist der Motor ausgefallen, das Boot droht von den Wellen verschluckt zu werden. Einige der Insassen nehmen Kontakt mit Eritreern in Italien auf, Jonas und Lepetan. Es ist der Morgen des 21. Mai. Ein maltesisches Militärflugzeug fotografiert die Szene. Die Küstenwache von Lampedusa wird verständigt. Jonas, dessen Bruder, Schwester und Freundin an Bord sind, versucht am frühen Nachmittag erneut anzurufen. Auch Lepetan ruft an. Keine Antwort. Die Mobiltelefone sind außer Funktion. Erst gegen 18.30 Uhr erreicht ein maltesisches Patrouillenboot die Zone, in der sich das Schiff befinden sollte. Es ist und bleibt verschwunden. Später soll es Hinweise auf einer Internetseite von Eritreern gegeben haben, dass die rund 53 Menschen an Bord wohl irgendwie nach Libyen gelangt sind und dort nun in einem Gefängnis sitzen.
Einen ähnlichen Fall hatte es 2005 schon einmal gegeben — damals war nahe Gozo (eine Insel in der Nähe von Malta) ein Boot mit rund 200 Afrikanern an Bord gesichtet worden. Die Zeitung Malta Today hatte in diesem Zusammenhang aufgedeckt, dass der Kapitän eines sich der Nähe befindenden maltesischen Rettungsboots Anweisung erhalten hatte, Distanz zum Boot zu wahren. Eine "Standardpraxis", gab daraufhin Maltas Premierminister Lawrence Gonzi zu. "Operationseinheiten bleiben in sicherer Entfernung von Flüchtlingsbooten", um nur ja jedwede Gefährdung der Sicherheit der Einsatzkräfte zu vermeiden. In diesem Fall starben 30 Menschen, bis das Boot von Italienern gerettet wurde.

Das Netz

Ebenfalls Ende Mai verweigerte Malta einem spanischen Schiff die Anlandung, das 26 gerettete Flüchtlinge an Bord hatte. Kurze Zeit später sank ein Boot mit 27 Flüchtlingen an Bord; sie mussten sich drei Tage und drei Nächte am Metallrahmen des Thunfischnetzes eines maltesischen Fischkutters festgehalten. In der Zeit stritten sich Malta und Libyen darüber, wer für die Rettung zuständig sei. "Wir konnten sie nicht an Bord gehen lassen, wir riskierten ja, die Ladung zu verlieren", so der Kapitän des Fischkutters, Charles Azzopardi. Und diese Ladung war eine Million Dollar wert. Am Ende rettete sie ein italienisches Militärboot, die Orione, und brachte sie nach Lampedusa. Das Boot war gerade in der Gegend, da es von Malta die Erlaubnis erhalten hatte, die eritreische Nussschale (siehe oben) zu suchen.

Totendiplomatie

Kompetenzstreit gibt es nicht nur bei lebenden Flüchtlingen. Auch Tote scheinen gefährlich zu sein. Die 21 bereits verwesenden Leichen, die ebenfalls Ende Mai ein französischer Kutter 120 Meilen vor Malta aus dem Meer gefischt hatte, waren den Maltesern auch nicht erwünscht.
Laura Boldrini, italienische Vertreterin des UN-Flüchtlingshochkommissariats, bringt die Situation auf den Punkt: "Die Anrainerstaaten des Mittelmeers verwandeln das Meer in einen wilden Westen, in dem Menschenleben ihren Wert verloren haben und Menschen in Gefahr einfach ihrem Schicksal überlassen werden." In einem Punkt irrt sie. Es sind nicht nur die Anrainerstaaten, die jedwede Menschlichkeit über Bord geworfen haben. Als der maltesische Innenminister Tonio Borg Anfang Juni forderte, die Aufnahmequote gleichmäßig auf die EU-Mitgliedsländer zu verteilen, stieß er auf taube Ohren. Schäuble findet zwar, dass Malta UN-Recht verletzt habe, ist aber gegen die Quote. Vielmehr solle man darauf setzen, dass bitteschön keine "Illegalen" mehr in Südeuropa landen.
Amato, der italienische Innenminister, verfolgt denselben Ansatz, geht aber dabei noch weiter: Am besten sorgt die EU-Grenzschutzagentur Frontex dafür, dass keine Boote mit Flüchtlingen mehr Nordafrika verlassen.
Die beiden Bilder gingen um die Welt. Wie wenig Wirkung sie zeigen, erweist sich in einem erneuten Kompetenzstreit zwischen Malta und Libyen, von dem die "Times of Malta" am 9. Juni berichtete. In diesem Fall ging es um ein iranisches Schiff, das sich in der Nähe eines Flüchtlingsboots aufhielt, aber nicht eingriff, weil keins der beiden Länder zuständig sein wollte. Daraufhin starben rund 50 Menschen. Aber wen kümmert das schon?


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