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In den letzten Maiwochen sind mehrere Dutzend Flüchtlinge im Mittelmeer
ertrunken, weil die nächstliegenden Staaten, Malta (ein EU-Mitglied!) und Libyen, ihnen Hilfeleistung
verweigert haben. Nicht einmal die Toten wurden geborgen.
Ein Schiff voll mit Flüchtlingen aus Eritrea ist in Not. Zwischen Libyen und Malta ist der Motor
ausgefallen, das Boot droht von den Wellen verschluckt zu werden. Einige der Insassen nehmen Kontakt mit
Eritreern in Italien auf, Jonas und Lepetan. Es ist der Morgen des 21. Mai. Ein maltesisches
Militärflugzeug fotografiert die Szene. Die Küstenwache von Lampedusa wird verständigt.
Jonas, dessen Bruder, Schwester und Freundin an Bord sind, versucht am frühen Nachmittag erneut
anzurufen. Auch Lepetan ruft an. Keine Antwort. Die Mobiltelefone sind außer Funktion. Erst gegen
18.30 Uhr erreicht ein maltesisches Patrouillenboot die Zone, in der sich das Schiff befinden sollte. Es
ist und bleibt verschwunden. Später soll es Hinweise auf einer Internetseite von Eritreern gegeben
haben, dass die rund 53 Menschen an Bord wohl irgendwie nach Libyen gelangt sind und dort nun in einem
Gefängnis sitzen.
Einen ähnlichen Fall hatte es 2005
schon einmal gegeben damals war nahe Gozo (eine Insel in der Nähe von Malta) ein Boot mit rund
200 Afrikanern an Bord gesichtet worden. Die Zeitung Malta Today hatte in diesem Zusammenhang aufgedeckt,
dass der Kapitän eines sich der Nähe befindenden maltesischen Rettungsboots Anweisung erhalten
hatte, Distanz zum Boot zu wahren. Eine "Standardpraxis", gab daraufhin Maltas Premierminister
Lawrence Gonzi zu. "Operationseinheiten bleiben in sicherer Entfernung von
Flüchtlingsbooten", um nur ja jedwede Gefährdung der Sicherheit der Einsatzkräfte zu
vermeiden. In diesem Fall starben 30 Menschen, bis das Boot von Italienern gerettet wurde.
Ebenfalls Ende Mai verweigerte Malta einem spanischen Schiff die Anlandung, das 26 gerettete
Flüchtlinge an Bord hatte. Kurze Zeit später sank ein Boot mit 27 Flüchtlingen an Bord; sie
mussten sich drei Tage und drei Nächte am Metallrahmen des Thunfischnetzes eines maltesischen
Fischkutters festgehalten. In der Zeit stritten sich Malta und Libyen darüber, wer für die
Rettung zuständig sei. "Wir konnten sie nicht an Bord gehen lassen, wir riskierten ja, die Ladung
zu verlieren", so der Kapitän des Fischkutters, Charles Azzopardi. Und diese Ladung war eine
Million Dollar wert. Am Ende rettete sie ein italienisches Militärboot, die Orione, und brachte sie
nach Lampedusa. Das Boot war gerade in der Gegend, da es von Malta die Erlaubnis erhalten hatte, die
eritreische Nussschale (siehe oben) zu suchen.
Kompetenzstreit gibt es nicht nur bei lebenden Flüchtlingen. Auch Tote scheinen gefährlich zu
sein. Die 21 bereits verwesenden Leichen, die ebenfalls Ende Mai ein französischer Kutter 120 Meilen
vor Malta aus dem Meer gefischt hatte, waren den Maltesern auch nicht erwünscht.
Laura Boldrini, italienische Vertreterin
des UN-Flüchtlingshochkommissariats, bringt die Situation auf den Punkt: "Die Anrainerstaaten des
Mittelmeers verwandeln das Meer in einen wilden Westen, in dem Menschenleben ihren Wert verloren haben und
Menschen in Gefahr einfach ihrem Schicksal überlassen werden." In einem Punkt irrt sie. Es sind
nicht nur die Anrainerstaaten, die jedwede Menschlichkeit über Bord geworfen haben. Als der
maltesische Innenminister Tonio Borg Anfang Juni forderte, die Aufnahmequote gleichmäßig auf die
EU-Mitgliedsländer zu verteilen, stieß er auf taube Ohren. Schäuble findet zwar, dass Malta
UN-Recht verletzt habe, ist aber gegen die Quote. Vielmehr solle man darauf setzen, dass bitteschön
keine "Illegalen" mehr in Südeuropa landen.
Amato, der italienische Innenminister,
verfolgt denselben Ansatz, geht aber dabei noch weiter: Am besten sorgt die EU-Grenzschutzagentur Frontex
dafür, dass keine Boote mit Flüchtlingen mehr Nordafrika verlassen.
Die beiden Bilder gingen um die Welt. Wie
wenig Wirkung sie zeigen, erweist sich in einem erneuten Kompetenzstreit zwischen Malta und Libyen, von dem
die "Times of Malta" am 9. Juni berichtete. In diesem Fall ging es um ein iranisches Schiff, das
sich in der Nähe eines Flüchtlingsboots aufhielt, aber nicht eingriff, weil keins der beiden
Länder zuständig sein wollte. Daraufhin starben rund 50 Menschen. Aber wen kümmert das
schon?
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