SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2007, Seite 22

Gewerkschaften und Rechtsextremismus

(Hg. B.Zeuner u.a.), Münster: Westfälisches Dampfboot 2007, 143 Seiten, 14,90 Euro

von Rolf Euler

Da war doch mal was? Zusammenhänge zwischen gewerkschaftlicher Organisierung und rechter Gesinnung — kann das sein?
Ja, da war was — eine Studie von Berliner Politikwissenschaftlern bei organisierten und unorganisierten Beschäftigten über ihre politischen Ansichten, mit dem inzwischen womöglich weitgehend wieder vergessenen Ergebnis, dass Gewerkschaftsmitglieder genauso anfällig für rechtes Gedankengut sind wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Mit anderen Worten: Politik und Werte der Gewerkschaften wappnen nicht gegen Ausländerfeindlichkeit, Autoritätshoffnungen, Parolen wie "unsere Arbeitsplätze für Deutsche zuerst" und dergleichen.
Die Studie wurde in den Jahren 2002 bis 2004 bei rund 4000 Menschen durchgeführt, davon waren rund die Hälfte der Befragten Gewerkschaftsmitglieder vom passiven Mitglied bis zum Funktionär; ebenfalls rund die Hälfte der Befragten kam aus den neuen Bundesländern. Daraus haben Bodo Zeuner, Jochen Gester, Michael Fichter, Joachim Kreis und Richard Stöss ein Buch gemacht, das zu den wichtigeren politischen Sachbüchern des Jahres gezählt werden muss.
Die Autoren erläutern umfassend die Studie, ihre Durchführung und Ergebnisse und ergänzen diese durch einige ausführliche Interviews mit Gewerkschaftern zum Thema.
Sie schildern einige überraschende Ergebnisse. Schließlich war vorab eher zu erwarten, dass Gewerkschaftsmitgliedschaft und rechtes Gedankengut sich weitgehend ausschließen müssten. Untersucht werden auch die Unterschiede zwischen Ost und West. Während im Osten der Gesamtanteil an rechter Gesinnung bei der Bevölkerung höher liegt, ist er dort bei den Gewerkschaftsmitgliedern deutlich niedriger. Im Westen liegen beide Werte gleichauf. Während bei Funktionären und Mitgliedern aus der Oberschicht der rechte Spuk eher auf Distanz stößt, kommt er gerade bei der sog. Arbeitnehmermittelschicht, also Facharbeitern und Angestellten, überdurchschnittlich an. Erklärung der Autoren: Diese Gruppe hat bisher sozial und politisch stark von ihrer gewerkschaftlichen Organisierung profitieren können. Jetzt drohen sie angesichts des gewerkschaftlichen Machtverlusts sowohl zu sozialen als auch zu politischen Verlierern zu werden. Das mag erklären, warum hier die rechtsextremistischen Schutzangebote plötzlich verstärkt offene Ohren finden.
Die Studie hat ergeben, dass solche Einstellungen bei durchschnittlich 19% der Befragten vorhanden waren. Das ist keine dramatische Situation, wohl aber ein alarmierender Befund: Rechte Ansichten haben einen Raum in den Köpfen der Gewerkschaftsmitglieder bekommen, gegen den es wachsam zu sein heißt und gegen den dringend Gegenmittel gefunden werden müssen, soll sich das Virus nicht weiter ausbreiten.
Zentrales Motiv für das Denken der Mitglieder ist für die Autoren der Studie die "Schutzsuche". Deshalb organisieren sie sich. Und sie machen nun unter den Bedingungen von Entlassungen, Arbeitszeitverlängerung und Hartz-IV- Drohung die Erfahrung, dass ihnen immer weniger Schutz geboten wird. Genau in diese Lücke treten die Rechtsextremen mit ihren Angeboten und vermeintlich einfachen "Lösungen" von autoritärem Staat und Konkurrenzbeschränkung durch Marktausschluss.
Mit einem wichtigen Argumentationsmuster greifen die Autoren auch auf Beobachtungen und Schlussfolgerungen Erich Fromms vom Ende der 20er Jahre zurück: Traditionell sozialistische Denkmuster bieten keine Garantie gegen das Eindringen rechten Gedankenguts, weil sie wenig von starken autonomen und solidarfähigen Individuen halten. Hier würden uns Reaktionen und Widersprüche interessieren.
Ein weiteres Kapitel des Buches befasst sich mit der Frage der Deutungshoheit gewerkschaftlicher Positionen bei den Mitgliedern. Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass diese Deutungshoheit nicht existiert und auch die Versuche sie zu erlangen nicht selten daneben gehen — etwa wenn es um Wettbewerbsfähigkeit und Standortkonkurrenz geht. Die hier eingenommenen Positionen fördern nicht das gemeinsame solidarische Handeln von Belegschaften, sondern stehen ihm im Weg.
Die Autoren stellen konkrete Gegenmaßnahmen vor, legen aber Wert darauf, dass sie über papierene Gewerkschaftstagsbeschlüsse hinausgehen und an der Basis stattfinden. Die Gewerkschaften müssen ihre Rolle als soziale und politische Interessenorganisation stärken und dagegen ankämpfen, zu einem Versicherungsverband mit begrenzter Haftung degradiert zu werden. Sie müssen für Werte eintreten und einstehen und die Verwirklichung dieser Werte als Organisationszweck ansehen. Ein reines Arbeitsmarktkartell oder gar Dienstleistungsunternehmen zur individuellen Förderung ihrer Kunden/Mitglieder lässt sich kaum gegen rechtsextreme Einflüsse immunisieren.
Bodo Zeuner und seine Kollegen haben mit diesem Buch einen gut recherchierten Beitrag geleistet, damit sich die Einsicht verbreiten kann, dass Gewerkschaften einen Zweifrontenkrieg zu führen haben: gegen den Neoliberalismus und gegen den Rechtsextremismus.


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