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Da war doch mal was? Zusammenhänge zwischen gewerkschaftlicher
Organisierung und rechter Gesinnung kann das sein?
Ja, da war was eine Studie von
Berliner Politikwissenschaftlern bei organisierten und unorganisierten Beschäftigten über ihre
politischen Ansichten, mit dem inzwischen womöglich weitgehend wieder vergessenen Ergebnis, dass
Gewerkschaftsmitglieder genauso anfällig für rechtes Gedankengut sind wie der Durchschnitt der
Bevölkerung. Mit anderen Worten: Politik und Werte der Gewerkschaften wappnen nicht gegen
Ausländerfeindlichkeit, Autoritätshoffnungen, Parolen wie "unsere Arbeitsplätze
für Deutsche zuerst" und dergleichen.
Die Studie wurde in den Jahren 2002 bis
2004 bei rund 4000 Menschen durchgeführt, davon waren rund die Hälfte der Befragten
Gewerkschaftsmitglieder vom passiven Mitglied bis zum Funktionär; ebenfalls rund die Hälfte der
Befragten kam aus den neuen Bundesländern. Daraus haben Bodo Zeuner, Jochen Gester, Michael Fichter,
Joachim Kreis und Richard Stöss ein Buch gemacht, das zu den wichtigeren politischen Sachbüchern
des Jahres gezählt werden muss.
Die Autoren erläutern umfassend die
Studie, ihre Durchführung und Ergebnisse und ergänzen diese durch einige ausführliche
Interviews mit Gewerkschaftern zum Thema.
Sie schildern einige überraschende
Ergebnisse. Schließlich war vorab eher zu erwarten, dass Gewerkschaftsmitgliedschaft und rechtes
Gedankengut sich weitgehend ausschließen müssten. Untersucht werden auch die Unterschiede
zwischen Ost und West. Während im Osten der Gesamtanteil an rechter Gesinnung bei der Bevölkerung
höher liegt, ist er dort bei den Gewerkschaftsmitgliedern deutlich niedriger. Im Westen liegen beide
Werte gleichauf. Während bei Funktionären und Mitgliedern aus der Oberschicht der rechte Spuk
eher auf Distanz stößt, kommt er gerade bei der sog. Arbeitnehmermittelschicht, also
Facharbeitern und Angestellten, überdurchschnittlich an. Erklärung der Autoren: Diese Gruppe hat
bisher sozial und politisch stark von ihrer gewerkschaftlichen Organisierung profitieren können. Jetzt
drohen sie angesichts des gewerkschaftlichen Machtverlusts sowohl zu sozialen als auch zu politischen
Verlierern zu werden. Das mag erklären, warum hier die rechtsextremistischen Schutzangebote
plötzlich verstärkt offene Ohren finden.
Die Studie hat ergeben, dass solche
Einstellungen bei durchschnittlich 19% der Befragten vorhanden waren. Das ist keine dramatische Situation,
wohl aber ein alarmierender Befund: Rechte Ansichten haben einen Raum in den Köpfen der
Gewerkschaftsmitglieder bekommen, gegen den es wachsam zu sein heißt und gegen den dringend
Gegenmittel gefunden werden müssen, soll sich das Virus nicht weiter ausbreiten.
Zentrales Motiv für das Denken der
Mitglieder ist für die Autoren der Studie die "Schutzsuche". Deshalb organisieren sie sich.
Und sie machen nun unter den Bedingungen von Entlassungen, Arbeitszeitverlängerung und Hartz-IV-
Drohung die Erfahrung, dass ihnen immer weniger Schutz geboten wird. Genau in diese Lücke treten die
Rechtsextremen mit ihren Angeboten und vermeintlich einfachen "Lösungen" von
autoritärem Staat und Konkurrenzbeschränkung durch Marktausschluss.
Mit einem wichtigen Argumentationsmuster
greifen die Autoren auch auf Beobachtungen und Schlussfolgerungen Erich Fromms vom Ende der 20er Jahre
zurück: Traditionell sozialistische Denkmuster bieten keine Garantie gegen das Eindringen rechten
Gedankenguts, weil sie wenig von starken autonomen und solidarfähigen Individuen halten. Hier
würden uns Reaktionen und Widersprüche interessieren.
Ein weiteres Kapitel des Buches befasst
sich mit der Frage der Deutungshoheit gewerkschaftlicher Positionen bei den Mitgliedern. Die Autoren kommen
zum Ergebnis, dass diese Deutungshoheit nicht existiert und auch die Versuche sie zu erlangen nicht selten
daneben gehen etwa wenn es um Wettbewerbsfähigkeit und Standortkonkurrenz geht. Die hier
eingenommenen Positionen fördern nicht das gemeinsame solidarische Handeln von Belegschaften, sondern
stehen ihm im Weg.
Die Autoren stellen konkrete
Gegenmaßnahmen vor, legen aber Wert darauf, dass sie über papierene
Gewerkschaftstagsbeschlüsse hinausgehen und an der Basis stattfinden. Die Gewerkschaften müssen
ihre Rolle als soziale und politische Interessenorganisation stärken und dagegen ankämpfen, zu
einem Versicherungsverband mit begrenzter Haftung degradiert zu werden. Sie müssen für Werte
eintreten und einstehen und die Verwirklichung dieser Werte als Organisationszweck ansehen. Ein reines
Arbeitsmarktkartell oder gar Dienstleistungsunternehmen zur individuellen Förderung ihrer
Kunden/Mitglieder lässt sich kaum gegen rechtsextreme Einflüsse immunisieren.
Bodo Zeuner und seine Kollegen haben mit
diesem Buch einen gut recherchierten Beitrag geleistet, damit sich die Einsicht verbreiten kann, dass
Gewerkschaften einen Zweifrontenkrieg zu führen haben: gegen den Neoliberalismus und gegen den
Rechtsextremismus.
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