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Aus Anlass des 175. Geburtstags von Wilhelm Busch (18321908) am 15. April und seines 100.
Todestags am 9. Januar zeigte bzw. zeigt das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover mit zwei Ausstellungen unter dem Obertitel
"Pessimist mit Schmetterling" das Gesamtwerk des Bildergeschichtenerzählers, Dichters, Zeichners und Malers in
bisher nicht dargebotener Breite. Die Ausstellungen und vor allem der Katalogband* machen Busch als
Vorläufer der künstlerischen Neuerer des 20. Jahrhunderts sichtbar.
Die im Juni in Hannover zu Ende gegangene Ausstellung "Soviel Busch wie nie. Malerei und Zeichnungen"**
würdigte den Zeichner und Maler Busch mit knapp 400 ausgestellten Gemälden, Zeichnungen und Skizzen. Sämtliche
Werke wurden zu Lebzeiten Buschs nicht veröffentlicht oder ausgestellt. Busch, der seine künstlerische Ausbildung
nacheinander an den Kunstakademien in Düsseldorf, Antwerpen und München erhalten hatte, wurde sich der
Unzulänglichkeit seines malerischen Schaffens schnell bewusst. In Antwerpen machte er Bekanntschaft mit den Werken von
zeitlebens von ihm verehrten alten niederländischen Meistern wie Adriaen Brouwer, David Teniers und Frans Hals, die, wie
er später schrieb, "mich zu sehr geduckt haben, als dass ichs je recht gewagt hätte, mein Brot mit Malen
zu verdienen, wie manch anderer auch". Busch malte nur zum privaten Vergnügen. Mit seinen letzten, in den 90er
Jahren entstandenen kleinformatigen Gemälden erreicht Busch mit breiten Pinselstrichen und expressiver Farbigkeit eine
Vorstufe der Abstraktion, mit der er eine Entwicklung vorwegnimmt, die die europäische Malerei erst in den 1910er Jahren
erreichte.
Die noch bis zum 18.November in Hannover gezeigte Ausstellung
"Wilhelm Busch Avantgardist aus Wiedensahl" zeigt Busch als Vorläufer und Inspirator der Moderne. Nach
seinem Eintritt in die Münchner Kunstakademie 1854 machte Busch im Künstlerverein "Jung-München"
Bekanntschaft mit der Münchner Boheme. Hatte sich Busch bislang mit Malerei im Stil der niederländischen
Genremalerei à la Brouwer oder Teniers und mit der Sammlung von Volksmärchen aus seiner ländlichen
niedersächsischen Heimat befasst, entdeckte er nun die Satire, die Karikatur, die eilige Beobachtung, den schnellen
Strich...
Nach und nach entwickelte er mit seinen Beiträgen
für die in München erscheinende Zeitschrift "Fliegende Blätter" ein früher
Vorläufer von "Pardon" und "Titanic" die für seine Bildergeschichten charakteristischen
Stilmittel: Waren die bis dahin üblichen Bildergeschichten der "Fliegenden Blätter" nur eine
Aneinanderreihung statischer Episoden, bot Busch die von Bild zu Bild fortlaufende Erzählung eines einzigen,
ununterbrochenen Handlungsablaufs. Die Dichte der Bildsegmente, in die der Handlungsablauf zum Beispiel in textlosen
Bildfolgen wie "Der Floh" oder "Ein Abenteuer in der Neujahrsnacht" (beide 1862) zerlegt ist, weist Busch
nicht nur als Vorläufer der Comics aus, sondern auch des Zeichentrickfilms.
Mit seiner Komik, die mit ihren "eiskalten Pointen"
(Robert Gernhardt) und der Darstellung alltäglicher Katastrophen kein Mitgefühl und keinen Hintersinn kennt,
positioniert sich Busch gegen das ästhetische Glaubensbekenntnis des 19. Jahrhunderts, das dem "Wahren, Guten,
Schönen" (Goethe) verpflichtet ist. Viel lieber räumt er dem Hässlichen und Bösen Platz in seiner
Kunst ein, die sich freilich an die "kleineren Leute" richtet, die mehr Interesse an der alltäglichen
Wirklichkeit haben als am idealistischen "Wahren". Auch damit nimmt Busch die Kunst des 20. Jahrhunderts vorweg.
Der immer wieder behauptete direkte Einfluss von Wilhelm
Busch auf die US-amerikanischen Comics (in Gestalt der "Katzenjammer Kids") wird in der Ausstellung anschaulich
belegt. Sie zeigt zwischen 1905 und 1916 erschienene, bis vor kurzem noch unbekannte Ausgaben der "Lustigen Blätter
des Morgenjournals" und anderer für das zahlreiche deutsche Immigrantenpublikum bestimmte Zeitschriften aus
dem Verlag von William Randolph Hearst, mit Comics, deren unartige Helden sogar die Namen Max und Moritz tragen. Wie ihre
Vorbilder bei Wilhelm Busch attackieren sie vornehmlich Respektspersonen, Institutionen und jeden, der seine Ruhe haben will.
Auffallend ist, dass Bilder direkt bei Busch kopiert werden wie bspw. die rollende Tonne des Diogenes (aus "Diogenes und
die bösen Buben von Korinth") oder die explodierende Pfeife Lehrer Lämpels (aus "Max und Moritz").
In seiner Studie über die europäischen
Einflüsse auf die Zeichentrickfilme Walt Disneys ("Walt Disney and Europe", 1999) zieht Robin Allan eine Linie
von Buschs Max und Moritz über die Hearstschen Comicserien zu Disneys frühen Trickfilmen "Steamboat
Willie" und "Plane Crazy" (beide Filme sind in der Ausstellung zu sehen):
"Obwohl es zwischen Disney und Wilhelm Busch keine
direkte Verbindung gibt, lassen sich viele Parallelen feststellen; beide siedeln ihre Geschichten auf dem Lande an,
Charaktere und Ereignisse sind im traditionellen bäuerlichen und kleinbürgerlichen Milieu verwurzelt. Die
Grausamkeiten bei Busch spielen sich in der rastlosen Schadenfreude des frühen Disney wider ... In den frühen
Mickey-Mouse- und Donald-Duck-Geschichten wird wie bei Busch der gleiche Konflikt zwischen einer auf Sicherheit bedachten
repressiven Autorität einerseits und dem Verlangen nach Selbstbestimmung andererseits ausgetragen. Bis in die Mitte der
30er Jahre gleichen diese Disney-Figuren den Charakteren der Schauergeschichten von Busch, und der große Unruhestifter
ist hier wie dort das gefährlich vitale, unerzogene, nicht kultivierte Kind oder das Tier oder der Rebell, der die
etablierte Ordnung und die Moralvorstellungen auf die Probe stellt und lächerlich macht, die selbst zu fragil sind, um
Verstöße zu sanktionieren, geschweige denn, das System selbst aufrecht zu erhalten."
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