SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 04

Streikverbot für die GdL

Die Justiz als Tarifpartei?

von Wolfgang Däubler

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat die geplanten Streiks der Lokführer im Güter- und Personenverkehr mit der Begründung verboten, dass der deutschen Volkswirtschaft durch den Streik der in der GDL organisierten Lokführer in der Hauptreisezeit schwerer Schaden zugefügt würde.
Obwohl das nur eine erstinstanzliche Entscheidung ist und da sicherlich noch eine Berufungsentscheidung am Landesarbeitsgericht gesprochen werden wird und möglicherweise später auch ein Bundesgericht zu dem unglaublichen Vorgang noch etwas sagen wird, fällt damit der geplante Streik im Güterverkehr fürs erste aus.
Was bedeutet das für die Tarifautonomie, wenn diese von völlig unabhängigen Richtern gesprochene weise Entscheidung Bestand haben sollte? Dass Streiks zu Produktionsausfällen führen, war früher, als das Streikrecht von mutigen Gewerkschaftern erkämpft wurde, bestimmt noch nicht so. Damals haben Gewerkschafter bestimmt immer nur nachts und im Winter gestreikt, damit von den Streiks keiner betroffen wurde. Oder wie ist die Entscheidung des Arbeitsgerichtes Nürnberg zu verstehen?
Wie es die Bahn nun schafft, ihre Milliardengewinne gegen den Wunsch der Lokführer nach Teilhabe zu schützen, liegt trotzdem völlig im Ungewissen. Kann man von jemandem, der per Gerichtsbeschluss zur Arbeit gezwungen wird, erwarten, dass er auch nur einen Handgriff mehr als Dienst nach Vorschrift macht? Und was, wenn nun — unmittelbar hervorgerufen durch die absurde Nürnberger Entscheidung — Lokführer an schwerer demokratischer Desillusionierung leiden und sich deshalb morgens anstatt zur Lokomotive in ärztliche Behandlung begeben, damit dort ihre psychische Gesundheit und ihr Glaube an den demokratischen Rechtsstaat wiederhergestellt wird? Dumm gelaufen, würde man dann wohl sagen.
Als die Bahn privatisiert wurde und aus unkündbaren Beamten kündbare Angestellte wurden, war sicher nie gesagt worden, dass Bahndienste ganz normale Dienstleistungen seien, die genauso wichtig oder unwichtig wie alle anderen Dienstleistungen seien und der Staat sich deshalb aus der Bereitstellung von Transportleistungen mit der Bahn zurückziehen kann. Ganz bestimmt nicht, denn das würde ja, folgt man der Nürnberger Entscheidung, möglicherweise bedeuten, dass man damals einfach gelogen hat, um Kosten zu sparen. Na, man stelle sich mal vor, jemand glaubt so einen Unfug, und der bekommt dann Bauchschmerzen und kann nicht arbeiten? Dumm gelaufen, würde man dann wohl sagen.
Aber nun soll ja nicht an der weisen Entscheidung der unabhängigen Nürnberger Justiz herumgemäkelt, sondern optimistisch nach vorn geblickt werden. Wie wäre es denn damit, die Tarifautonomie einfach wieder herzustellen, indem die Justiz sich als Tarifpartei auf die Seite der Arbeitgeber mit an den Verhandlungstisch setzt? Wenn die Richter als Tarifpartei mit am Verhandlungstisch sitzen, dann wäre für klare Fronten gesorgt und Gewerkschafter könnten das tun, was sie schon immer getan haben, um Forderungen gegenüber der anderen Tarifpartei durchzusetzen: streiken. Und wenn das passiert, dann würde man wohl sagen: dumm gelaufen.
So könnte die Justiz als Verhandlungspartei gezielt bestreikt werden. Man stelle sich mal folgende Nachricht vor: Zugfahrten nach Nürnberg fallen heute leider aus, weil sich das Arbeitsgericht Nürnberg im Arbeitskampf mit Gewerkschaftern der Bahn befindet. Die Justiz könnte sich dann dagegen wehren, in dem sie den Streik verbietet und allen Teilnehmern Entlassung und Lagerhaft in Guantánamo androht. Nur bleibt dann das Problem bestehen, dass Züge ohne Lokführer nicht fahren. Vielleicht will die Justiz ja ein Richterkommando als streikbrechende Lokomotivführer einsetzen? Aber ob Richter mit soviel Arbeit — und das auch noch im Schichtdienst — wohl fertig werden würden? Und ob sie dann wohl, um mit gutem Beispiel voranzugehen, die Arbeit auch für ein Lokführergehalt machen würden? Sicher hätten Richter dann auch gegen leistungsgerechte Bezahlung nichts einzuwenden. Schließlich gibt es ja auch in Deutschland Suppenküchen, die die meisten Menschen vor dem Verhungern schützen. Dumm gelaufen würde man dann wohl sagen.
Eine clevere Idee ist das, die Justiz zur Tarifpartei auf der Arbeitgeberseite zu machen. Da sollte man gleich mal eine Initiative starten, um das im Artikel 9 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich zu fixieren. Wer hier Sarkasmus findet, darf ihn behalten.

Quelle: www.linkezeitung.de.


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