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Über die Losung "Bundeswehr raus aus Afghanistan" streitet
die Friedensbewegung. Die sog. "humanitären Einsätze" betrachten auch viele Pazifisten
als ein kleineres Übel. Es muss mehr Analyse und Aufklärungsarbeit betrieben werden, meint
Christoph Krämer. Christoph Krämer ist Mitglied der deutschen Sektion der Internationalen
Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Mit ihm sprach Harald Etzbach.
Sie kritisieren Militäreinsätze, auch wenn sie durch die UNO mandatiert sind?
Ja. Denn dass ein Militäreinsatz nach Art. 42 der UN-Charta (Schutz des Weltfriedens) oder Art. 51
(Recht auf Selbstverteidigung) erlaubt ist, heißt noch lange nicht, dass er notwendig oder gar
sinnvoll ist. Das gilt auch für das dritte Kriterium: "Schutz der Menschenrechte". Es hat
inzwischen große praktische Bedeutung, obwohl es in der UN-Charta gar nicht existiert.
Mit humanitären Katastrophen, die es
zu beenden gelte, wird immer öfter argumentiert, um Abgeordnete und Öffentlichkeit über
machtpolitische Interessen hinter militärischen Missionen hinwegzutäuschen. Das Muster dabei ist
immer wieder dasselbe: Herausgekehrt werden nur die internen Ursachen für die Katastrophen die
es sicherlich fast immer gibt. Was aber ausgeblendet wird: Meist sind externe Faktoren viel bedeutsamer
und die Verursacher sind oft genau jene, die sich als Feuerwehr zur Rettung der betroffenen
Länder gebärden.
Nach unserer Analyse müssen
insbesondere drei Komplexe in den Blick genommen werden, wenn man wirklich etwas gegen humanitäre
Katastrophen unternehmen will: Erstens die historische Dimension des kolonialen Erbes. Zweitens
besonders bedeutsam, aber oft schwer erkennbar das Vorliegen von Stellvertreterkonflikten. Ein
Beispiel hierfür wäre etwa der Konflikt im Sudan mit dem US-europäischen Block auf der einen
und China auf der anderen Seite. Ein anderes Beispiel war Rwanda, wo es einen Stellvertreterkonflikt
zwischen den USA und Frankreich gab.
Drittens die wirtschaftliche Dimension: Die
neoliberale Globalisierung destabilisiert immer mehr Gesellschaften. Dieser Punkt ist ziemlich kompliziert,
zumal viele friedenspolitische Organisationen, auch IPPNW, Schwierigkeiten haben, solche wirtschaftlichen
Faktoren als friedenspolitische Probleme wahrzunehmen. Begriffe wie Neoliberalismus bereiten da
Schwierigkeiten. IPPNW etwa ist ja auch keine linke, sondern eine überwiegend bürgerliche
Organisation.
Sind friedenspolitischen Organisationen in der Lage, sich ein eigenes Bild von der jeweiligen
Situation zu verschaffen?
Was den Sudan betrifft, haben wir Probleme, an verwertbare Informationen zu kommen. Wir brauchen
Unterstützung von außen. Eine umfassende Länderstudie, um z.B. auch die Rolle unseres
eigenen Landes aufzudecken, ist etwas sehr Aufwändiges. Wir haben in der deutschen IPPNW ein Projekt
mit dem Namen Root Causes of Conflicts in the Age of the Total Market, in dem der Zusammenhang zwischen der
Entstehung von Konflikten in Dritt-Welt-Ländern und der neoliberalen Globalisierung analysiert wird.
Dazu muss man aber Menschen finanzieren, die analysieren und recherchieren.
Hinzu kommt, dass wir infrastrukturell
nicht auf eine funktionierende Friedensforschung aufbauen können. Wenn wir uns die jährlichen
"Friedensgutachten" ansehen, die gemeinsam von den führenden deutschen
Friedensforschungsinstituten herausgegeben werden, so gibt es da einen blinden Fleck, was die
Ursachenforschung anbetrifft.
Wo sehen Sie mögliche Bündnispartner der Friedensbewegung?
Die Friedensbewegung muss versuchen, über die Organisationsgrenzen hinweg zu kommen. Diejenigen in
IPPNW, die an Ursachenanalysen interessiert sind, sollten mit Menschen aus anderen Friedensorganisationen,
die dieses Interesse teilen, zusammenarbeiten. Stiftungen könnten mitarbeiten oder Abgeordnete von
Parteien. Selbst bei der LINKEN sehe ich allerdings das Problem, dass hier diejenigen dominieren, die auf
Regierungsbeteiligung orientieren.
Und die globalisierungskritische Bewegung?
Es ist dringend notwendig, dass Friedensbewegung und globalisierungskritische Bewegung enger
zusammenrücken und erkennen, dass die neoliberale Globalisierung enorme friedenspolitische
Implikationen hat. Das bedeutet nicht nur, dass zur Durchsetzung neoliberaler Politik immer wieder Kriege
notwendig sind, sondern dass die Etablierung neoliberaler Wirtschaftsstrukturen und Gesellschaftsmodelle
auch einen zerstörenden Effekt auf Gesellschaften hat.
Politische Trennungen sehe ich eher
innerhalb der einzelnen Organisationen. So haben wir bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Rostock mit
unserer friedenspolitischen Intervention viele Verbündete etwa bei Attac gefunden. Andererseits waren
wir aber auch mit Leuten von Greenpeace oder Attac konfrontiert, die hinter Parolen wie "Stop talking,
act now!" standen, die also einen Appell an jene Akteure der G8 richteten, die nicht Teil der
Lösung, sondern Teil des Problems sind.
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