SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 04

Friedensbewegung

Wir brauchen mehr eigene Analysen

Gespräch mit Christoph Krämer

Über die Losung "Bundeswehr raus aus Afghanistan" streitet die Friedensbewegung. Die sog. "humanitären Einsätze" betrachten auch viele Pazifisten als ein kleineres Übel. Es muss mehr Analyse und Aufklärungsarbeit betrieben werden, meint Christoph Krämer. Christoph Krämer ist Mitglied der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Mit ihm sprach Harald Etzbach.

Sie kritisieren Militäreinsätze, auch wenn sie durch die UNO mandatiert sind?

Ja. Denn dass ein Militäreinsatz nach Art. 42 der UN-Charta (Schutz des Weltfriedens) oder Art. 51 (Recht auf Selbstverteidigung) erlaubt ist, heißt noch lange nicht, dass er notwendig oder gar sinnvoll ist. Das gilt auch für das dritte Kriterium: "Schutz der Menschenrechte". Es hat inzwischen große praktische Bedeutung, obwohl es in der UN-Charta gar nicht existiert.
Mit humanitären Katastrophen, die es zu beenden gelte, wird immer öfter argumentiert, um Abgeordnete und Öffentlichkeit über machtpolitische Interessen hinter militärischen Missionen hinwegzutäuschen. Das Muster dabei ist immer wieder dasselbe: Herausgekehrt werden nur die internen Ursachen für die Katastrophen — die es sicherlich fast immer gibt. Was aber ausgeblendet wird: Meist sind externe Faktoren viel bedeutsamer — und die Verursacher sind oft genau jene, die sich als Feuerwehr zur Rettung der betroffenen Länder gebärden.
Nach unserer Analyse müssen insbesondere drei Komplexe in den Blick genommen werden, wenn man wirklich etwas gegen humanitäre Katastrophen unternehmen will: Erstens die historische Dimension des kolonialen Erbes. Zweitens — besonders bedeutsam, aber oft schwer erkennbar — das Vorliegen von Stellvertreterkonflikten. Ein Beispiel hierfür wäre etwa der Konflikt im Sudan mit dem US-europäischen Block auf der einen und China auf der anderen Seite. Ein anderes Beispiel war Rwanda, wo es einen Stellvertreterkonflikt zwischen den USA und Frankreich gab.
Drittens die wirtschaftliche Dimension: Die neoliberale Globalisierung destabilisiert immer mehr Gesellschaften. Dieser Punkt ist ziemlich kompliziert, zumal viele friedenspolitische Organisationen, auch IPPNW, Schwierigkeiten haben, solche wirtschaftlichen Faktoren als friedenspolitische Probleme wahrzunehmen. Begriffe wie Neoliberalismus bereiten da Schwierigkeiten. IPPNW etwa ist ja auch keine linke, sondern eine überwiegend bürgerliche Organisation.

Sind friedenspolitischen Organisationen in der Lage, sich ein eigenes Bild von der jeweiligen Situation zu verschaffen?

Was den Sudan betrifft, haben wir Probleme, an verwertbare Informationen zu kommen. Wir brauchen Unterstützung von außen. Eine umfassende Länderstudie, um z.B. auch die Rolle unseres eigenen Landes aufzudecken, ist etwas sehr Aufwändiges. Wir haben in der deutschen IPPNW ein Projekt mit dem Namen Root Causes of Conflicts in the Age of the Total Market, in dem der Zusammenhang zwischen der Entstehung von Konflikten in Dritt-Welt-Ländern und der neoliberalen Globalisierung analysiert wird. Dazu muss man aber Menschen finanzieren, die analysieren und recherchieren.
Hinzu kommt, dass wir infrastrukturell nicht auf eine funktionierende Friedensforschung aufbauen können. Wenn wir uns die jährlichen "Friedensgutachten" ansehen, die gemeinsam von den führenden deutschen Friedensforschungsinstituten herausgegeben werden, so gibt es da einen blinden Fleck, was die Ursachenforschung anbetrifft.

Wo sehen Sie mögliche Bündnispartner der Friedensbewegung?

Die Friedensbewegung muss versuchen, über die Organisationsgrenzen hinweg zu kommen. Diejenigen in IPPNW, die an Ursachenanalysen interessiert sind, sollten mit Menschen aus anderen Friedensorganisationen, die dieses Interesse teilen, zusammenarbeiten. Stiftungen könnten mitarbeiten oder Abgeordnete von Parteien. Selbst bei der LINKEN sehe ich allerdings das Problem, dass hier diejenigen dominieren, die auf Regierungsbeteiligung orientieren.

Und die globalisierungskritische Bewegung?

Es ist dringend notwendig, dass Friedensbewegung und globalisierungskritische Bewegung enger zusammenrücken und erkennen, dass die neoliberale Globalisierung enorme friedenspolitische Implikationen hat. Das bedeutet nicht nur, dass zur Durchsetzung neoliberaler Politik immer wieder Kriege notwendig sind, sondern dass die Etablierung neoliberaler Wirtschaftsstrukturen und Gesellschaftsmodelle auch einen zerstörenden Effekt auf Gesellschaften hat.
Politische Trennungen sehe ich eher innerhalb der einzelnen Organisationen. So haben wir bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Rostock mit unserer friedenspolitischen Intervention viele Verbündete etwa bei Attac gefunden. Andererseits waren wir aber auch mit Leuten von Greenpeace oder Attac konfrontiert, die hinter Parolen wie "Stop talking, act now!" standen, die also einen Appell an jene Akteure der G8 richteten, die nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind.


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