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"Deutschland rückt nach links", titelte die Zeit im August. Angesichts
der Erfahrung, dass in Berlin eine Koalition herrscht, die sich der Agenda-2010-Politik des Exkanzlers
verpflichtet weiß und dem Wissen, dass die grün-gelbe Opposition nicht gerade links davon steht,
verwundert diese These. Hintergrund der Schlussfolgerung der Zeit-Redaktion ist eine von ihr beauftragte
Emnid-Bürgerbefragung, die erstaunliche Ergebnisse hervorgebracht hatte. Die Befragten gaben zu
Papier, dass sie auf zentralen Politikfeldern genug haben vom penetranten TINA-Gedröhne der
neoliberalen Parlamentsmehrheit und bereit wären der Vermarktwirtschaftung der Gesellschaft klare
Grenzen zu setzen. Interessant dabei ist, dass sich diese Neigung nicht auf den Teil der Wählerschaft
beschränkt, dem man so etwas traditionell zutrauen würde. Einige Beispiele:
82% der SPD-Wähler unterstützen
die Rücknahme der Rente mit 67. In der Union sind es ebenfalls 80%. Die Unterstützung eines
Mindestlohns geht soweit, dass er sogar von 68% der FDP-Wähler befürwortet wird. Das gleiche Bild
zeigt sich in der Privatisierungsdebatte, bei der es in keiner Partei eine Mehrheit für die Umwandlung
von Staatsunternehmen in private gibt. Die größte Lobby hierfür besteht bei den
Grünwählern, die allerdings gleichzeitig am stärksten der Auffassung sind, dass die
Gewerkschaften eine zu marginale Rolle spielen. Es gibt zum Teil satte Mehrheiten für die
Rücknahme der Agendareformen und auch in wichtigen Bereichen der deutschen Außenpolitik fehlt es
an repräsentativen Mehrheiten. So findet der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan in keiner Partei
eine Mehrheit. Das größte Unterstützerkontigent stellt die ehemalige "Partei der
Friedensbewegung".
Für die Betreiber und Nutznießer
des neoliberalen Gesellschaftsumbaus, die seit Jahren mit Ruckrhetoriken eine Beschleunigung dieses
Prozesses fordern, bedeuten die beschriebenen Ergebnisse eher wachsende Probleme und entsprechend
ungehalten reagiert man hier auf die Einengung des politischen Spielraums, der auch jetzt in einer Partei
auftritt, die sich bisher weigert auf die Agenda 2010 zu schwören. Als Zielscheibe der Attacken hat
man sich Lafontaine ausgesucht, der sich auch nicht scheut auf Begrifflichkeiten und Erklärungsmuster
zurückzugreifen, die sich kaum für linke Politik eignen. So beklagt der Vorstandsvorsitzende der
Springer AG, Döpfner, die "Selbstaufgabe im sog. bürgerlichen Lager", d.h. dass
Lafontaine in den "freiheitlich-bürgerlichen Medien" Raum erhält für seine
"nationalistisch-sozialistischen Ressentiments". Das wirkt natürlich schon deshalb komisch,
weil dieser Herr Herausgeber einer Reihe von Medien ist, die geradezu als Leitmedien des Ressentiments
gelten können. Doch auch im Tagesspiegel hat man es sich nicht verkniffen einen Kommentar zu
schreiben, in dem Lafontaine zum "deutschen Haider" erklärt wird. Das Leserecho auf diesen
Versuch der politischen Marktbereinigung zeigte jedoch auch, dass die Beauftragten der Familie Holzbrinck
und ihre Leser die Welt sehr verschieden interpretieren.
Recht sachlich heißt es in einem
Kommentar in der Zeit von Jörg Lau: "Es stimmt wahrscheinlich immer noch, dass Wahlen in der
Mitte gewonnen werden. Aber diese Mitte ist ein gutes Stück nach links verrutscht."
Es bleibt das bekannterweise nicht geringe
Problem, den politischen Wunsch nach Zuständen, in denen Solidarität und gesellschaftliche
Verantwortung eine größere Rolle spielen, in reale Veränderungen umzusetzen. Auch wenn es
Freude macht zu beobachten, dass in aktuellen Meinungsumfragen die soziale Kompetenz der Linkspartei
höher bewertet wird als die der SPD, so bleibt doch nüchtern festzustellen, dass die
Mobilisierungskraft der sozialen Bewegungen gegen die Agendareformen ziemlich gelitten hat und sich die
Hoffnung darauf, dass eine parlamentarische Präsenz der Partei Die Linke diese Windstille
auszugleichen vermag, als Fata Morgana erweisen kann. Der Sprung von "Links wollen" zu
"Links bekommen" erfordert mehr als die Abgabe eines Wahlzettels.
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