SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 11

Präventive Repression

Die Rote Hilfe über staatliche Gewalt gegen Globalisierungskritiker

Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung werden zunehmend Bürgerrechte ausgehebelt. Heiligendamm war ein "ideales" Experimentierfeld für neue und alte Repressionsmethoden wie Polizeigewahrsam, Geruchsproben und Einsatz der Bundeswehr. Anja Köhler sprach mit einem Mitglied des Bundesvorstands der Roten Hilfe.

Wie hat sich das Verhalten des Staates gegenüber Demonstranten in den letzten Jahren verändert?

Auffällig ist, dass es eine steigende Anzahl von Verfahren und auch Verurteilungen wegen minimaler "Delikte" gibt, so etwa wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Ein Trend geht zur "Abschreckung auf niedrigem Niveau" die für die Betroffenen aber dennoch ganz einschneidende finanzielle und persönliche Folgen haben kann.
Generell zeichnet sich die Tendenz ab, Menschen, die ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen, als potenzielle Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu betrachten. Nicht selten schafft sich die Polizei mit rechtswidrigen Einsätzen die Anlässe selbst, um aus Demonstranten Straftäter zu machen — wer sich gegen einen rechtswidrigen Polizeieinsatz wehrt, nimmt eigentlich sein gutes Recht wahr und wird dennoch meist selbst mit Strafverfahren überzogen. Die Chancen, als Demonstrant vor Gericht gegen eine ganze Gruppe von mauernden Polizisten durchzukommen, sind meist sehr gering.

Wie bewertet ihr das Verhalten der Polizei gegen Globalisierungskritiker in Heiligendamm?

Schon im Vorfeld versuchten die Behörden, die G8-Gegner durch die Androhung und Durchführung massiver Repressionsmaßnahmen und drastischer Einschränkungen des Grundrechts einzuschüchtern. Das Vorgehen der Polizei während der Proteste folgte einer gezielten Eskalationsstrategie, bei der gezielte Desinformation, der Einsatz von Agents provocateurs und die permanente Missachtung rechtlicher Standards ineinandergriffen.
Die Bilder aus den Gefangenensammelstellen haben in der Öffentlichkeit spontan die Assoziation "Guantánamo" wachgerufen. Die Bedingungen, unter denen dort Linke wegen minimalster "Vorwürfe" zusammengepfercht wurden, waren schlicht menschenverachtend. Jeweils bis zu 20 Menschen wurden in enge Käfige mit Betonfußboden gesperrt, ohne Sichtschutz, ohne Kontakt zu Anwälten, 24 Stunden mit Neonlicht bestrahlt und permanent von ihren Bewachern gefilmt. Mit Vorstellungen von einem Rechtsstaat ist das in keiner Weise vereinbar.

Wie ist derzeit überhaupt die Situation in den Knästen?

Es ist schwer, diese Frage pauschal zu beantworten, da die Situation in den einzelnen JVAs sehr unterschiedlich sein kann. Im Grundrechtereport für die BRD wird alljährlich darauf hingewiesen, dass sich Gefängnisleitungen immer wieder resistent selbst gegen eindeutige Gerichtsurteile zeigen, wenn Gefangene versuchen, ihre Rechte auch juristisch durchzusetzen. Besonders schlimm ist jedoch die Situation der Menschen, die in der BRD in Abschiebehaft sitzen. Ohne Unterstützung von "draußen", oft ohne anwaltliche Betreuung und mit völlig ungewisser Perspektive ist es unvergleichlich schwerer, die Knastmaschinerie zu überstehen.

Wie viele Schnellverfahren gab es, und mit welchen Ergebnissen? Wie viele Verurteilungen erwartet ihr im Nachhinein?

Insgesamt gab es acht Schnellverfahren, z.T. auch gegen Aktive aus anderen Ländern. Die dabei verhängten Haftstrafen, die großteils nicht zur Bewährung ausgesetzt wurden, liegen zwischen sechs und neun Monaten; allerdings haben die meisten Betroffenen die Urteile nicht akzeptiert, sondern gehen in die nächste Instanz.
Wie viele Prozesse noch bevorstehen, lässt sich im Moment noch nicht abschätzen. Viele der Verhandlungen werden erst im nächsten Jahr anstehen, so dass wir frühestens 2008 eine realistische Einschätzung abgeben können.

Was ist der aktuelle Stand der Verfahren nach §129a StGB?

Der §129a ist in erster Linie ein klassischer "Ermittlungsparagraf". Nur die wenigsten Verfahren führen jemals zu einer Verurteilung. Dafür erlauben sie den Ermittlungsbehörden umfassende Eingriffe in die Grundrechte der Betroffenen wie Telefon- und Postüberwachungen, DNA- Entnahmen, den Einsatz von Spitzeln.
Wir gehen davon aus, dass die Hausdurchsuchungen im Vorfeld des Gipfels in erster Linie der Ausforschung und Einschüchterung einer gesamten Szene dienen sollten und dass es angesichts der absurden Vorwürfe zu keinen Verurteilungen kommen wird.

Hat der Staat mit dem Einsatz der Bundeswehr in Heiligendamm die Debatte um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren durch die Schaffung vollendeter Tatsachen bereits entschieden?

Tatsächlich hat sich der Staat mit dem Einsatz der Armee gegen die eigene Bevölkerung hier über gültige Rechtsnormen sehr dreist hinweggesetzt. Ob er damit aber letzten Endes Erfolg hat, hängt nicht zuletzt von der gesellschaftlichen Gegenwehr ab. Ganz ohne Widerspruch lief dieser Verfassungsbruch ja nicht ab und er wird auch den Bundestag noch eine Weile beschäftigen. Man sollte bedenken, dass die Bundeswehr ihren eigentlichen Verfassungsauftrag nämlich die "Landesverteidigung" schon seit Jahren hinter sich gelassen hat.

Geruchsproben, Onlinedurchsuchungen: Was ist neu an Schäubles Maßnahmenkatalog?

Im Zuge der Anti-Terror-Hysterie versucht Schäuble all die Maßnahmen nun gesetzlich durchzupeitschen, mit denen er bislang vor deutschen Gerichten gescheitert war. Wirklich neu ist an seinen Plänen nichts außer der gezielten Stimmungsmache, mit der versucht wird, diese bislang illegalen Maßnahmen per Gesetzgebung abzusegnen.

Wie hat der G8-Gipfel den Umgang des Staates mit seinen Kritikern verändert? Erleben wir eine neue Qualität von Repression?

Es handelt sich nur in wenigen Aspekten um eine wirklich neue Qualität der Repression. Maßnahmen wie das mehrtägige Versammlungsverbot für eine große Region oder die massenhaften Ingewahrsamnahmen ohne rechtliche Grundlage sind nicht neu, sie traten diesmal nur in einer neuen Größenordnung auf. Zahlreiche Repressionsmittel werden jedoch ständig verschärft. Außerdem setzt die Repression immer häufiger bereits im Vorfeld politischer Aktionen an, indem z.B. mit Mitteln des Versammlungsrechts Demonstrationen so massiv behindert werden, dass schon von einem faktischen Demoverbot gesprochen werden kann.

Hat sich die Repression im Vergleich zu historischen Repressionsfällen in der BRD — z.B. dem KPD-Verbot — verschärft?

Sie hat sich in erster Linie gewandelt und sich veränderten staatlichen Bedürfnislagen angepasst. Allerdings hat sich bspw. bei der in der BRD in jüngster Zeit wiederbelebten Berufsverbotspraxis gezeigt, dass Repressionsinstrumente, von denen man geglaubt hatte, sie gehörten der Vergangenheit an, jederzeit wieder hervorgeholt werden können. Insofern wächst das Repertoire an staatlichen Mitteln, die im Bedarfsfall gegen die Linke in Stellung gebracht werden können, ständig an.

Befinden wir uns auf den Weg in einen Polizei- und Überwachungsstaat?

Die Übergänge zwischen Rechtsstaat und Polizeistaat sind nicht so trennscharf, wie das immer suggeriert wird. Auch das Nazi-Regime bediente sich ja unter anderem durchaus rechtsstaatlicher Formen. Sicher ist, dass im Zuge eines verschärften Diskurses um die sog. "Innere Sicherheit" immer mehr Grundrechte eingeschränkt oder faktisch aufgehoben werden. Und die permanente großflächige Überwachung der gesamten Bevölkerung hat - trotz der Tatsache, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mittlerweile formal Verfassungsrang hat — bedrohliche Ausmaße angenommen.
Repression ist immer staatliches Krisenmanagement. Der Staat reagiert dort, wo sich Widerstand zeigt oder auch zeigen könnte. Die gegenwärtige Repressionswelle hat in weiten Teilen präventiven und abschreckenden Charakter gegenüber einer linken Bewegung, die sich gerade erst in einem sehr widerspruchsvollen Prozess neu zu formieren beginnt.


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