SoZ - Sozialistische Zeitung |
Au Loong Yu ist Mitarbeiter des Globalization Monitor in Hongkong und hat vom
22.Mai bis 6.Juni auf einer Veranstaltungsrundreise in Deutschland über die Situation der arbeitenden
Menschen in China informiert. Mit ihm sprach Jochen Gester für die SoZ.
Was sind die Haupteindrücke, die du aus den Diskussionen mit deutschen Teilnehmern nach Hause
nimmst?
Mein erster Eindruck ist, dass sich unsere Welt sehr globalisiert hat und deutsche und chinesische
Lohnabhängige viele Gemeinsamkeiten teilen. Ich traf auf Arbeiteraktivisten von Airbus, aus
Textilfirmen und aus Automobilfabriken. All diese Unternehmen operieren heute in China. Ein
gewerkschaftlich aktiver Textilarbeiter sagte mir, seitdem viele Textilbetriebe nach China verlegt wurden,
sei für viele seiner Kollegen das Wort "China" zum Synonym für "Terror"
geworden. Zur gleichen Zeit investieren Unternehmen aus China und Hongkong in großer Zahl in der EU.
Deshalb habe ich auch bei deutschen Gewerkschaftsaktivisten ein wachsendes Interesse für China und die
Arbeitsverhältnisse dort feststellen können.
Wann ist eure NGO entstanden und was ist ihr Hauptarbeitsschwerpunkt? Was habt ihr bewirkt und wo
sind eure Grenzen?
Globalization Monitor wurde 1999, wenige Monate vor der Welthandelskonferenz in Seattle,
gegründet. Ein Dutzend Aktivisten aus Gewerkschaften, der Frauenbewegung und der Ökologiebewegung
in Hongkong beschlossen, ein Projekt zu initiieren, eine Zeitung und eine Webseite. Unser Hauptziel war,
ein öffentliches Bildungsangebot für Gewerkschaften und NGOs zu Globalisierungsfragen auf die
Beine zu stellen. Wir haben gemeinsame Bildungsprojekte mit dem Gewerkschaftsbund CTU gegründet. So
konnten wir Leute dazu bewegen, alle möglichen Fragen zu durchdenken.
Bis ins Jahr 2002, 2003 haben sich die
Gewerkschaftsaktiven, NGOs und kommunalen Initiativen lediglich angehört, was wir zu sagen hatten,
waren davon aber wenig überzeugt. Danach änderten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse
rasant, weil es zu sozialen Rückschlägen kam. Die Regierung kürzte alle Leistungen und
privatisierte unbarmherzig. Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst verloren ihre Anstellung,
und es begann eine erste Welle der Radikalisierung. Den Menschen wurde immer klarer, wohin die neoliberale
Globalisierung führt. Das schuf die Grundlage dafür, dass wir die Hongkong-Volksallianz gegen die
WTO bilden und eine Anti-WTO-Aktionswoche vorbreiten konnten.
Seit 2004 haben wir uns dann darauf
konzentriert, Informationen über Arbeitskonflikte in China zu bekommen und dafür Solidarität
zu organisieren. Gegenwärtig betreiben wir eine Solidaritätskampagne mit den vergifteten
Beschäftigten der Gold-Peak-Gruppe, einem asiatischen transnationalen Konzern mit Sitz in Hongkong,
der Dutzende von Batteriefabriken in China betreibt.
Es gibt in der deutschen Linken immer noch Gruppen, die China für ein sozialistisches Land
halten und der Meinung sind, dass die KP Chinas die Arbeiter jetzt mit einer sozialen Gesetzgebung vor den
Schrecken des Marktes schützen will. Was hältst du davon?
Globalization Monitor befasst sich nicht in erster Linie mit ideologischen Debatten. Aber wir
beschäftigen uns mit den Arbeitsverhältnissen in China, weil die Arbeitssituation dort
schrecklich ist. Meine persönliche Meinung ist, dass China ein kapitalistischer Staat ist, und ein
sehr arbeiterfeindlicher dazu. Auf der einen Seite lehnt die Regierung das Koalitions- und Streikrecht ab,
gleichzeitig fördert sie die Privatisierung des Staatssektors, was dazu geführt hat, dass 30
Millionen Menschen entlassen wurden. Diese Tatsache allein spricht gegen die Vorstellung, die Regierung sei
arbeiterfreundlich.
Es gibt gesetzliche Bemühungen um
einen besseren Schutz der Beschäftigten, doch es geht dabei in erster Linie um eine Verbesserung der
Wirtschaftslage. Bis heute gibt es keine Bemühungen, den Beschäftigten ihre politischen Rechte
oder Bürgerfreiheiten zurückzugeben. Ohne diese haben die Beschäftigten aber nicht das
Recht, sich selbst zu verteidigen, wenn ihre sozialen Rechte durch die Arbeitgeber verletzt werden. Dazu
kommt, dass die Beschäftigen selten etwas von den Arbeitsgesetzen haben, weil sie weder von den
Behörden noch von den Arbeitgebern eingehalten werden.
Wenn ich das richtig sehe, erleben wir gegenwärtig eine Umgruppierung und Neuformierung der
chinesischen Arbeiterklasse. Die beiden wichtigsten Gruppen sind die Beschäftigen der (ehemaligen)
Staatsbetriebe und die Wanderarbeiter. Welche Erfahrungen haben die Beschäftigten der ehemaligen
Staatsbetriebe gemacht und wie sieht es mit ihrer Kampffähigkeit heute aus? Was unterscheidet sie von
den Wanderarbeitern und aus welchen Bevölkerungsgruppen werden diese rekrutiert?
Im heutigen China gibt es zwei Sektoren der Arbeiterklasse: die Beschäftigten des staatlichen
Sektors und die der Privatwirtschaft. Die erste Gruppe wurde durch die Privatisierungswelle stark
demoralisiert. Über 30 Millionen wurden im öffentlichen Sektor entlassen, eine
Größenordnung, die es in der Geschichte bisher nicht gegeben hat. Im Laufe der letzten zehn Jahre
ist die städtische Arbeiterbevölkerung auf 200 Millionen angewachsen, und ihre Zusammensetzung
hat sich weitgehend verändert. Die Zahl der Beschäftigten in Staatsbetrieben ist von 112
Millionen im Jahr 1995 auf 69 Millionen im Jahr 2003 gesunken.
Zur gleichen Zeit haben 120 Millionen
Menschen ihre ländlichen Gebiete verlassen und streifen als Wanderarbeiter umher, um eine Arbeit zu
finden. Die überwältigende Zahl endet in Privatunternehmen mit Löhnen, die so niedrig sind,
dass sie kaum zum Überleben ausreichen und geringe soziale Sicherheit bieten.
Diese große Transformation lässt
sich so zusammenfassen: Gute und sichere Jobs wurden beseitigt und ersetzt durch schlechte und unsichere
Arbeitsverhältnisse. Dies bedeutet einen großen sozialen Rückschritt. Die alte
Arbeiterklasse ist zu einer Minderheit geworden und steht einer neuen Abeiterklasse gegenüber, die aus
Wanderarbeitern besteht.
Wie ist das Verhältnis der beiden Gruppen zueinander? Begreifen sie sich als Teil einer
gemeinsamen Klasse oder sind sie durch politische und kulturelle Barrieren voneinander getrennt?
Es gibt keine Anzeichen für Solidarität zwischen diesen beiden Sektoren. In China besteht die
alte Vorstellung fort, wonach der Begriff "Arbeiter" sich nur auf die Beschäftigten der
Staatsbetriebe bezieht, auf Menschen, die ein dauerhaftes Niederlassungsrecht in der Stadt haben. Deshalb
werden die ländlichen Wanderarbeiter Minggong, bäuerliche Arbeiter, genannt. Minggong gelten
nicht als reguläre Arbeiter, weil sie kein Bleiberecht in der Stadt besitzen; sie werden
institutionell sowohl bei der Vergabe von Jobs, bei der Bildung wie bei der Gewährung sozialer
Leistungen diskriminiert. Auch wenn sie über zehn Jahre in der Stadt gearbeitet haben, werden sie als
Beschäftigte betrachtet, die nur vorübergehend Arbeiter sind und früher oder später in
ihre Dörfer zurückkehren.
Meine Meinung ist, dass diese Form sozialer
Apartheid ganz entscheidend ist für das Projekt der kapitalistischen Restauration der herrschenden
Partei. Sie spaltet die Arbeiterklasse und bewirkt, dass zwei Gruppen gegeneinander konkurrieren. Dieses
Regime hilft, die Wanderarbeiter so zu kontrollieren, dass sie noch verwundbarer sind als die
Staatsbeschäftigten in ihrem Abwehrkampf gegen skrupellose Arbeitgeber.
Welche Rolle spielen die offiziellen Gewerkschaften bei Konflikten in den Betrieben?
Unterstützen sie Forderungen nach politischen und sozialen Rechten und wie verhalten sie sich
praktisch?
Der ACFTU (Gesamtverband der chinesischen Gewerkschaften) ist die einzige landesweite Gewerkschaft in
China. Die Gründung von Gewerkschaften unterhalb dieser Ebene ist laut Gesetz nur mit Zustimmung der
Führung des ACFTU erlaubt. Jeder Versuch, eine unabhängige Gewerkschaft zu gründen, ist
illegal und Grund für Strafverfolgung.
Der ACFTU ist per Gesetz verpflichtet, die
führende Rolle der Partei anzuerkennen, und es gibt innerhalb der Gewerkschaft keinerlei
demokratischen Wahlmechanismen, sodass die Mitglieder keine Möglichkeit haben, ihre Interessen zu
artikulieren.
Im Privatsektor ist es nicht
ungewöhnlich, dass führende Vertreter des ACFTU gleichzeitig Personalchefs oder Mitglieder des
Managements sind. Die Branchen des gewerkschaftlichen Dachverbands existieren nur auf dem Papier. Wir haben
noch nie von einem Konflikt gehört, bei dem ACFTU-Branchenverbände die Beschäftigen im Kampf
für Gerechtigkeit gegen das Management unterstützt hätten. Bei Golden Peak hat die ACFTU
absolut nichts unternommen, um die Beschäftigten über ihre Kadmiumvergiftung aufzuklären.
Wie kann sich ein Prozess entwickeln, in dem Basisgewerkschafter anderer Länder mit
chinesischen Kollegen Kontakt aufnehmen können? Wie können wir einen Beitrag leisten, dass sich
die chinesischen Arbeiter die Rechte erkämpfen, die sie brauchen, um sich als Bürger und
Produzenten zu behaupten?
Es gibt viele Möglichkeiten für deutsche Gewerkschaftsaktivisten, die Beschäftigten in
China zu unterstützen. Handel und Investitionen zwischen China und Deutschland haben einen Stand
erreicht, der Beschäftigte und Konsumenten beider Seiten verbindet. In der EU werden überall
chinesische Produkte verkauft, und umgekehrt ist es in China mit Waren aus der EU genauso. So sind z.B.
Batterien von Golden Peak in der EU sehr verbreitet. Auch arbeiten Tausende von chinesischen und deutschen
Beschäftigten für den gleichen Konzern. Es ist wichtig, dass die Arbeiterbewegung und die
Konsumenten in Deutschland mehr Austausch und Solidarität entwickeln, um das gemeinsame Anliegen
die Stärkung der Rechte der Beschäftigten und der Verbraucher zu erkämpfen.
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