SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2007, Seite 22

Der Italiener (Il Caimano)

Der Italiener (Il Caimano), Italien 2006, Regie: Nanni Moretti. Mit Silvio Orlando, Margherita Buy, Jasmine Trinca (Bereits angelaufen)

Il Caimano heißt der Film im Original, der Kaiman. "Il Caimano" ist ein Spitzname für Berlusconi in Italien, ein Journalist hat ihn so schon vor Jahren definiert. Ein Film über Berlusconi also, in Italien vor eineinhalb Jahren fieberhaft erwartet, als man auch fieberhaft auf die Wahlen im Frühling wartete. Die Dreharbeiten hatten schon ein Jahr zuvor begonnen, das Schreiben des Films noch viel früher, stets unter dem Gebot maximaler Verschwiegenheit. Nur weniges drang nach außen über Nanni Morettis ersten Film nach seinem großen Erfolg Das Zimmer des Sohnes, für viele sein erster "richtiger" Film, da er nicht so eng an seinem eigenen, realen Leben orientiert war wie die meisten seiner Filme zuvor, die fast emblematisch das älter werden und die Entwicklung einer ganz bestimmten gemäßigt-linken Schicht in Italien filmisch festhalten.
Das Publikum wusste im Vorhinein also nur, dass es ein Film über Berlusconi sein würde, ein Spiel- und kein Dokumentarfilm und dass Silvio Orlando und nicht Moretti selbst die Hauptrolle spielt. "Es fällt nicht leicht, sich Silvio Orlando als Berlusconi vorzustellen", wurde Moretti gefragt. "Ich habe nur gesagt, dass Orlando der Protagonist ist, nicht dass er der Caimano ist", antwortete er trocken.
Genauso ist es. Der Italiener beginnt mit einem Film im Film: bei einer sommerlichen Retrospektive läuft Il Cataratte, ein Trash-Horrorfilm des nunmehr etwas abgehalfterten Regisseurs Bruno Bonomo, gespielt von Silvio Orlando. Eine junge Frau steckt ihn ein Filmscript zu, Il Caimano. Bruno Bonomos Leben zerfällt an allen wichtigen Enden. Er trennt sich — gegen seinen Willen — von seiner Frau (gespielt von der wunderbaren Margherita Buy), seine Produktionsfirma hält sich nur mehr durch die Vermietung seines Studios an Verkaufsfernsehsender aufrecht, ein geplanter großer Kostümfilm über Christoph Kolumbus bereitet alle möglichen Schwierigkeiten.
So liest Bonomo eines Nachts — im Zuge der Trennung wohnt er in seinem Büro — das Drehbuch der jungen Regisseurin Teresa (gespielt von Morettis Entdeckung Jasmine Trinca). Ein Mann sitzt des Abends noch an seinem Schreibtisch. Das Aussehen — die vertraute Halbglatze, die Haltung — erinnert an den Kaiman, Berlusconi. Plötzlich bricht die Decke ein, Geld regnet auf den Kaiman herab. "Woher kommt dieses Geld?", hört man eine Stimme. Wir sehen die Szenen dieses Drehbuchs nach und nach, wir lesen es sozusagen gemeinsam mit Bonomo, die Frage nach dem Geld kommt immer wieder, woher kam all dieses Geld, mit dem Berlusconi seine steile Karriere begann, als er in der Peripherie Mailands Satellitenstädte mit dazugehörigem Kabelfernsehen, dem Grundstein seiner Medienunternehmen, errichtete.
Bonomo beschließt diesen Film zu machen, als ihm die Regisseurin Teresa auf dem Weg zur RAI klar macht, dass es ein Film über Berlusconi ist — Bonomo hatte das Script nur quergelesen —, baut er prompt einen Verkehrsunfall. Nie wollte er einen politischen Film machen.
Auch der erhoffte Hauptdarsteller, gespielt von Nanni Moretti, hat den Film nicht gelesen, als er die Hauptrolle ablehnt. Trotzdem weiß er, worum es geht, das Geld, das Facelifting, das schief ging, die Haartransplantation, die gelungen ist. Und es ist ohnehin alles zu spät — und das ist wohl die Kernaussage des Films —, denn spätestens seit dem Durchbruch des Privatfernsehens hat Berlusconi auf profunde und unumkehrbare Weise die Kultur- und Politiklandschaft Italiens verändert.
Im weiteren Film erleben wir, wie Silvio Orlando als Bruno Bonomo langsam aber sicher wieder Boden unter den Füßen erhält, beruflich und privat. Mehr sei hier auch nicht verraten, nur dass auch der real existierende Berlusconi zu sehen ist, in einigen seiner peinlichsten Auftritte vor dem europäischen Parlament.
Die Reaktionen in Italien waren mehrheitlich verhalten bis kritisch. Viele hatten sich einen viel vordergründiger kritischeren Film erhofft, der Film ist aber mehr: die persönliche Geschichte des Filmproduzenten Bruno Bonomo, durch Silvio Orlandos Schauspielkunst auch äußerst anrührend, eine Abrechnung mit der Art und Weise, in der in Italien bestimmte Spielfilme entstehen — meines Erachtens und eigener Erfahrung nach der am genauesten getroffene Aspekt des Films —, und eine subtile politisch-gesellschaftliche Abrechnung mit den italienischen Verhältnissen seit dem Aufstieg des Caimano.

Angela Huemer


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