SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2007, Seite 07

Selbstorganisation (Hg. Sergio Bologna u.a.),

Berlin: Die Buchmacherei, 2007, 213 Seiten, 12 Euro

Die Leser zum Selbstdenken zu ermutigen, soziale Fantasie und Lust auf gesellschaftliches Eingreifen zu wecken — das wünschen sich die Herausgeber der Reihe Buchmacherei mit ihrem Sammelband über "Selbstorganisation".
Im Nachgang zu den Kämpfen bei Siemens München oder in Frankreich berichten Inken Wanzek und Willi Hajek über Selbstorganisation heutiger gewerkschaftlicher Kämpfe, die im Gegensatz zu etablierten Gewerkschaften stehen. Ihnen gelingt eine anschauliche Darstellung von Erfahrungen, die sich von anderen Kämpfen unterscheiden, aber deutlich an bestimmte Traditionen der "Arbeiterbewegung" anknüpfen. Die Veränderungen in der Arbeitswelt beleuchtet Sergio Bologna am Beispiel der "neuen Selbstständigen" aus Italien und begründet, warum man für ihre soziale Absicherung und nicht für ihre Reintegration in die klassische Lohnarbeit sein muss.
Mehrere Aufsätze beschäftigen sich theoretisch mit den Prozessen der Organisierung von Widerstand unter den heutigen Bedingungen — sie werden meist als "posttayloristisch" bezeichnet, um den Unterschied zu den Erfahrungen in den Fabriken des letzten Jahrhunderts zu kennzeichnen.
Einen sehr wichtigen Aspekt in die Fragen nach fehlendem Widerstand unter den geänderten Bedingungen von Produktion und Reproduktion bringt Holger Heide, wenn er die Bedeutung von Angst als Bindungselement an das Kapital erläutert. Er scheint damit an wichtige sozialpsychologische Erweiterungen der marxistischen Weltsicht etwa von Erich Fromm anzuknüpfen.
Auch Martin Diekmanns Hinweise auf die neuen Produzenten als "Manager ihres verkehrten Selbst" sind des (mühsamen) Lesens wert — aber mir scheint, dass es mit dem "Lust wecken" in mehreren der Beiträge nicht weit her ist. Leider steht dem Verständnis der Leser der oft akademische Stil einiger Aufsätze entgegen. Es ist auch ein Problem, dass der Begriff "Selbstorganisation" nicht historisch und wissenschaftlich eingeordnet wird — immerhin gibt es den Begriff für viele Prozesse in Naturwissenschaft und Biologie, und seine Anwendung auf soziale Bewegungen ist alles andere als klar: Sind nicht auch die Anfänge der gewerkschaftlichen und parteilichen Formierungen im 19.Jahrhundert durchaus Prozesse der Selbstorganisation? Da wäre eine praktische Zuordnung (oder auch Abgrenzung) heutiger Bewegungen wünschenswert, vor allem um Hemmnisse aus dem inneren Selbstverständnis der Betroffenen kennenzulernen.
Unsere linken Sozialwissenschaftler sollten sich Gedanken machen sein, ob sie auch für andere schreiben wollen oder nur für den eigenen Diskurs.

Rolf Euler


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