SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2007, Seite 10

Wolfgang Pomrehn: Heiße Zeiten.

Wie der Klimawandel gestoppt werden kann, Köln: PapyRossa, 2007, 236 S., 16,90 Euro

"Der Zeitpunkt für eine grundlegende Kurskorrektur in der Energie- und Verkehrspolitik ist aus zwei Gründen sehr günstig", lautet die Kernaussage von Wolfgang Pomrehns Werk. Erstens zeichne sich langsam ganz real ab, was wir schon lange wissen: dass Rohstoffe und Energieträger endlich sind. Deutsche Energieexperten schätzen, dass die weltweite Kohleförderung im Jahr 2025 ihren Höhepunkt erreicht. Zweitens aber kommen "in vielen Industriestaaten die alten Kraftwerke in die Jahre" und müssen ersetzt werden: "Entweder durch neue Kraftwerke oder durch erneuerbare Energieträger. Investitionen in Höhe vieler Milliarden Euro stehen an, und nicht nur Deutschland ist mit einer Richtungsentscheidung für die nächsten Jahrzehnte konfrontiert."
Die Regierung Merkel schmückt sich mit dem Titel "Vorreiterin in Sachen Klimaschutz". Präsident Bush will sie auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm zur Überzeugung gebracht haben, dass die Industriestaaten etwas gegen den Klimawandel tun müssen. Hier werden "viele Nebelkerzen" geworfen: Pomrehn pflückt sie geduldig und mit viel Sachverstand eine nach der anderen auseinander. Übrig bleibt am Schluss eine "Neuauflage Kohl‘scher Ankündigungspolitik".
Tatsächlich vorangetrieben wird vor allem der Bau von Kohlekraftwerken, nach Zählung des BUND sind 26 in Planung, mit einer Gesamtleistung von 26000 MW. Darunter sind auch mehrere Braunkohlekraftwerke, die die Umwelt am stärksten belasten, selbst wenn sie nach neuestem technischen Stand gebaut werden.
Die Stromerzeugung ist in Deutschland heute für 36% der CO2-Emissionen verantwortlich. Heute schon leicht mögliche, umweltschonende und zugleich preisgünstige Alternativen wie kleinere Gaskraftwerke, am besten mit Kraft-Wärme- Kopplung zur Nutzung der Abwärme, werden nicht in Betracht gezogen. Technische Verfahren, die einige Energiekonzerne anbieten, wie die sog. "saubere Kohle" — wo die CO2-Abgase eingefangen und unterirdisch gelagert werden — sind frühestens 2020 serienreif und gelten wegen der Unsicherheit der Lagerung bestenfalls als Übergangstechnologie.
Zwei Tonnen CO2 pro Jahr kann jeder Erdenbürger umweltverträglich pro Jahr emittieren, wenn es auf der Welt gerecht zugehen und jeder Mensch das gleiche Rechte auf Verschmutzung haben soll, schreibt Pomrehn. Derzeit emittieren wir in Deutschland pro Jahr 12 Tonnen. Er schreibt aber auch gegen den Fatalismus an, es sei schon alles verloren. Seine Richtschnur ist eine Modellrechnung von Klimatologen der Nasa — danach haben wir 30—35 Jahre Zeit, um die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen.
Hier und jetzt machbare Alternative sieht er in Fülle, das Problem ist nicht technisch, sondern politisch: Man muss sich mit den großen Konzernen der Öl-, Energie-, und Autoindustrie anlegen. Dafür ist Frau Merkel aber nicht die Richtige. Dass auch sie eine Freundin der Bosse ist, hat sie zuletzt auf der IAA noch einmal unterstrichen. Ihr Einsatz für die deutsche Autoindustrie ist beispielhaft: Sie hat nicht nur dafür gesorgt, dass die EU Anfang dieses Jahres die Höchstgrenzen für den CO2-Ausstoß für Neuwagen nach oben korrigierte (auf 130 g CO2/km), sie hat auch zugesagt, diese Vorgabe bei der Umsetzung in nationales Recht als Mittelwert für alle Modelle, nicht als bindenden Wert für jedes neue Automobil zu interpretieren. Die Privatisierung der Bahn geht in dieselbe Richtung.
Und wo man den Konzernchef von Vattenfall, Lars-Göran Joseffson, zum Umweltberater hat, ist der beste Beitrag zum Klimaschutz der Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomenergie — das ist Angela Merkels tiefste Überzeugung, schon seit ihren Zeiten als Umweltministerin Kohls und den jüngsten Störunfällen in deutschen AKWs zum Trotz.
Pomrehn diskutiert die derzeitige Energiepolitik der Bundesregierung im Detail und kenntnisreich in jeder Beziehung: naturwissenschaftlich, ökonomisch wie politisch. Sein bisheriger Werdegang als studierter Meteorologe und Geophysiker, geschulter Marxist, erfahrener Journalist und Chinakenner verleihen ihm eine große Sicherheit in den verschiedenen Facetten der Materie, sodass die komplizierten Zusammenhänge für ein großes Publikum nachvollziehbar werden. Herausgekommen ist ein Buch, das Umweltaktivisten gut und gerne als Handbuch einsetzen können — mit neuestem Zahlenmaterial wird der letzte Stand der Technik dargelegt und die als umweltfreundlich gepriesenen Alternativen, wie etwa Agrosprit, diskutiert — auch in ihren internationalen Konsequenzen.
Das einzige Manko: der zweite Band fehlt. Der zweite Band müsste die technisch machbaren Alternativen präsentieren, ein Szenario entwickeln, wie man die Vorgabe von 2 Tonnen CO2 pro Jahr auch in Industriestaaten erreichen kann, und Wege aufzeigen, wie man den großen Konzernen das Handwerk legen kann. Das kann ja noch werden.

Angela Klein


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang