SoZ - Sozialistische Zeitung |
Mitte Juni fand in Brasília der 5.nationale Kongress der brasilianischen
Landlosenbewegung MST statt. Fast 18000 Teilnehmenden aus 24 Bundesstaaten, zahlreiche Gäste und
Delegierte von befreundeten Organisationen machten aus dem Kongress die größte Versammlung von
Landlosen, die jemals auf dem lateinamerikanischen Subkontinent stattgefunden hat.
Die Entwicklungen der letzten Jahre,
insbesondere die enttäuschende Bilanz der Regierung Lula und der zunehmende Einfluss eines
internationalen Agrobusiness, stellen die MST allerdings vor eine Reihe neuer und schwieriger Aufgaben. So
erklärte João Pedro Stédile, der nationale Koordinator der Bewegung, Anfang Juli in einem
Interview mit dem Magazin Época, das Modell der Agrarreform, für das die MST in den letzten zwanzig
Jahren gekämpft habe, sei "verbraucht".
Historisch, so Stédile, seien
"klassische" Agrarreformen in den meisten Ländern Europas, den USA und Japan seit dem
Zweiten Weltkrieg als Mittel zur industriellen Entwicklung und zur Schaffung eines inneren Marktes
durchgesetzt worden. In Brasilien seien aber alle Gelegenheiten hierzu verpasst worden: Ende des
19.Jahrhundert mit dem Ende der Sklavenwirtschaft, Anfang der 30er Jahre beim Beginn der Industrialisierung
des Landes, 1964 vor der Machtübernahme durch die Militärs und schließlich während der
Rückkehr zu einer zivilen Regierung Mitte der 80er Jahre, als es auch unter bürgerlichen
Politikern Sympathien für das Projekt einer nationalen Entwicklung zu geben schien. Seit den 90er
Jahren aber seien solche Ideen verschwunden und neoliberale Konzepte hätten sich durchgesetzt, die die
brasilianische Wirtschaft dem internationalen Finanzkapital unterordnen wollen.
Die MST steht in dieser Situation nicht
mehr nur einer Oligarchie von Großgrundbesitzern, sondern einer deutlich stärkeren Koalition von
Grundbesitzern, international operierender Agrarindustrie und Finanzkapital gegenüber. Die
Landlosenbewegung will und muss auf diese neue Entwicklung mit einer Ausweitung ihrer Aktivitäten
antworten: So soll künftig der Kampf für den Schutz der Umwelt eine noch größere Rolle
spielen als bisher. Außerdem will die MST noch stärker als bisher mit anderen sozialen Bewegungen
zusammenarbeiten. Dass die jetzige Regierung hierbei wohl kein Partner sein wird, ist spätestens im
März dieses Jahres deutlich geworden, als bei wechselseitigen Besuchen Lula und George W. Bush eine
Ausweitung der brasilianischen Produktion von Agrotreibstoff für den nordamerikanischen Markt
vereinbarten.
Die Abschlusserklärung des Kongresses enthält neben den bekannten Forderungen der MST
Enteignung der großen Ländereien und Demokratisierung des Landbesitzes, Orientierung der
landwirtschaftlichen Produktion auf den Binnenmarkt, Alphabetisierung und Bildung für die
Landarbeiter, Kampf gegen Sklavenarbeit und Gewaltausübung durch die Großgrundbesitzer
eine Reihe von Positionierungen gegen das Agrobusiness und für den Schutz der Umwelt.
So wendet sich die MST gegen die Rodung von
Wäldern zur Ausweitung des Großgrundbesitzes, den Gebrauch von Pestiziden, die Anlage von
Monokulturen zur Produktion von cash crops wie Soja, Zuckerrohr oder Eukalyptus und die Verwendung
genmanipulierten Saatguts. Transnationale Unternehmen wie Monsanto, Nestlé, BASF und Bayer sollen
bekämpft, einheimisches Saatgut und traditionelle Sorten vor dem Zugriff der Multis geschützt
werden. Die Produktion von Agrotreibstoffen soll schließlich in der Hand der Kleinbauern liegen, um so
die Eigenversorgung der Regionen mit Energie zu sichern.
Der sich herausbildenden Allianz von
Großgrundbesitz und internationalem Kapital kann die Landlosenbewegung nur wirksam entgegentreten,
wenn sie ihre Basis in der Gesellschaft verbreitert, breite Bündnisse eingeht und eine offensive
Öffentlichkeitsarbeit betreibt. "Die Herausforderung besteht darin, der Gesellschaft bewusst zu
machen, welche Rolle diese Unternehmen spielen. Und dies geht nicht nur mit Landbesetzungen. Andere
Methoden sind notwendig, um den Dialog und den Bewusstseinsprozess in der Gesellschaft
voranzutreiben", sagt Marino dos Santos, Mitglied der nationalen Leitung des MST in einem Interview
mit der Nachrichtenagentur Brasil de Fato.
Eine zentrale Aufgabe, so Dos Santos, sei
die verstärkte Einbeziehung von Jugendlichen und Frauen. Zum internationalen Frauentag am 8.März
hatte es in den letzten beiden Jahren bereits symbolische Aktionen gegeben, an denen unterschiedliche
soziale Bewegungen beteiligt waren. Und auch die Mobilisierungen gegen den Bush-Besuch wurde von einem
breiten Bündnis getragen. Die zunehmende Distanz der MST zur Lula-Regierung eröffnet der Bewegung
außerdem die Möglichkeit, stärker als bisher mit politischen Organisationen links von der
Arbeiterpartei (PT) und kritischen Gewerkschaftsorganisationen wie Intersindical und Conlutas
zusammenzuarbeiten.
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