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Für
Boliviens indigene Bevölkerungsmehrheit gibt es kein Zurück. Die Präsidentschaftswahl von
2005, bei der Evo Morales der erste indigene Präsident des Landes wurde, markierte einen Wendepunkt in
der Geschichte Boliviens nach mehr als 500 Jahren Kampf gegen Imperialismus und Kolonialismus. Sie war ein
bewusster Schritt nach vorne für Boliviens indigene Bevölkerungsmehrheit in ihrem Kampf für
Gerechtigkeit und Gleichheit.
Wie Morales in einem Interview mit der BBC
vom 22.August ausführte, sagte Boliviens Rechte von Anfang an: "Dieser kleine Indio wird
nur drei oder vier Monate Präsident bleiben. Die Zeit verging, und jetzt sagen sie, dieser
kleine Indio wird lange bleiben, wir müssen etwas tun. Und das heißt, Verwirrung oder
Destabilisierung fördern."
Deshalb ist die aufständische Rechte
entschlossen, das Land und die Regierung zu destabilisieren, "auch wenn das bedeutet, das Land in
einen Bürgerkrieg zu stürzen oder einen gewaltsamen militärischen Coup zu provozieren",
um Morales zu stürzen, und mit ihm die Hoffnungen und Träume von Millionen indigener und
nichtindigener Menschen, nicht nur in Bolivien, sondern auf der ganzen Welt zu zerstören.
Rassistische Propaganda soll die Menschen
anstacheln, "mit dieser Indioscheiße Schluss zu machen", gewaltsame Zusammenstöße
werde provoziert, faschistische Jugendgruppen bauen Straßensperren, Waffen werden ins Land
geschmuggelt all das sind Bestandteile einer Verschwörung, die das Ziel verfolgt, Morales zu
stürzen.
Die öffentlich bekannten Gesichter der
Rechten, die ihr Zentrum in den reichen Regionen des Ostens hat, sind die Gouverneure der Opposition und
die nicht gewählten, von der Wirtschaft kontrollierten Bürgerkomitees. Hinter ihnen stehen die
transnationalen Erdgasfirmen, das große Agrobusiness und die USA, die alle von der Ausplünderung
des enormem natürlichen Reichtums in Bolivien profitiert und dabei das Land zu einem der ärmsten
der Welt gemacht haben.
Aber ihre Aufgabe wird schwierig. Die Wahl
"dieses kleinen Indios" geschah auf einer Welle der sozialen Rebellion, angefeuert von einer
zunehmenden Ablehnung des Neoliberalismus und dem Aufkommen und Erstarken eines nationalen und indigenen
Stolzes. Sie war auch das Resultat einer vor mehr als zehn Jahren bewusst gefällten Entscheidung der
Indigenen, Campesinos und Kokabauern, sich ein eigenes politisches Instrument zu schaffen, die Bewegung
für den Sozialismus (MAS Movimiento al Socialismo).
Da sie die Unterstützung eines
bedeutenden Teils der Mittelschicht und der Intellektuellen für ihr Projekt gewinnen konnte, gelang es
der Partei, 2005 die Wahlen zu gewinnen und die traditionellen Politiker zu schlagen, deren
Unterwürfigkeit gegenüber den USA das Land beinahe erstickt hätte.
Heute haben jene Bolivianer, die zuvor
wegen ihrer Hautfarbe den Platz vor dem Präsidentenpalast nicht betreten durften und deshalb an
anderen Orten protestierten, um frühere Regierungen zu stürzen, Machtpositionen übernommen.
Dies war ein mächtiger Antrieb dafür, dass das Volk seine Selbstachtung zurückgewonnen hat
jetzt beruft es sich mit Stolz auf seine Wurzeln.
Die zentrale Aufgabe der MAS-Regierung war die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung zur
"Neugründung" Boliviens, um die Ungerechtigkeit zu beenden und die Rechte der zuvor
ausgeschlossenen indigenen Mehrheit anzuerkennen.
Trotzdem hat die Versammlung selbst ein
Jahr nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten noch keinen einzigen Artikel einer neuen
Verfassung verabschiedet. Die gleiche politische Minderheit, die den Niedergang des Landes verursacht hat,
ruft heute auf zur Verteidigung von "Demokratie" und "Autonomie" mit dem Ziel, ihre
politischen Enklaven und ihre politische Macht zu retten und Sektoren der weißen und
Mestizenmittelschicht im Osten wie im Westen gegen die Regierung zu mobilisieren.
Verschleppungstaktik und gewaltsame
Proteste, wie zuletzt in Sucre, bedrohen die Sicherheit dieser Versammlung und haben einige indigene
Delegierte gezwungen, sich vor rassistischen Angriffen zu verstecken. Am 7. September beschloss das
Direktorium der Versammlung, die Sitzungen für einen Monat auszusetzen, weil es nicht in der Lage sei,
Sicherheit zu garantieren.
Am 10.September marschierten mehr als 10000
Campesinos und Indigene in einer Machtdemonstration durch Sucre, um die Verfassunggebende Versammlung und
die nationale Einheit zu verteidigen. Später am gleichen Tag beschlossen die sozialen Organisationen
während eines von 10000 bis 15000 Menschen besuchten Sozialgipfels, "die Verfassunggebende
Versammlung und den Prozess der unwiderruflichen, umfassenden Veränderung zu verteidigen, der durch
die historischen Kräfte unserer Völker und die indigenen, alteingesessenen und Campesino-Nationen
vorangetrieben wird, zusammen mit den Volksorgansationen, auch mit unserem Leben".
Die sozialen Bewegungen erklärten, sie
seien in einer Situation des "Notstands". Sie verpflichteten sich, Komitees zur Verteidigung der
Verfassunggebenden Versammlung zu gründen, und fügten hinzu, sie würden, wenn nötig,
"weitere radikalere Maßnahmen" ergreifen.
In einer Erklärung des Gipfels wurden
18 strategische Punkte benannt, für die die Teilnehmer mobilisieren wollen, um sicherzustellen, dass
sie Eingang in die neue Verfassung finden. Dazu gehört die Schaffung eines einheitlichen, aus
verschiedenen Nationen bestehenden, gemeinschaftlichen und demokratischen Staats, die Verstaatlichung der
natürlichen Ressourcen, Steuern auf große Vermögen, die entschädigungslose Enteignung
des Großgrundbesitzes und die sofortige Verteilung des Landes. Außerdem soll es die
Möglichkeit zur Neu- und Abwahl aller gewählten Gremien und die Beschlagnahme aller aus
Korruption erworbenen Güter geben.
Im Augenblick hat sich die Situation in
Sucre beruhigt. Die von der Opposition angedrohten Aktionen für den 10.September wurden abgesagt. Eine
neue Runde des Dialogs wurde angekündigt, um zu prüfen ob es möglich ist. aus der Sackgasse
herauszukommen. Aber die Anspannung bleibt, und es kann nur spekuliert werden, wie lange die Ruhe andauern
wird.
Das Direktorium der Versammlung hat
angekündigt, es werde ein Gerichtsurteil zurückweisen, das einen Beschluss der Versammlung
für ungültig erklärt, mit dem die Hauptstadtfrage von der Tagesordnung genommen wurde. Der
von der Rechten angeheizte Konflikt über die Frage, ob dies La Paz, die jetzige politische Hauptstadt,
oder Sucre, die jetzige Verwaltungshauptstadt sein soll, hatten den jüngsten Konflikt mit
hervorgerufen. Die Zukunft der Verfassunggebenden Versammlung und die von Bolivien ist noch nicht
entschieden.
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