SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2007, Seite 24

Das Bethanien in Kreuzberg

Ort des Widerstands und das wahre soziale Zentrum

von Karin Baumert

Wer kennt es nicht, das Bethanien. Hier hat Rio Reiser gesungen "...das ist unser Haus". Rio Reiser wurde damals von jungen Leuten eingeladen, die nach seinem Konzert ein Haus besetzen wollten — so eine Art Dienstleistungssong für Besetzerwünsche. In einem alten Film über das Rauchhaus sieht man, wie auf einem Plenum die Schulschwänzerkids von den schon arbeitenden Erwachsenen in die Pflicht genommen werden. Sie sollten, wenn sie schon nichts machen, wenigstens etwas für diese Kommune tun, wie aufräumen, reparieren oder kochen. Mein Gott, was waren das für Zeiten...Vollbeschäftigung und Familienidylle selbst im Besetzermilieu.
Vor kurzem war das Bethanien, d.h. der Südflügel, in Christiania zu Besuch, die Mutter aller selbstverwalteten Projekte und emanzipatorischen Räume, das exterritoriale Gebiet in Kopenhagen. Dort titelten wir: "Bethanien meets Christiania" mit einer Ausstellung zum Thema "Desire and resist". Darin wurde die Geschichte Kreuzbergs, des alternativen Wohnprojekts York59 und des Bethaniens gezeigt. Viele Filme wurden gezeigt und es wurde diskutiert und natürlich gekifft und gelacht. Auch das Christiania steht vor der Situation, verhandeln zu müssen. Über ein Jahr wurde auf Christiania diskutiert, ob man überhaupt verhandeln will. In einem Plenumsmarathon entschied man sich dann dafür.
Genau vor diesem Problem steht auch das Bethanien: was ist verhandelbar und wo muss man Grenzen setzen, um nicht reingezogen zu werden in diesen neoliberalen "Moderationsklumbatsch", bei dem vor lauter Sachzwängen zum Schluss niemand mehr weiß, was hinten und vorn ist.

Die Geschichte des Bethanien

Aber vielleicht von Anfang an. Das Bethanien wurde als Krankenhaus erbaut und stand gerade mit seiner Parkanlage für einen reformorientierten Ansatz im Krankenhauswesen. Licht, Luft und Sonne und im spazieren gehen genesen — die Moderne warf ihre Schatten voraus.
Jahre später scheitert der erste Privatisierungsversuch. Die typisch explosive Mischung in Kreuzberg verhindert die Privatisierung. Das Rauchhaus entsteht und Kreuzberg wird zu dem Ort, an dem Sanierungspläne gestoppt werden, Kids nach Berlin kommen, um in kommuneartigen Strukturen, selbstverwaltet in leere Häuser zu ziehen und ihren Traum von Unabhängigkeit zu leben. Der Staat erkennt die Gefahr und ruft schnell die Internationale Bauausstellung und die behutsame Stadterneuerung ins Leben. Exterritorial war Kreuzberg schon im Rahmen von Westberlin, ringsherum nur Osten und kalter Krieg, gleich hinter dem Bethanien die Zonenmauer. Der soziale Wohnungsbau mit seinen Sonderkonditionen, die letztendlich immer den Eigentümern zugute kommen, war geboren.
Dann fiel doch die Mauer, der Sanierungsträger wanderte nach Ostberlin und gab den Steigbügel für die Gentrifizierung in Prenzlauer Berg. Immer noch das Rio- Reiser-Lied auf den Lippen, abends beim Wein. Aber am Tag war man erwachsen geworden und folgte den Sachzwängen einer postfordistischen Gesellschaft, die ein um das andere mal mehr uns allen vorgaukelt, wer arbeitslos ist — selber schuld. Und während Deutschland den Superstar sucht, organisiert das Bethanien den Rest. Und das kam so...
Als die Aufwertung der Innenstadt auch Kreuzberg erreichte und das alternative Wohnprojekt York59 wegen exorbitanter Mietforderungen nicht mehr zahlen konnte und darum von der Polizei geräumt wurde — wir erinnern uns —, fanden sie ein neues Domizil im gerade ausgeräumten Sozialamt des Bethaniens. Dieses war wegen Hartz IV und der Zusammenlegung von Sozialamt und Arbeitsamt überflüssig und obendrein sollte das Bethanien privatisiert werden, weil es für den Bezirk zu teuer war. Auf diesen Umstand kommen wir später noch einmal zurück.

Gegen die Privatisierung

Nun traf es sich, dass die Initiative Zukunft Bethanien, kurz IZB, bereits angefangen hatte, sich zu organisieren, um die Privatisierung zu verhindern. Mit gemeinsamer Kraft der New York, das neue York59-Projekt nun innerhalb Bethaniens und der IZB, machte man aus dem Südflügel kurzerhand einen Raum für emanzipatorische Kräfte und fing auch gleich mit einem Bürgerbegehren an, die Leute in der Umgebung nach ihrer Meinung zur Privatisierung zu fragen. Und siehe da, die Mehrheit war gegen die Privatisierung. Volkes Wille wurde zum Wunsch der BVV und so beschloss man einen Runden Tisch einzurichten, der vom grünen Bürgermeister moderiert wird und ein Konzept erarbeiten soll, um das Gebäude "kostenneutral" öffentlich weiter zu bewirtschaften.
Und spätestens hier fingen die Probleme an. Zunächst waren und sind im Bethanien die Künstler, die ganz heimlich mit der Privatisierung Träume verbunden haben, die nun scheinbar platzen. Sie ahnen natürlich nicht, dass durch das Bürgerbegehren ihnen Schlimmes erspart wurde, denn wie immer in Aufwertungsstrukturen, ist die Kunst nur das Branding (wie man heute in der Immobilienbranche sagt), der Aufreißer für potente Nutzer, der dann selbst geschluckt wird, durch Mietforderungen, die staatlich subventionierte Kunstprojekte nicht aufbringen. Und das ist auch gut so, denn das sind ja unser aller Steuergelder und über die wollen wir auch ein Wort mitreden.
Zunächst aber stellte sich der IZB die Frage, warum ist das fast vollständig vermietete Bethanien eigentlich unwirtschaftlich? Siehe da, erst aus der Perspektive selbsternannter Kommunevertreter kam die Wahrheit der kalkulatorischen Kosten heraus. Kurz, statt Marktwert wird Wiederbeschaffungswert angelegt und darauf Zinsen gebucht und da kommen schlappe 600000 Euro im Jahr auf den Bezirk zu, die so etwas wie einen selbstgemachten Privatisierungszwang bedeuten. Nicht nur, dass die IZB die Hausaufgaben der Kommune macht und die Bilanzen aus der Sicht des öffentlichen Eigentums recherchiert, inzwischen gibt es 40 Projekte im Südflügel, die alle auf ihre Art politische und soziale Arbeit leisten, für die der Staat keine Finanzierung mehr hat oder nie hatte. So arbeitet im Südflügel die ARI, die antirassistische Initiative oder die Kampagne gegen Zwangsumzüge, zeitweilig das G8-Büro. Hier gibt es die Möglichkeit zur Selbstorganisation oder einfach nur Information (monatlich gibt es ein Programm von Solipartys, Infoveranstaltungen, Filmabende u.v.m.) sowie Unterstützung in sozialen Problemlagen oder man nutzt die Volksküche und Freebox. Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht. Der Südflügel bietet alles, was heute der Vereinzelung entgegenwirkt und einer solidarischen Gesellschaft vorausgeht.
Wer sich dann noch über die Zukunft des Hauses informieren möchte, kann jeden Mittwoch ab 19 Uhr zum Plenum der IZB kommen, um sich über die laufenden Projekte zu informieren und was noch so los ist (viele aus der IZB sind auch in anderen sozialen und politischen Strukturen aktiv, wie in dem aktuellen Antiprivatisierungsbündnis, dass mit drei Volksbegehren gerade auf der Straße Unterschriften sammelt). Natürlich wird auch der Runde Tisch, der monatlich stattfindet, nach- und vorbereitet, in Arbeitsgruppen zerlegt und wieder zusammengesetzt. Jeder ist willkommen zu dem Plenum und kann auch dort sofort mitmachen und einsteigen.

Zukunftsaussichten

Dennoch bleibt die Zukunft des Bethaniens ungewiss und das lässt sich vielleicht am besten an der Geschichte des interkulturellen Anwohnerforums erzählen. Begleitend zum Bürgerbegehren organisierte die IZB zahlreiche öffentliche Veranstaltungen, wie das Kiezpalaver, Zukunftswerkstätten und Straßenstände. Dabei wurde immer wieder der Wunsch geäußert, kostenfrei Räume für die unterschiedlichsten Aktivitäten in der Nachbarschaft nutzen zu wollen. Dieser Wunsch wurde von der Bezirksverordnetenversammlung als einzelner Punkt in den Beschluss aufgenommen. Über alles sollte der Runde Tisch verhandeln, außer über das interkulturelle Anwohnerforum, das sollte sofort zu Verfügung gestellt werden. Obwohl es etwa 900 m2 leere Fläche im Bethanien gibt, dauerte es Monate, und nur durch das zähe Ringen der Anwohnergruppe konnte vor kurzem ein kleiner Raum, gleich links neben dem Eingang, als vorläufiges Anwohnerforum eröffnet werden.
Dieser Vorgang kann symbolisch bewertet werden. Erst verwaltet und bewirtschaftet die BVV öffentliches Eigentum nicht in voller Verantwortung, die einem per Vertretungsmacht durch die Anwohner gegeben wurde, lässt sich von einer Privatisierungslogik über den Tisch ziehen, die aber auch alles und jedes Bedürfnis in eine Ware verwandelt. Und alles, was ansonsten zwischen zwei Häuserblöcken passiert, ja wie soll man das ändern? Wir im Bethanien wissen es: sich aneignen, zur Not auch besetzen, informieren über die Zusammenhänge des Kapitals, sich organisieren und unterstützen, sich solidarisieren und erst dann an einen runden Tisch gehen, um zu verhandeln, mit dem Votum der Bewohner. Und erst deren Interessen durchgesetzt werden, bleiben wir am Tisch sitzen. Ansonsten ist die Straße unser Raum. Hier finden wir Unterstützung und uns gemeinsam zusammen. Man kann uns von bezahlter Arbeit ausschließen und als Verlierer abstempeln, aber niemand kann uns einreden, die Geschichte anderen als uns selbst zu überlassen. Wir sind das Risikokapital, mit dem zu rechnen ist.
Und so ist das Bethanien der Ort, von dem aus der Widerstand gegen eine neoliberale und aggressive Politik der Privatisierung ausgeht und für ein selbstverwaltetes offenes Zentrum gekämpft wird. Jetzt oder nie, wascht ihr nur eure Autos!


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