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Gewerkschaftstage laufen nach einem festen Drehbuch ab, nicht nur, weil Hunderte von
Anträgen diskutiert und beschieden werden müssen, sondern auch weil es für die Exekutive lästig ist, sich
mit Beschlüssen herumzuärgern, die man eigentlich nicht will. Dies gelingt in der Regel auch, und es ist schon ein
Ereignis, wenn Kolleginnen und Kollegen ohne Empfehlung des Vorstands kandidieren oder sogar gewählt werden.
Auf der Presseseite der IG Metall findet man keine
inhaltliche Vorschau über die Antragsschwerpunkte zum diesjährigen Gewerkschaftstag. Wichtiger ist, welche Personen
der IG-Metall-Vorstand zur Wahl vorschlägt. Das vorgesehene Führungsduo Huber/Wetzel verspricht Kontinuität in
der Politik des Co-Managements. Ein linkes Profil hat nur Hans-Jürgen Urban, der weiter für den Bereich
"Grundsatz- und Gesellschaftspolitik und strategische Planung" verantwortlich bleiben soll.
Dennoch lohnt das Studium der 538 Anträge und 7
Entschließungsvorschläge. Sie geben einen guten Einblick, was in den einzelnen Verwaltungsstellen diskutiert wird
und welche Themen dominieren, auch wenn die Möglichkeiten der linken Opposition, ihre Anliegen auf den örtlichen
Vertreterversammlungen durchzubringen, nach wie vor sehr unterschiedlich sind.
Vergleicht man das vorliegende Material mit den 2002/03 zur
Vorbereitung der "Zukunftsdebatte" erstellten Dokumenten fällt auf, dass die Realität des neoliberalen
Gesellschaftsumbaus heute stärker Ausdruck findet als vor vier Jahren.
Der damalige Vorsitzende Zwickel hatte auf dem letzten
Gewerkschaftstag das "Zukunftsmanifest" vorgestellt und erklärt, er möchte die IG Metall in die Mitte der
Gesellschaft rücken. Individuelle Verantwortung für Gemeinwesen und Sozialsysteme müssten verstärkt
werden. Die Verwandtschaft zur Philosophie der "Neuen Mitte" des Schröder-Blair-Papiers war nicht zu
übersehen.
Davon findet sich in den aktuellen Entschließungen 1
(Gesellschaftspolitik) und 4 (Sozialpolitik) wenig wieder. Noch stärker drücken viele Anträge den in der
Bevölkerung entwickelten Unmut über das Roll-back-Programm der Agenda 2010 aus. Die Privatisierung der
Sozialversicherungen steht in der Kritik, besonders die Rentenpolitik. Die Münteferingsche Rente mit 67 findet
nirgendwo offene Fürsprecher.
Die meisten Anträge fordern die Rücknahme des
verschobenen Rentenzugangsalters, oft verknüpft mit der Forderung nach vorzeitiger abschlagsfreier Verrentung nach 40
Versicherungsjahren. Auch der Rentenbezug mit 60 soll möglich sein. Doch die Forderung nach Rücknahme der Rente mit
67 findet sich weder im Entschließungsantrag 1 noch in 4 des Vorstands. Darauf sollten die Delegierten aber bestehen.
Erfreulich ist, dass mehrere Anträge die Militarisierung
der Außenpolitik und den Demokratieabbau im Inneren kritisieren. Gefordert wird das Ende der Kriegseinsätze der
Bundeswehr; auch ihr Einsatz im Inneren, mit dem, so die Offenbacher Verwaltungsstelle, Innenminister Schäuble "das
Kriegsvölkerrecht im Inneren erklären" könnte, wird abgelehnt. Mehr als zehn Anträge behandeln die
Aktivität neofaschistischer Kräfte. Viele davon befürworten das Verbot der NPD. Ein Antrag macht sich für
die Verstärkung der Bildungsarbeit gegen Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus stark. Opfer von Naziattacken sollen
besser geschützt und gestärkt werden.
Etwa ein Dutzend Anträge befassen sich mit dem
kastrierten Arbeitskampfrecht in Deutschland, dem deutsche Arbeitsgerichte zur Abwehr des Streiks der GDL gerade ein weiteres
absurdes Kapitel hinzugefügt haben. Die antragstellenden Kollegen vor Ort machen sich für die Ausweitung des
Streikrechts stark und wollen mehrheitlich auch das Recht auf politischen Streik.
Im Antragsteil über die Tarifpolitik spielt die
Bewertung des "Pforzheimer Abkommens" eine zentrale Rolle. In diesem Vertrag hatten sich IG Metall und Gesamtmetall
auf Öffnungsklauseln des Tarifvertrags für Betriebe in Notlagen geeinigt. Die Anträge zu diesem Thema sehen
mehrheitlich die Gefahr, dass der Flächentarifvertrag durch die gängige Praxis zu stark ausgehöhlt wird.
Gefordert werden eine restriktivere Handhabung oder eine Überprüfung des Abkommens und eine stärkere
Beteiligung der betroffenen Belegschaften bei der Aushandlung der Abweichungen.
Im Bereich "Bildung und Qualifizierung"
schließlich machen sich mehrere Verwaltungsstellen dafür stark, dass Seminare über gesellschaftspolitische
Fragen nicht auf dem Altar einer neuen Dienstleistungskultur der Betriebsräte geopfert werden.
Doch auch schöne Anträge und Entschließungen
sind keine Selbstläufer. Zumindest die Anträge, die nicht ins Konzept passen und die Praxis der dominanten Co-
Management-Strömung behindern könnten, werden nur dann mit Leben erfüllt, wenn es eine Basis gibt, die das
auch einfordert. Wie mühsam das ist, soll hier an Hand einiger Anträge vorgestellt werden, die auf dem
Gewerkschaftstag 2003 durchgebracht wurden: Antrag 1014: Verbot von Landminen, Antrag 1023: "Legalisierung von
Arbeitsmigranten", Antrag 1054: Internationale Solidarität.
Der Landminenantrag beauftragte den Vorstand, Kontakt zur
Kampagne gegen Landminen zwecks Kooperation aufzunehmen. In die Zusammenarbeit sollten vor allem Kolleginnen und Kollegen aus
den Betrieben einbezogen werden, in denen Landminen (verschiedener Typen) produziert werden. Angeregt wurde eine
innergewerkschaftliche Diskussion über Konversion und Substitution dieser besonders inhumanen Waffensysteme. Der
Vorstand sollte das Anliegen über den EMB und IMB vorantreiben.
Im Erledigungsvermerk des Vorstands war dann zu lesen:
"Abrüstung und Rüstungskontrolle sind für die IG Metall unverzichtbare Bestandteile einer globalen
Friedenspolitik. Daher hat die IG Metall in ihren betrieblichen und gewerkschaftlichen Arbeitszusammenhängen auf
nationaler, europäischer und internationaler Ebene mit Nachdruck die weltweite Ächtung und das Verbot von
Massenvernichtungswaffen von Landminen, der Streumunition bis zur Atomtechnik sowie die strikte Kontrolle des
internationalen Waffenhandels gefordert. Auch wenn in Deutschland keine Antipersonenminen mehr produziert werden, ist
hierzulande die Weiterentwicklung der Minentechnologie nicht gestoppt. So werden weiter Antifahrzeugminen produziert, die
aufgrund ihrer Zündertechnologie eigentlich als Antipersonenminen zu gelten hätten..."
Peinlich. Nichts, aber auch gar nichts, wurde unternommen, um
auch nur ansatzweise einen praktischen Beitrag für eine internationale Kampagne zum Produktionsstopp von Landminen
(verschiedenen Typs) zu leisten. Reicht es, nur Forderungen an andere zu stellen, ohne eigene Handlungsoptionen zu
entwickeln? Wann fangen wir an, über unsere eigene Verantwortung gerade in der Rüstungsproduktion zu reden und zu
einem Ausstieg daraus zu drängen?
Für die internationalistische Arbeit innerhalb der IGM
war der von den Wolfsburgern eingebrachte Antrag 1054 "Internationale Solidarität gegen neoliberale
Globalisierung" von großem Interesse. Entgegen der Empfehlung der Antragsberatungskommission wurde er nicht als
"Material an den Vorstand" entsorgt, sondern vom Gewerkschaftstag angenommen. Im Antrag wurde der Vorstand damit
beauftragt, u.a. folgende Maßnahmen einzuleiten:
"Die IG Metall wird auf allen Ebenen (von
Vertrauensleutekörpern bis zum Vorstand) ihre internationalen Aktivitäten verstärken. Alle Gliederungen der IG
Metall werden ermutigt und wenn nötig unterstützt, selbstständige internationale Projekte der Kooperation und
der Solidarität zu initiieren. Der Funktionsbereich Internationales/Europa beim Vorstand der IG Metall soll diese
Aktivitäten koordinieren und unterstützen. Dazu wird sie mit den erforderlichen materiellen und personellen
Ressourcen ausgestattet."
Gestützt auf diesen Beschluss beantragte der AK
Internationalismus der IG Metall Berlin im November 2005 die Bereitstellung von Tagungsräumen für eine geplante
Internationale Konferenz von DaimlerChrysler-Beschäftigten. Erst nach mehrmaligem Nachhaken erhielt der AK die Antwort,
der Vorstand unterstütze diese internationale Konferenz nicht, weil er sie als eine private Initiative von IG-Metall-
Mitgliedern betrachte. Die Konferenz musste dann vor allem mit Mitteln der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt
durchgeführt werden.
Um das Anliegen, einen Beschluss des Gewerkschaftstages mit
Leben zu füllen, ging es auch beim Antrag 1023 "Legalisierung von Menschen ohne Papiere in Deutschland und
Europa". Darin heißt es u.a.: "In ihren Wirkungsbereichen sind die Ortsausländerausschüsse
aufgefordert, sich um diese Menschen zu kümmern. Wichtig ist, sie über ihre Rechte zu informieren, zu
schützen, für die IG Metall als Mitglieder zu gewinnen und sie bei der Legalisierung zu begleiten."
Die Frauengruppe des AK Internationalismus wollte damit Ernst
machen. Organisiert wurde eine kleine selbstorganisierte Bildungsveranstaltung, Treffen mit Initiativen, die Menschen ohne
Papiere schon lange unterstützen, folgten. Auch wurde der Kontakt zum Migrationsauschuss in Berlin hergestellt.
Doch es ergaben sich mehr Fragen als Antworten: Wie suchen
wir Menschen ohne Papier auf und schaffen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit? Welches Beratungsangebot sollte von den
Gewerkschaften entwickelt werden, um Menschen ohne Papiere anzusprechen? Wer finanziert ein solches Beratungsangebot und eine
Öffentlichkeitskampagne innerhalb der IG Metall? In einem Flugblatt rief die Gruppe zu einer Spendensammlung für
eine Legalisierungsbegleiterin auf.
Die Resonanz am 1.Mai 2005 war gut. Doch es war klar: Wir
brauchen mehr Unterstützung, Vernetzung und Finanzierung innerhalb der IG Metall. Mit dem Migrationsausschuss entstand
ein Brief an den zuständigen Vorstandsbereich Ressort Migration. Doch die Antwort war enttäuschend. Die von uns
gewünschte Kontaktvermittlung zu Kollegen, die an der Umsetzung des Beschlussteils, "sich um die Menschen ohne
Papiere zu kümmern", arbeiten, wurde gar nicht beantwortet. Auch wurde keine finanzielle Unterstützung in
Aussicht gestellt.
Jetzt heißt es im Erledigungsvermerk des Vorstands:
"Innerhalb der IG Metall wurde das Thema auf allen Ebenen aufgegriffen. So sind Verwaltungsstellen damit befasst,
Beratungsstrukturen aufzubauen." Schade, dass wir davon nichts mitbekommen haben!
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