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Nach den großen Erfolgen beim Referendum gegen die EU-Verfassung und
den Protesten gegen den Erstanstellungsvertrag gibt es in Frankreich trotz des Wahlsiegs von Nicolas
Sarkozy ein breites Interesse an einer neuartigen antikapitalistischen Partei.
Harald Etzbach sprach mit Alain Baron,
Gründungsmitglied und lange Jahre Vorstandsmitglied der unabhängigen Gewerkschaft SUD-
PTT. Er ist außerdem Mitglied der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR).
Der neue französische Präsident Sarkozy ist fast ein halbes Jahr im Amt. Wie
lautet die Bilanz?
Sarkozy wurde auf der Grundlage eines Programms gewählt, das wesentlich in der
Fortführung und Verschärfung der bisherigen neoliberalen Politik besteht. Er hat das sehr
schnell in die Tat umgesetzt, z.B. mit Maßnahmen gegen die Migranten. Außerdem versucht
er im Augenblick die speziellen Renten- und Pensionsregeln für bestimmte Berufsgruppen wie
Eisenbahner oder Angestellte der Elektrizitätswerke außer Kraft zu setzen.
Dies hat natürlich zu Reaktionen
von Seiten der Arbeiterbewegung geführt, was jetzt bei den Streiks der französischen
Eisenbahner zu sehen ist. Allen ist klar: Wenn es der Regierung gelingen sollte, diese speziellen
Regelungen für bestimmte Berufsgruppen auszuhebeln, wird als nächstes ein Angriff auf die
Altersversorgung aller abhängig Beschäftigten folgen.
Auf der anderen Seite sind das
Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse und die Hoffnung, diese neoliberalen Maßnahmen verhindern zu
können, nicht allzu hoch. Das hat mehrere Gründe: Zunächst einmal hat es in den
letzten 25 Jahren eine Menge Rückschläge gegeben, was demoralisierend gewirkt hat. Zum
anderen ist neoliberale Politik in der Vergangenheit oftmals von Regierungen der Linken betrieben worden.
Das hat zu einer tiefgreifenden Krise bei vielen Gewerkschaftsaktivisten geführt, die in diesen
Regierungen eigentlich einen Bündnispartner gesehen hatten.
Welche Aufgaben stellen sich jetzt der Linken?
Man muss jetzt zwei Dinge tun: erstens ein möglichst breites Bündnis herstellen, um
die neoliberalen Pläne der Regierung zu verhindern, zweitens all diejenigen zusammenbringen, die
sich darüber hinaus von den Parteien der sozialliberalen Mehrheitslinken, die ja die Politik von
Sarkozy z.T. unterstützen, absetzen wollen. Wie sehr etwa die Sozialistische Partei auf
neoliberalem Kurs ist, zeigt sich daran, dass Dominique Strauss-Kahn, einer ihrer Führungsleute,
mittlerweile Präsident des IWF ist, also jener Organisation, die den Neoliberalismus auf
internationaler Ebene umsetzt.
Nach den Jahren der Niederlagen haben wir
in jüngster Zeit zwei große Siege errungen: Das "Nein" beim Referendum
über die europäische Verfassung 2005 und die großen Mobilisierungen der
Jugendlichen gegen den Erstanstellungsvertrag CPE, die auch von vielen anderen abhängig
Beschäftigten unterstützt wurden. Die Kampagne gegen die EU-Verfassung hat ganz
unterschiedliche Kräfte zusammengebracht: Einige linke Sozialisten, linke Grüne, die
Kommunistische Partei und die radikale Linke. Hieraus hätte sich die Möglichkeit einer
Umgruppierung ergeben können, bei der alle diejenigen, die gegen den Verfassungsentwurf
mobilisiert haben, sich zusammenschließen zu gemeinsamen Wahlplattformen oder sogar
durch die Gründung einer neuen Partei.
Dies ist aber nicht geschehen. Im Gegenteil, bei den Präsidentschaftswahlen gab es mehrere
linke Kandidaten, die sich gegenseitig Konkurrenz machten.
Das erste, was passierte, ist, dass die meisten oppositionellen Sozialisten sich sehr schnell wieder
der Linie der Parteiführung angeschlossen haben. Dann begann die Kommunistische Partei, die sich
klar für ein "Nein" zum Verfassungsentwurf ausgesprochen hatte, zunehmend
zwischen dieser oppositionellen Position und einer Wiederannäherung an die Sozialistische Partei
hin- und herzuschwanken. Bei dieser Wiederannäherung ging es vor allem um die Zusammenarbeit
beider Parteien auf der Wahlebene zur Sicherung der jeweiligen Mandate. So wird es bei den Kommunalwahlen
im nächsten Jahr gemeinsame Listen von SP und KP geben. Die Frage, ob man mit der SP
zusammenarbeiten könne, hat schließlich zu einer tiefen Spaltung bei denjenigen
geführt, die gegen den EU-Verfassungsentwurf mobilisiert haben. Was die
Präsidentschaftswahlen angeht, so hat die KP darauf bestanden, ihre Generalsekretärin
Marie-Georges Buffet als Präsidentschaftskandidatin aufzustellen und sogar versucht, sie den
Initiativen gegen den Neoliberalismus als gemeinsame Kandidatin aufzuzwingen. Dieser Versuch ist allerdings
gescheitert. Andere politische Strömungen wie die Grünen oder Minderheiten in der KP
haben sich an der Kampagne für José Bové beteiligt. Für die LCR hat
schließlich mit Olivier Besancenot angetreten, der mit über 4% das beste Ergebnis von
allen Kandidaten links der SP erzielt hat.
Welche Schlussfolgerungen zieht die Linken aus diesen Ergebnissen?
Die Debatte geht weiter. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die ganz klar eine Zusammenarbeit oder
Allianz mit der SP ablehnen. Das ist insbesondere die Position der LCR. Auf der anderen Seite gibt es
diejenigen, die glauben, man solle Wahlbündnisse mit den Sozialisten eingehen, um dann
später in Parlamenten und anderen Institutionen mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das ist im
Wesentlichen die Position der KP, der Grünen und anderer Strömungen, wie etwa derjenigen,
die sich um José Bové gruppiert
Es scheint derzeit in Frankreich einen Widerspruch zu geben zwischen der Radikalisierung der
sozialen Bewegungen und einer Verschiebung des politischen Spektrums nach rechts, was auch in der Wahl von
Sarkozy zum Ausdruck kommt. Wie erklärst du das?
Zunächst einmal ist die Wählerwanderung hin zu Sarkozy gar nicht so groß
gewesen. Es handelt sich um eine Größenordnung von 3% oder 4%. Offenbar hat sich ein Teil
der Wähler der offiziellen Linken einfach in diesen Parteien nicht mehr wiedererkannt und ist
nicht zur Wahl gegangen. Andere waren so enttäuscht, dass sie beschlossen haben, es einmal mit
Sarkozy zu versuchen. Hinzu kommt, dass ein Teil der früheren Nichtwähler für
Sarkozy gestimmt hat. Sarkozy hat ja auch eine ganze Reihe höchst widersprüchlicher
Versprechungen gemacht, um unterschiedliche Wählergruppen für sich zu gewinnen. Teils
erinnerten seine Aussagen an die Rhetorik der extremen Rechten, teils hat er versucht, die SP verbal links
zu überholen. Tatsache ist aber, dass viele, die aus einer gewissen Neugier heraus Sarkozy
gewählt haben, um zu sehen, was er machen wird, sich jetzt bewusst werden, dass diese Regierung
für die meisten Menschen eine Verschlechterung ihrer Situation bedeutet. Der Flirt eines Teils der
Bevölkerung mit Sarkozy ist definitiv beendet.
Wie schätzt du die Entwicklung der SP ein? Wird der neoliberale Kurs der Partei auf Dauer
zu Abspaltungen führen?
Die SP wird in Frankreich die gleiche Entwicklung nehmen wie die sozialdemokratischen Parteien
überall auf der Welt. Sie nähern sich immer schneller dem Modell der Demokratischen
Partei in den USA an. In Frankreich hat sich das bisher anders dargestellt, weil es eine Reihe von sozialen
Kämpfen gab und die Allianz mit der KP die Entwicklung der SP in Richtung Neoliberalismus gebremst
hat. Der Niedergang der KP wird aber dazu führen, dass die französische Sozialdemokratie
den gleichen Weg einschlagen wird wie ihre europäischen Schwesterparteien. Auch vom sog. linken
Flügel der Partei ist nicht viel zu erwarten. Das hat sich bei den Präsidentschaftswahlen
gezeigt, als auch die Parteilinke Ségolène Royal und ihr neoliberales Programm
unterstützt hat.
Die LCR hat die Gründung einer neuen antikapitalistischen Partei vorgeschlagen. Welche
Schritte in diese Richtung sind schon unternommen worden?
Zunächst denke ich, dass eine große Zahl von Aktiven, Jugendlichen und
abhängig Beschäftigten bereit ist, eine antikapitalistische Partei zu
unterstützen, die klare Positionen gegenüber den Unternehmern und der Regierung einnimmt,
die traditionelle Politik der Anpassung an den Neoliberalismus ablehnt und die für einen klaren
Bruch mit der SP steht. Das zeigen die eineinhalb Millionen Wählerstimmen für Olivier
Besancenot, der damit weit vor den anderen Kandidaten der Linken lag, die sich weigerten, sich von der SP
abzugrenzen.
Eine solche neue politische Kraft
könnte durch eine Übereinkunft bereits bestehender Organisationen entstehen. Das ist
über Jahre ohne Erfolg versucht worden. Eine andere Möglichkeit wäre,
Organisierte und Unorganisierte auf der Basis einiger grundlegender antikapitalistischer Forderungen zu
versammeln. Solche Forderungen werden nicht nur in der organisierten Linken, sondern auch in weiteren
Kreisen der Bevölkerung diskutiert. Die LCR wäre dann ein Bestandteil dieser Partei, der
sich auch andere Strömungen wie etwa Lutte Ouvrière (LO) oder Organisationen der
libertären Linken anschließen könnten. Das wäre keinesfalls nur eine
Umwandlung der LCR, sondern die Schaffung einer wirklich neuen Kraft. Der erste Test werden die
Kommunalwahlen im März sein. Hier wird sich zeigen, ob es gelingt, gemeinsame Listen aller
antikapitalistischen Kräfte aufzustellen.
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