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Und wieder wird über einen Absturz des Dollars spekuliert. Wiederholt ist seit den
70er Jahren die Führungsrolle von US-Währung und -Ökonomie in Frage gestellt worden eng gekoppelt an
den Verlauf von Dollarkurs und wirtschaftlicher Aktivität. Jede Abwertung, jeder Konjunktureinbruch wurde als Anfang vom
Ende der US-Hegemonie interpretiert. Allen Niedergangsprognosen zum Trotz haben sich die USA bislang jedoch als Nr.1 des
kapitalistischen Weltsystems behaupten können.
Stichwortgeber der aktuellen Debatte über die Zukunft von Dollar und US-Wirtschaft ist einmal mehr der
Starökonom und New-York-Times-Kolumnist Paul Krugman. In einem seiner letzten Beiträge verglich er den Dollar mit
Wile Coyote. Diese in den USA bekannte Comic-Figur rennt gern über Felskanten hinaus und steht noch eine Schrecksekunde
in der Luft, bevor die Schwerkraft sie in den Abgrund zieht. Die Immobilienkrise in diesem Sommer war, um im Bild zu bleiben,
der letzte Abgrund, über den "Dollar Coyote" hinausgelaufen ist. Mittlerweile hat die Schwerkraft der
defizitären Leistungsbilanz zu Kursrückgängen geführt, die aber schwerlich als Absturz zu bezeichnen
sind.
Ob sich Krugmans düstere Prognose eines Übergangs
des Dollars vom Sink- zum Sturzflug bewahrheiten wird, sei dahingestellt. Fest steht, dass sich der Dollar-Kurs bereits seit
dem Ende der New-Economy-Konjunktur 2001 in einer Abwärtsbewegung, insbesondere gegenüber dem Euro, befindet. Aller
Marktlogik zum Trotz, die aus der Abwertung der Währung eine Verringerung des Leistungsbilanzdefizits ableitet, ist das
außenwirtschaftliche Defizit der USA in der gleichen Zeit von einer Rekordmarke zur nächsten geklettert. Dies ist
neu. In der Vergangenheit gingen Abwertung und rückläufige Leistungsbilanzdefizite durchaus Hand in Hand. Was hat
die Entkopplung von Dollarkurs und Leistungsbilanzdefizit zu bedeuten?
Seit den 70er Jahren hat der US-Dollar zwei Aufwertungsphasen
durchlaufen, die ihren Höhepunkt in den Jahren 1985 bzw. 2001 hatten. Dollarkurs und Leistungsbilanzdefizit entwickelten
sich nur während der ersten dieser beiden Phasen gegenläufig; seit der Konjunkturkrise 1991 ist das Defizit der
Leistungsbilanz hingegen beständig und unabhängig von Dollarkurs und Konjunkturverlauf angewachsen. Wäre das
außenwirtschaftliche Defizit der USA von der Wechselkursentwicklung abhängig, hätte der seit 2001 fallende
Dollar Importe in die USA gegenüber der heimischen Produktion verteuern und daher zu sinkenden Einfuhren und
Leistungsbilanzdefiziten führen müssen. Dies ist nicht geschehen.
Keynesianische Ökonomen bestreiten den von der
Neoklassik behaupteten Zusammenhang zwischen Wechselkursen und Warenein- bzw.
-ausfuhr. Aus ihrer Sicht hat die nach der Rezession 2001
einsetzende Aufwärtsentwicklung der Konjunktur begleitet von massiver Kreditausweitung und erheblichen
Kapitalzuflüssen zusätzliche Kaufkraft in die USA gespült, die zur Finanzierung großzügiger
Einkaufstouren in anderen Ländern genutzt wurde unabhängig vom Dollarkurs, aber mit der Folge steigender
Leistungsbilanzdefizite. So plausibel diese Erklärung auch sein mag; restlos überzeugen kann sie nicht, weil der
Zustrom von Auslandskapital in die USA mit einer steigenden Dollarnachfrage verbunden ist und daher zumindest in der
Konsequenz zu Aufwertungen hätte führen müssen. Dazu ist es jedoch nicht gekommen.
Einige Ökonomen, besonders prominent unter ihnen der
Yale-Professor Robert Shiller, haben daraus den Schluss gezogen, irrationales Verhalten von wirtschaftlichen Akteuren sei
für "marktwidrige" Entwicklungen verantwortlich. In diese Richtung geht auch Krugmans Argumentation: Schlecht
informierte Anleger hätten den nominellen Dollarkurs allzu lange für bare Münze, d.h. angemessenen Ausdruck
der in den USA geschaffenen Werte, genommen, in naher Zukunft würden sie daher mit Kurseinbrüchen bestraft und
müssten sich von ihren Vermögensillusionen verabschieden.
Ökonomen wie Krugman und Shiller sehen in
übermäßiger Profitgier und Informationsmangel die Ursache von irrationalem Verhalten und hierdurch
verursachten Wirtschaftskrisen. Diese ließen sich vermeiden, wenn Investoren ihre Anlageentscheidungen sachlich, d.h.
auf Grundlage vollständiger Information und nicht von Triebverhalten, treffen würden. Diese Sichtweise blendet
allerdings aus, dass zum kapitalistischen Privateigentum auch das Recht gehört, Unternehmensinformationen
unvollständig oder in einer zum Wohlgefallen der Shareholder geschönten Version zu veröffentlichen.
Unberücksichtigt bleibt ebenso, dass die kapitalistische Konkurrenz triebhaftes Profitstreben und hieraus folgende
Überakkumulation zur Überlebensbedingung der einzelnen Kapitale macht. Mit Marx ließe sich von einem
irrationalen System sprechen, innerhalb dessen sich einzelne Kapitalisten mehr oder minder rational verhalten. Allerdings
führt deren gesellschaftlich nicht abgestimmtes Verhalten notwendig zu Krisen, die dem praktizierenden Kapitalisten wie
dem räsonierenden Ökonomen gleichermaßen als Folge individuellen Fehlverhaltens erscheinen. Die höchste
Form eines solchen Fehlverhaltens ist die politische, sprich der Marktlogik widersprechende Intervention. Werden
Akkumulationstrieb und politische Intervention als von kapitalistischen Apologeten ungeliebte, aus marxistischer Sicht aber
unhintergehbare Bestandteile der kapitalistischen Produktionsweise verstanden, lässt sich auch die hier zur Diskussion
stehende Entkopplung von Dollarkurs, Leistungsbilanzdefizit und Konjunkturentwicklung vernunftgeleitet aufklären.
In den 70er Jahren stellten der Zerfall des Systems fester
Wechselkurse, Wirtschaftskrisen sowie ein Aufschwung von antiimperialistischen und Arbeiterkämpfen die weitgehend von
den USA geprägte Nachkriegsordnung im kapitalistischen Teil der Welt in Frage. Nachdem sie sich vom Schreck der eigenen
Verwundbarkeit erholt hatte, reagierte die US-Bourgeoisie auf diese Herausforderung mit einer Kriegserklärung an die
Sowjetunion, an antiimperialistische Bewegungen und an die amerikanische Arbeiterklasse. Auf diese Weise sollte der Weltmarkt
ausgeweitet und die Einkommensverteilung innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft von Arbeits- zu Vermögenseinkommen
verschoben werden. Kapitaleigner aus allen kapitalistischen Ländern honorierten den strategischen Weitblick und Wagemut
dieses Programm zur Profitausweitung mit Investitionen in den USA. Steigende Dollarnotierungen waren die Folge sie
waren zugleich ein Gradmesser des Vertrauens der Kapitalisten aller Länder, die sich hinter die politische Führung
Amerikas scharten.
Mit jedem weiteren Anstieg des Dollars in den Jahren
19791985 wurde die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterklasse in den USA weiter zurückgedrängt. Importe,
die infolge des starken Dollars gegenüber US-Waren konkurrenzfähiger wurden, schränkten die
Absatzmöglichkeiten der heimischen Industrie ein und wurden zum willkommenen Anlass, Einkommen und Arbeitsbedingungen
von Arbeitern in den USA anzugreifen.
Das antisozialistische Rollback begann nach wenigen Jahren
Früchte zu tragen. Der sowjetische Interimsführer Andropow deutete bereits jene Konzessionsbereitschaft
gegenüber dem amerikanisch geführten Westen an, die unter Gorbatschow Realität werden sollte. Der AFL-CIO
unter Lane Kirkland hatte der Kapitaloffensive von Beginn an hilflos gegenüber gestanden. Unter diesen Bedingungen
konnten die Dollar-Zügel gelockert werden. Auf Drängen der US-Regierung kam es 1985 zu einer abgestimmten
Intervention der amerikanischen, deutschen und japanischen Zentralbanken, in deren Folge die Entwicklungsrichtung des Dollar
umgekehrt wurde. Dadurch konnte die US-Industrie ihren Absatz im In- und Ausland ausweiten.
Der Kursverfall des Dollars wurde ebenso beendet, wie er
eingeleitet worden war durch eine abgestimmte Intervention der Zentralbanken Amerikas, Deutschlands und Japans. Denn
so sehr sich das amerikanische Industriekapital über steigenden Absatz und Profit im Windschatten sinkender
Dollarnotierungen freute, so sehr sorgte sich Wall Street um den Finanzplatz Amerika.
In den frühen 90er Jahren die USA hatten gerade
eine Rezession überstanden und sich nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums an den Aufbau einer neuen Weltordnung
gemacht konnte die Finanzwelt die Regierung davon überzeugen, dass negative Dollarrekorde mit dem Ansehen der
verbleibenden Supermacht unvereinbar waren. Es bildete sich der "Wall-Street-Treasury-Komplex", der unter Clinton
zur treibenden Kraft multilateral ausgehandelter Marktöffnung und einer computergestützten Neuorganisation
weltweiter Wertschöpfungsketten werden sollte.
Wieder winkten Profite und wieder stieg der Dollar, bis die
New-Economy-Blase 2001 platzte. Danach trat immer mehr der militärisch-industrielle Komplex an die Stelle des
fadenscheinig gewordenen Kapitalfetischs. Nicht mehr die unsichtbare Hand des Marktes, sondern die eiserne Faust der US Army
wurden zu Garanten der Profitmacherei erklärt. Mit deren Unfähigkeit, militärisch armselige Aufstände in
Irak und Afghanistan zu beenden, schließt sich allerdings der Kreis zu den 70er Jahren. Damals war der American Way of
Life an seine Produktivitäts-, Profit- und Attraktivitätsgrenzen gestoßen. Seither konnte der Schein von US-
und Dollar-Hegemonie im Namen eines zweiten Kalten Krieges, einer Neuen Weltordnung und New Economy zweimal restauriert
werden. Ihr Fortbestand hängt gegenwärtig von der Abwesenheit ernsthafter Herausforderer ab sei es in Form
imperialistischer Konkurrenten oder antikapitalistischer Bewegungen. Solange sich diese nicht einstellen, wird die
Führungsrolle der USA, und mit ihr der Dollar, in der Schwebe bleiben.
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