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Vom Lokführerstreik von so vielen als schnöde
"Durchsetzung von Einzelinteressen" gescholten geht jetzt schon ein positiver Druck aus.
Aller Verteufelung der
"ständischen Eisenbahner" zum Trotz findet ihr Streik weiterhin die Unterstützung der
Mehrheit der Bevölkerung. Diese Mehrheit hält sich nicht an den Feinheiten einzelner Forderungen
auf. Ihr geht es darum: Endlich macht jemand ernst und lässt sich die Lohndrückerei nicht
länger gefallen. Endlich zeigt mal jemand, dass man sich auch wehren kann. Dafür gebührt den
Lokführern Dank.
Es war richtig befreiend, als Manfred
Schell in der Tagesschau ankündigte: Wir werfen die Brocken jetzt mal 62 Stunden hin. Das hat die
Stimmung im Land verändert. Auf einmal windet sich der Parteivorstand Die Linke aus seinen Zweifeln
und erklärt seine Solidarität mit den Lokführern, ergänzt um die Forderung nach
Ablehnung der Bahnprivatisierung und jeglicher Einschränkung des Streikrechts. Auf einmal reagiert
Ver.di-Chef Bsirske auf die Abwanderung seiner Mitglieder bei einigen Nahverkehrsbetrieben zur GDL
(Hunderte sollen es in München gewesen sein) und kreuzt unvermittelt bei den Beschäftigten der
Berlin Transport GmbH auf: Die Gehaltsabsenkung um 30% für die Beschäftigten im Nahverkehr, die
er selber im TvöD mit ausgehandelt hat, findet er auf einmal "unerträglich" und fordert
für diesen Bereich "12% mehr Lohn, mindestens aber 250 Euro". In der bevorstehenden
Tarifrunde für den Öffentlichen Dienst hat der Ver.di-Landesbezirk Baden-Württemberg eine
Forderung über 9,5% aufgestellt, der Landesbezirk Hessen fordert 10%. Könnte es sein, dass da ein
Funke überspringt und das Ende der Bescheidenheit doch noch kommt?
Seit zwei Jahren brummt die Wirtschaft, die
Konzerne fahren Traumgewinne ein, Aktionäre genehmigen sich fette Dividenden, Vorständler noch
sattere Gehaltserhöhungen, den Abgeordneten werden die Diäten angehoben und Frau Merkel sieht
Nachschlagbedarf bei den Beamten nur die abhängig Beschäftigten sollen sich mit
Abschlüssen knapp oberhalb der Inflationsrate begnügen? Und die Regierung kann es sich immer noch
leisten, die Allgemeinverbindlichkeit für den Mindestlohn bei der Post auf den Sanktnimmerleinstag zu
verschieben? Und sagt immer noch Njet zum gesetzlichen Mindestlohn? Früher haben Gewerkschaften in
solchen Situationen Nachschlagrunden eingeläutet. Heute ist ihnen längst das Herz in die Hose
gefallen und sie trauen sich gar nicht mehr, die Brocken hinzuwerfen, wenn die Arbeitgeber bei ihrem Nein
bleiben. Sie müssen zum Jagen getragen werden.
Wenn der Streik der Lokführer nur den
Effekt hat, dass hier ein Felsbrocken weggesprengt und der Weg zu neuer Zuversicht freigelegt wurde, dann
ist er die längste Zeit ein "Kampf für Einzelinteressen" gewesen. Dann kann er zum
Signal für eine lohnpolitische Wende werden.
Davon würde sogar Transnet
profitieren. Es ist doch lächerlich, wenn deren Chef Norbert Hansen sich hinstellt und es
"problematisch" findet, "der GDL ein zweistelliges Angebot zu machen", wo er, Hansen,
nur einen Abschluss über 4,% hingekriegt hat. Gleichzeitig kommt er bei Anne Will nicht umhin, eine
"deutlich zweistellige Lohnerhöhung" für gerechtfertigt zu halten. Was denn nun? Man
mag es ihm ja nicht verdenken, dass er Mehdorn damit droht: Wenn die Lokführer 15% plus x kriegen,
dann wollen wir anderen auch mehr. Aber statt dass er sich selbstbewusst neben die Lokführer stellt
und sagt: Jawohl, wir unterstützen euch, mehr noch, wir wollen von eurem Kampf profitieren und
kündigen an, dass wir uns einen Nachschlag holen werden, spritzt er Gift und Galle gegen die
Lokführer.
Das verstehe wer will? Nicht doch.
Eigentlich ist es ganz einfach. Um die Forderungen der Lokführer geht es im innergewerkschaftlichen
Streit nämlich gar nicht. Bei Lichte betrachtet geht es auch nicht so sehr um die Tarifeinheit bei der
Bahn, die es längst nicht mehr gibt. Es geht darum, wer das Verhandlungsmonopol im Tarifkampf hat.
Hansen will es um jeden Preis behalten, die GDL will es brechen. Mehdorn will, dass es bei Hansen bleibt,
denn der frisst ihm aus der Hand. Es ist offenkundig, dass dieser Streit, diese Rivalität zwischen den
Gewerkschaften der Sache der Beschäftigten schadet, denn dabei ist in der Regel der Arbeitgeber der
lachende Dritte. Trotzdem wird man den Streit nicht einfach in die Richtung auflösen können, dass
"die große Gewerkschaft" Recht hat und die kleine nur "Splittergruppe" ist. Hansen
würde das Verhandlungsmonopol nicht streitig gemacht, wenn er den Mumm bewiesen hätte, den die
Lokführer jetzt beweisen. Und die GDL bettet sich nicht auf Rosen, wenn sie sich jetzt dafür
entscheidet, dass sie weiter kommt, wenn sie sich alleine schlägt. Borniertheiten gibt es auf beiden
Seiten.
Im wirklichen Leben kann man die Frage aber
nicht "grundsätzlich" lösen, nur praktisch. Die praktische Erfahrung der Geschichte der
Arbeiterbewegung lehrt, dass eine Gewerkschaftsbewegung, die zu lange zu viel Verständnis für die
Arbeitgeberseite aufgebracht hat, daran zerbricht, wenn ein zu großer Teil ihrer Mitglieder dabei
gnadenlos den Kürzeren zieht. Die Geschichte der US-amerikanischen Gewerkschaften ist nur ein Beispiel
dafür. Das kann man gut finden oder auch nicht, aber eine Einheit, die nicht den Schwächeren und
Schwächsten zugute kommt, ist keine Einheit, sondern ein Diktat.
Wir sollten von den Schuldzuweisungen
wegkommen und einfach alle Kolleginnen und Kollegen, die in den nächsten Wochen und Monaten irgendwie
die Gelegenheit dazu haben, ermuntern, es den GDL-Kollegen gleichzutun: Wir brauchen alle einen Nachschlag!
Einen kräftigen Griff in die Lohntüte! 2008 sollte ähnlich wie die Jahre 1973/74
in den Kalender als das Jahr eingehen, in dem die Löhne einen großen Sprung nach vorn
gemacht haben. Die Kollegen von Transnet sollten ihren Chef bedrängen, dass er seine Drohungen an
Mehdorn wahr macht; die von Ver.di sollten es ablehnen, sich mit dem Beamtenbund auf eine mittlere
einstellige Forderung einigen zu müssen und statt dessen den Schwung nutzen, der durch die jetzige
Debatte über die Eisenbahner entstanden ist. Der DGB sollte die Einzelgewerkschaften darin
unterstützen, dass sie eine gemeinsame Kampagne für einen begleitenden gesetzlichen Mindestlohn
führen nicht nur mit Appellen und Resolutionen, sondern auch mit betrieblichen und
Straßenaktionen.
Die Stimmung dafür ist da. Die
Gewerkschaften könnten viel Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Und das gesellschaftliche Klima
im Land würde sich schlagartig ändern.
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