SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 02

Alle gemeinsam für mehr Lohn

von Angela Klein

Vom Lokführerstreik — von so vielen als schnöde "Durchsetzung von Einzelinteressen" gescholten — geht jetzt schon ein positiver Druck aus.
Aller Verteufelung der "ständischen Eisenbahner" zum Trotz findet ihr Streik weiterhin die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung. Diese Mehrheit hält sich nicht an den Feinheiten einzelner Forderungen auf. Ihr geht es darum: Endlich macht jemand ernst und lässt sich die Lohndrückerei nicht länger gefallen. Endlich zeigt mal jemand, dass man sich auch wehren kann. Dafür gebührt den Lokführern Dank.
Es war richtig befreiend, als Manfred Schell in der Tagesschau ankündigte: Wir werfen die Brocken jetzt mal 62 Stunden hin. Das hat die Stimmung im Land verändert. Auf einmal windet sich der Parteivorstand Die Linke aus seinen Zweifeln und erklärt seine Solidarität mit den Lokführern, ergänzt um die Forderung nach Ablehnung der Bahnprivatisierung und jeglicher Einschränkung des Streikrechts. Auf einmal reagiert Ver.di-Chef Bsirske auf die Abwanderung seiner Mitglieder bei einigen Nahverkehrsbetrieben zur GDL (Hunderte sollen es in München gewesen sein) und kreuzt unvermittelt bei den Beschäftigten der Berlin Transport GmbH auf: Die Gehaltsabsenkung um 30% für die Beschäftigten im Nahverkehr, die er selber im TvöD mit ausgehandelt hat, findet er auf einmal "unerträglich" und fordert für diesen Bereich "12% mehr Lohn, mindestens aber 250 Euro". In der bevorstehenden Tarifrunde für den Öffentlichen Dienst hat der Ver.di-Landesbezirk Baden-Württemberg eine Forderung über 9,5% aufgestellt, der Landesbezirk Hessen fordert 10%. Könnte es sein, dass da ein Funke überspringt und das Ende der Bescheidenheit doch noch kommt?
Seit zwei Jahren brummt die Wirtschaft, die Konzerne fahren Traumgewinne ein, Aktionäre genehmigen sich fette Dividenden, Vorständler noch sattere Gehaltserhöhungen, den Abgeordneten werden die Diäten angehoben und Frau Merkel sieht Nachschlagbedarf bei den Beamten — nur die abhängig Beschäftigten sollen sich mit Abschlüssen knapp oberhalb der Inflationsrate begnügen? Und die Regierung kann es sich immer noch leisten, die Allgemeinverbindlichkeit für den Mindestlohn bei der Post auf den Sanktnimmerleinstag zu verschieben? Und sagt immer noch Njet zum gesetzlichen Mindestlohn? Früher haben Gewerkschaften in solchen Situationen Nachschlagrunden eingeläutet. Heute ist ihnen längst das Herz in die Hose gefallen und sie trauen sich gar nicht mehr, die Brocken hinzuwerfen, wenn die Arbeitgeber bei ihrem Nein bleiben. Sie müssen zum Jagen getragen werden.
Wenn der Streik der Lokführer nur den Effekt hat, dass hier ein Felsbrocken weggesprengt und der Weg zu neuer Zuversicht freigelegt wurde, dann ist er die längste Zeit ein "Kampf für Einzelinteressen" gewesen. Dann kann er zum Signal für eine lohnpolitische Wende werden.
Davon würde sogar Transnet profitieren. Es ist doch lächerlich, wenn deren Chef Norbert Hansen sich hinstellt und es "problematisch" findet, "der GDL ein zweistelliges Angebot zu machen", wo er, Hansen, nur einen Abschluss über 4,% hingekriegt hat. Gleichzeitig kommt er bei Anne Will nicht umhin, eine "deutlich zweistellige Lohnerhöhung" für gerechtfertigt zu halten. Was denn nun? Man mag es ihm ja nicht verdenken, dass er Mehdorn damit droht: Wenn die Lokführer 15% plus x kriegen, dann wollen wir anderen auch mehr. Aber statt dass er sich selbstbewusst neben die Lokführer stellt und sagt: Jawohl, wir unterstützen euch, mehr noch, wir wollen von eurem Kampf profitieren und kündigen an, dass wir uns einen Nachschlag holen werden, spritzt er Gift und Galle gegen die Lokführer.
Das verstehe wer will? Nicht doch. Eigentlich ist es ganz einfach. Um die Forderungen der Lokführer geht es im innergewerkschaftlichen Streit nämlich gar nicht. Bei Lichte betrachtet geht es auch nicht so sehr um die Tarifeinheit bei der Bahn, die es längst nicht mehr gibt. Es geht darum, wer das Verhandlungsmonopol im Tarifkampf hat. Hansen will es um jeden Preis behalten, die GDL will es brechen. Mehdorn will, dass es bei Hansen bleibt, denn der frisst ihm aus der Hand. Es ist offenkundig, dass dieser Streit, diese Rivalität zwischen den Gewerkschaften der Sache der Beschäftigten schadet, denn dabei ist in der Regel der Arbeitgeber der lachende Dritte. Trotzdem wird man den Streit nicht einfach in die Richtung auflösen können, dass "die große Gewerkschaft" Recht hat und die kleine nur "Splittergruppe" ist. Hansen würde das Verhandlungsmonopol nicht streitig gemacht, wenn er den Mumm bewiesen hätte, den die Lokführer jetzt beweisen. Und die GDL bettet sich nicht auf Rosen, wenn sie sich jetzt dafür entscheidet, dass sie weiter kommt, wenn sie sich alleine schlägt. Borniertheiten gibt es auf beiden Seiten.
Im wirklichen Leben kann man die Frage aber nicht "grundsätzlich" lösen, nur praktisch. Die praktische Erfahrung der Geschichte der Arbeiterbewegung lehrt, dass eine Gewerkschaftsbewegung, die zu lange zu viel Verständnis für die Arbeitgeberseite aufgebracht hat, daran zerbricht, wenn ein zu großer Teil ihrer Mitglieder dabei gnadenlos den Kürzeren zieht. Die Geschichte der US-amerikanischen Gewerkschaften ist nur ein Beispiel dafür. Das kann man gut finden oder auch nicht, aber eine Einheit, die nicht den Schwächeren und Schwächsten zugute kommt, ist keine Einheit, sondern ein Diktat.
Wir sollten von den Schuldzuweisungen wegkommen und einfach alle Kolleginnen und Kollegen, die in den nächsten Wochen und Monaten irgendwie die Gelegenheit dazu haben, ermuntern, es den GDL-Kollegen gleichzutun: Wir brauchen alle einen Nachschlag! Einen kräftigen Griff in die Lohntüte! 2008 sollte — ähnlich wie die Jahre 1973/74 — in den Kalender als das Jahr eingehen, in dem die Löhne einen großen Sprung nach vorn gemacht haben. Die Kollegen von Transnet sollten ihren Chef bedrängen, dass er seine Drohungen an Mehdorn wahr macht; die von Ver.di sollten es ablehnen, sich mit dem Beamtenbund auf eine mittlere einstellige Forderung einigen zu müssen und statt dessen den Schwung nutzen, der durch die jetzige Debatte über die Eisenbahner entstanden ist. Der DGB sollte die Einzelgewerkschaften darin unterstützen, dass sie eine gemeinsame Kampagne für einen begleitenden gesetzlichen Mindestlohn führen — nicht nur mit Appellen und Resolutionen, sondern auch mit betrieblichen und Straßenaktionen.
Die Stimmung dafür ist da. Die Gewerkschaften könnten viel Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Und das gesellschaftliche Klima im Land würde sich schlagartig ändern.


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