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Der Streik der Lokomotivführergewerkschaft GDL stellt Gewohntes
scheinbar auf den Kopf und Personen ins öffentliche Rampenlicht, die damit offenbar nicht gerechnet
haben. Die Summe daraus könnte auch gut als Realsatire durchgehen. Die groß angekündigte und
von fast 5 Millionen Menschen konsumierte Fernsehtalkshow "Anne Will" vom 18.November war in
dieser Hinsicht ein Höhepunkt.
"Tarifverhandlung im Fernsehen"
wurde versprochen und die Moderatorin versuchte gleich zu Beginn, die Distanz einer Unterhaltungssendung
zur Wirklichkeit mit einem Vorschlag zu überbrücken, der alle Klischees, die über
Tarifverhandlungen in der Öffentlichkeit kursieren, auf einmal abdeckte: Sie fordern 31% mehr Lohn,
ging sie den GDL-Vorsitzenden Schell forsch an, wie wäre es denn mit 15%? Und dann schauten sie sich
alle an, die Bahnvorstandsfrau Suckale, der Transnet-Chef Hansen, dem etwas die Gesichtszüge
entgleisten, der Arbeitgeberboss Kannegießer, der Schlichter Biedenkopf und der Polizei-Experte
für Geiselnahmen Schranner. Die von einem permanenten Plastiklächeln geplagte Moderatorin
hätte wohl schon da alle zum Händchenhalten aufgerufen, doch die knurrige Antwort Schells, dass
darüber gerne geredet werden könne, erschreckte alle ob der Nähe zur Realität und
schnell ging es zurück zur mehr schlecht als recht vorab eingeübten Show. Die Vorstandsfrau
Suckale spielte die gütige Patronin, die unermüdlich darum bettelte, dass die bösen
Streikenden doch wieder zum Verhandlungstisch kommen sollten. Über alles ließe sich doch reden
und natürlich müssten die Lokführer mehr Geld haben. Und selbst den dezenten Hinweis, dass
sie 140000 Euro pro Monat kassiere, schluckte sie mit "viel Verständnis für die Wut der
Lokomotivführer": "Die Diskussion darüber muss geführt werden, ganz klar",
aber 75% ihres Gehaltes wären variabel und aufgrund des Streiks werden es 2008 wohl weniger.
Arbeitgeberboss Kannegießer
geißelte den Streik blutrünstig als Anschlag auf die Hauptschlagader der deutschen Wirtschaft, um
dann kübelweise Krokodilstränen über den Verlust der Tarifeinheit zu vergießen
wo er doch sonst kein Wochenende auslässt, um neue Öffnungen und Flexibilisierung der
Flächentarifverträge zu fordern. Der für diesen Abend aus dem Enddarm der Bahnbosse
freigelassene Hansen, hätte sich am liebsten auf den Schoß von Frau Suckale gerollt, um von dort
zu verkünden, dass Transnet natürlich auch streiken könne. Schließlich zog der
Polizeiexperte die Register, die der Öffentlichkeit charmant und wortreich als Fazit des gesamten
Abends präsentiert werden sollten: die Lokführer wären Geiselnehmer und der Bahnvorstand
eine überforderte Polizeieinheit, die unnötig provozieren und anheizen würde. Jetzt
müssten die Kampfeinheiten zurückgezogen und das Gespräch mit den übernächtigten
und gereizten Geiselnehmern gesucht werden.
Allein dem GDL-Chef Schell missglückte
ein Rollenversuch nach dem anderen, was ihn an diesem Abend einzig sympathisch machte. Als Frau Suckale dem
Vorschlag des Polizeiexperten Schranner zustimmte, dass jetzt alle Vorstandsmitglieder die Montagstermine
streichen und das Gespräch mit den Lokführern vor Ort suchen würden
unglücklicherweise verplapperte sie sich und enthüllte die vorab gefasste Regieanweisung mit dem
Hinweis, "da brauche sie überhaupt nicht mehr zu telefonieren" stöhnte der
Oberlokführer nur noch: "Ihre öffentliche Spontaneität verwirrt mich". So ist es
letztlich mit der geplanten Inszenierung einer "Verzeih mir, ich habe gestreikt"-Show nichts
geworden. Doch zur Kannegießer-Mahnung "Tarifverhandlungen über das Fernsehen zu führen
das geht nicht" hätten wir schon Einwände. Als im August 1980 die Arbeiterinnen und
Arbeiter der Lenin-Werft in Danzig streikten und damit die kämpferische und authentisch
gewerkschaftliche Frühphase der "Solidarnosc" einleiteten, wurden die Verhandlungen per
Lautsprecher direkt an die Streikenden übertragen. So wie das damals mitentscheidend für den
erfolgreichen Ausgang des Streiks war, so würde auch heute so manche Tarifverhandlung anders ausgehen,
wenn sie direkt in die Betriebsversammlungen gesendet würde.
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