SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 04

Den streikenden Lokführern gehört meine uneingeschränkte Solidarität —

der GdL-Führung eher nicht

von Manfred Dietenberger

Der bewundernswerte, seit Wochen andauernde Kampf der Lokführer zeigt, dass der Zug für konsequente Interessensvertretung längst noch nicht auf dem Abstellgleis steht, sondern im Gegenteil Fahrt aufnimmt. Jedem, dem das Herz links schlägt, tut dies gut. Aber während selbst die FDP ihr Herz für Arbeiterforderungen zu entdecken scheint und der ganz und gar nicht Christliche Gewerkschaftsbund "in voller Solidarität die GDL bei ihrem schweren Arbeitskampf" unterstützt, distanziert sich der DGB-Vorsitzende Sommer von deren Kampf und tun sich vor allem linke Aktivisten in DGB-Gewerkschaften recht schwer damit.
Dafür gibt es natürlich Gründe. Die GDL plustert sich zwar gerne selbst als die älteste Gewerkschaft Deutschlands auf, ist es aber nicht. Das Erstlingsrecht gebührt in Deutschland eindeutig den Zigarrenarbeitern und den Druckern, weil sie als erste für eine ganze Sparte bindende Tarifverträge abgeschlossen haben, und hier ist die Frage "Wer war zu erst da?" doch etwas relevanter als die nach der nach der ältesten Wirtschaft im Lande.
Die GDL wurde 1867 als Verein Deutscher Lokomotivführer (VDL) gegründet. Der VDL war eine Hilfskasse, um die schlechte Altersversorgung der Lokomotivführer zu aufzubessern. "Hilfe zur Selbsthilfe lautete daher der Leitgedanke der VDL-Gründung. Darüber hinaus sollten die Interessen des Standes der Lokomotivführer vertreten werden." 1919 kam die Umbenennung des VDL in Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Um dem Verbot durch die Nazis zu entgehen, ließ sich die GDL gleichschalten und wurde 1937 ganz aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog sie nicht die Lehren aus der Weimarer Zeit und nahm daher mit ihren Mitgliedern nicht am Aufbau der Einheitsgewerkschaften teil, sondern trat 1950 dem ständischen Deutschen Beamtenbund (DBB) bei und ist auch heute dort Mitglied.
Von ruhmreichen, von der GDL geführten gewerkschaftlichen Kämpfen ist mir weder für die Zeit vor 1945 noch nach 1945 bis zum jetzigen Arbeitskampf nichts bekannt geworden. Den GDL-Vorsitzenden Manfred Schell kenne ich eigentlich bislang nicht als Arbeiterführer sondern als CDU-Hinterbänkler im Deutschen Bundestag und Träger des Bundesverdienstkreuzes. 1993 stimmte er zwar als einziger CDU-Abgeordneter gegen die Bahnreform, unterstützte aber die Privatisierung von Post und Telekom.
Es ist zu befürchten, dass die GDL schon in naher Zukunft aus organisationsegoistischen Gründen Gefallen am Gedanken der Bahnprivatisierung finden wird. Denn schon jetzt hat die GDL bei Privatbahnen eine bedeutendere Position als bei der Deutschen Bahn. In einigen dieser Privatunternehmen hat sie Tarifverträge abgeschlossen, die weit unter dem DB-Tarif liegen. Zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie und der FDP befürwortet sie die Aufspaltung von Bahn und Schienennetz im Falle des Börsengangs der Deutschen Bahn.
Jahrzehnte lang hat sich die GDL- Führung an die Tarifabschlüsse der Eisenbahnergewerkschaft GdED/Transnet und der Verkehrsgewerkschaft GDBA (sinnigerweise ebenfalls Mitglied der DBB-Tarifunion) angehängt. Das war nicht zum Segen der Lokführer, spricht aber auch nicht dafür, dass deren Interessen bei Transnet oder GDBA gut aufgehoben waren.
Transnet ist, wie vielen anderen DGB- Gewerkschaften auch, die Nähe zu ihren Mitgliedern, zu deren berufsspezifischen Arbeits- und Einkommensbedingungen abhanden gekommen. Doch die Überbetonung der beruflichen Besonderheiten ist andererseits Kennzeichen einer Standesorganisation. Standesorganisationen leben von der Heraus- und Überhebung einer Berufssparte. Was Kleinorganisationen wie die GDL, Cockpit und der Marburger Bund zusammenhält und umtreibt, ist nicht der Wunsch nach dem Aufbau einer Gegenmacht, sondern Korpsgeist. Ein Blick auf die Homepage der GDL offenbart, dass die GDL nicht den leisesten Hauch von einem allgemeingesellschaftlichen Gestaltungswillen besitzt. Es wäre hier natürlich auch vieles über Versäumnisse und Fehler von Transnet und DGB zu sagen. Hier aber ging es mir darum, der GDL etwas von ihrem unverdienten Glorienschein zu nehmen.
Solidarität mit den kämpfenden Lokführern ist dennoch uneingeschränkt nötig. Ihr Kampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen ist auch unser Kampf. Wir werden an ihrer Seite kämpfen, denn sonst werden wir ihre Niederlage teilen. Die Kollegen der anderen Organisationen dürfen sich nicht als Streikbrecher missbrauchen lassen. Das Streikrecht, wann immer es in Gefahr ist, verteidigen wir erfolgreich nicht vor dem Kadi, sondern nur im gemeinsamen Kampf. Ohne unsere Solidarität wird auch die Führungsriege der GDL bald einknicken, sich bei den Lokführern mit 15% Lohnerhöhung zufrieden geben und beim Zugbegleitpersonal fast ganz auf Verbesserungen verzichten. Hauptsache es kommt etwas zustande, das man als das Erreichen eines eigenständigen Tarifvertrags verkaufen kann und das die Weiterexistenz der Standesorganisation GDL rechtfertigen hilft.
Warum laden wir nicht alle Bahnbeschäftigten und alle am Fortbestand einer dem Gemein- und Arbeiterwohl verpflichteten Bahn Interessierten schon jetzt zu gemeinsamen Veranstaltungen ein, um über den gegenwärtigen Kampf, aber auch über die weiteren Perspektiven zu reden? In diesen Versammlungen könnten wir uns verständigen, wie wir zu einer einheitlichen Kampfgemeinschaft kommen. Der Film Bahn unterm Hammer wäre dazu ein geeigneter Einstieg.
Es ist guter und alter, aber auch bewährter gewerkschaftlicher Brauch, dass die Starken für die Schwachen kämpfen. Oft sind die Schwachen aber nur vermeintlich die Schwachen. Die Ver.di-Vorgängergewerkschaft ÖTV erkannte dies in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Um die Beamtenbezüge, die bis dahin weit unter den Industriearbeiterlöhnen lagen, endlich auf deren Höhe zu bringen, schickte ÖTV-Chef Heinz Klunker die nicht verbeamteten, noch schlechter verdienenden Müllwerker in die Tarifschlacht. Nach mehreren Tagen ohne Müllabfuhr roch es stark nach allem Möglichen, nur nicht nach einem faulen Kompromiss, und alle im öffentlichen Dienst Beschäftigten profitierten davon.
Der Arbeitskampf der Lokomotivführer zwingt uns, verstärkt für die Neubelebung der Gewerkschaftsbewegung zu sorgen. Die Zeit der Sozialpartnerschaft, des Co-Managements und des sich zu Eigenmachens kapitalistischer Standortslogik ist vorbei. Die Gewerkschaften müssen eine antikapitalistische Strategie entwickeln. Das wird alles nicht leicht und schon gar nicht im Selbstlauf geschehen, aber es muss. Niemand darf dabei der Versuchung erliegen, diesen schweren Weg zu umgehen, indem man sich neue Organisationen nach seinem eigenen Bilde schafft. Auch wenn es anders aussieht: Jetzt ist nicht die Zeit für Splittergewerkschaften und Standesorganisationen. Was wir brauchen, ist die Einheitsgewerkschaft. Das bedeutet: einheitliche Gewerkschaftsmitgliedschaft für alle — jede und jeden Beschäftigten, Arbeitslosen, Scheinselbstständigen, egal welcher weltanschaulichen Richtung im DGB. So war das mit der Einheitsgewerkschaft von den Gründungskolleginnen und -kollegen gewollt.
Der erfolgreiche internationale Kampf der Hafenarbeiter und jetzt der Lokführerstreik machen den Blick frei auf neue Bedingungen bei der Führung künftiger Klassenkämpfe. Diese ergeben sich aus der Tatsache, dass der Produktionsort immer weniger die großen Fabrikationshallen eines Großbetriebes ist, sonder vielmehr der globale/geografische Raum. Was früher die Lagerräume, -kosten und -zeiten waren, sind heute Transporträume, -kosten und -zeiten. Das macht zu einem beachtlichen Teil die Stärke der globalisierten Produktion aus, stellt aber künftig auch die Achillesferse des Systems dar. Der Kampfplatz ist deshalb nicht mehr nur die Fabrik, wo die Teilprodukte hergestellt werden, sondern auch und vermehrt der Raum zwischen diesen Produktionsstandorten. Also zusätzlich überall da, wo Teilprodukte per Flugzeug, Bahn oder Lkw unter größtem Zeitdiktat zusammengeführt oder zum Kunden gebracht werden müssen.

Manfred Dietenberger war bis Mitte der 90er Jahre Vorsitzender des DGB-Kreises Waldshut und ist Autor des Buches ...die Enkel fechten‘s besser aus.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang