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Der bewundernswerte, seit Wochen andauernde Kampf der Lokführer zeigt,
dass der Zug für konsequente Interessensvertretung längst noch nicht auf dem Abstellgleis steht,
sondern im Gegenteil Fahrt aufnimmt. Jedem, dem das Herz links schlägt, tut dies gut. Aber
während selbst die FDP ihr Herz für Arbeiterforderungen zu entdecken scheint und der ganz und gar
nicht Christliche Gewerkschaftsbund "in voller Solidarität die GDL bei ihrem schweren
Arbeitskampf" unterstützt, distanziert sich der DGB-Vorsitzende Sommer von deren Kampf und tun
sich vor allem linke Aktivisten in DGB-Gewerkschaften recht schwer damit.
Dafür gibt es natürlich
Gründe. Die GDL plustert sich zwar gerne selbst als die älteste Gewerkschaft Deutschlands auf,
ist es aber nicht. Das Erstlingsrecht gebührt in Deutschland eindeutig den Zigarrenarbeitern und den
Druckern, weil sie als erste für eine ganze Sparte bindende Tarifverträge abgeschlossen haben,
und hier ist die Frage "Wer war zu erst da?" doch etwas relevanter als die nach der nach der
ältesten Wirtschaft im Lande.
Die GDL wurde 1867 als Verein Deutscher
Lokomotivführer (VDL) gegründet. Der VDL war eine Hilfskasse, um die schlechte Altersversorgung
der Lokomotivführer zu aufzubessern. "Hilfe zur Selbsthilfe lautete daher der Leitgedanke der
VDL-Gründung. Darüber hinaus sollten die Interessen des Standes der Lokomotivführer
vertreten werden." 1919 kam die Umbenennung des VDL in Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer
(GDL). Um dem Verbot durch die Nazis zu entgehen, ließ sich die GDL gleichschalten und wurde 1937 ganz
aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog sie nicht die Lehren aus der Weimarer Zeit und nahm daher
mit ihren Mitgliedern nicht am Aufbau der Einheitsgewerkschaften teil, sondern trat 1950 dem
ständischen Deutschen Beamtenbund (DBB) bei und ist auch heute dort Mitglied.
Von ruhmreichen, von der GDL geführten
gewerkschaftlichen Kämpfen ist mir weder für die Zeit vor 1945 noch nach 1945 bis zum jetzigen
Arbeitskampf nichts bekannt geworden. Den GDL-Vorsitzenden Manfred Schell kenne ich eigentlich bislang
nicht als Arbeiterführer sondern als CDU-Hinterbänkler im Deutschen Bundestag und Träger des
Bundesverdienstkreuzes. 1993 stimmte er zwar als einziger CDU-Abgeordneter gegen die Bahnreform,
unterstützte aber die Privatisierung von Post und Telekom.
Es ist zu befürchten, dass die GDL
schon in naher Zukunft aus organisationsegoistischen Gründen Gefallen am Gedanken der
Bahnprivatisierung finden wird. Denn schon jetzt hat die GDL bei Privatbahnen eine bedeutendere Position
als bei der Deutschen Bahn. In einigen dieser Privatunternehmen hat sie Tarifverträge abgeschlossen,
die weit unter dem DB-Tarif liegen. Zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie und der FDP
befürwortet sie die Aufspaltung von Bahn und Schienennetz im Falle des Börsengangs der Deutschen
Bahn.
Jahrzehnte lang hat sich die GDL-
Führung an die Tarifabschlüsse der Eisenbahnergewerkschaft GdED/Transnet und der
Verkehrsgewerkschaft GDBA (sinnigerweise ebenfalls Mitglied der DBB-Tarifunion) angehängt. Das war
nicht zum Segen der Lokführer, spricht aber auch nicht dafür, dass deren Interessen bei Transnet
oder GDBA gut aufgehoben waren.
Transnet ist, wie vielen anderen DGB-
Gewerkschaften auch, die Nähe zu ihren Mitgliedern, zu deren berufsspezifischen Arbeits- und
Einkommensbedingungen abhanden gekommen. Doch die Überbetonung der beruflichen Besonderheiten ist
andererseits Kennzeichen einer Standesorganisation. Standesorganisationen leben von der Heraus- und
Überhebung einer Berufssparte. Was Kleinorganisationen wie die GDL, Cockpit und der Marburger Bund
zusammenhält und umtreibt, ist nicht der Wunsch nach dem Aufbau einer Gegenmacht, sondern Korpsgeist.
Ein Blick auf die Homepage der GDL offenbart, dass die GDL nicht den leisesten Hauch von einem
allgemeingesellschaftlichen Gestaltungswillen besitzt. Es wäre hier natürlich auch vieles
über Versäumnisse und Fehler von Transnet und DGB zu sagen. Hier aber ging es mir darum, der GDL
etwas von ihrem unverdienten Glorienschein zu nehmen.
Solidarität mit den kämpfenden
Lokführern ist dennoch uneingeschränkt nötig. Ihr Kampf um höhere Löhne und
bessere Arbeitsbedingungen ist auch unser Kampf. Wir werden an ihrer Seite kämpfen, denn sonst werden
wir ihre Niederlage teilen. Die Kollegen der anderen Organisationen dürfen sich nicht als
Streikbrecher missbrauchen lassen. Das Streikrecht, wann immer es in Gefahr ist, verteidigen wir
erfolgreich nicht vor dem Kadi, sondern nur im gemeinsamen Kampf. Ohne unsere Solidarität wird auch
die Führungsriege der GDL bald einknicken, sich bei den Lokführern mit 15% Lohnerhöhung
zufrieden geben und beim Zugbegleitpersonal fast ganz auf Verbesserungen verzichten. Hauptsache es kommt
etwas zustande, das man als das Erreichen eines eigenständigen Tarifvertrags verkaufen kann und das
die Weiterexistenz der Standesorganisation GDL rechtfertigen hilft.
Warum laden wir nicht alle
Bahnbeschäftigten und alle am Fortbestand einer dem Gemein- und Arbeiterwohl verpflichteten Bahn
Interessierten schon jetzt zu gemeinsamen Veranstaltungen ein, um über den gegenwärtigen Kampf,
aber auch über die weiteren Perspektiven zu reden? In diesen Versammlungen könnten wir uns
verständigen, wie wir zu einer einheitlichen Kampfgemeinschaft kommen. Der Film Bahn unterm Hammer
wäre dazu ein geeigneter Einstieg.
Es ist guter und alter, aber auch
bewährter gewerkschaftlicher Brauch, dass die Starken für die Schwachen kämpfen. Oft sind
die Schwachen aber nur vermeintlich die Schwachen. Die Ver.di-Vorgängergewerkschaft ÖTV erkannte
dies in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Um die Beamtenbezüge, die bis dahin weit unter den
Industriearbeiterlöhnen lagen, endlich auf deren Höhe zu bringen, schickte ÖTV-Chef Heinz
Klunker die nicht verbeamteten, noch schlechter verdienenden Müllwerker in die Tarifschlacht. Nach
mehreren Tagen ohne Müllabfuhr roch es stark nach allem Möglichen, nur nicht nach einem faulen
Kompromiss, und alle im öffentlichen Dienst Beschäftigten profitierten davon.
Der Arbeitskampf der Lokomotivführer
zwingt uns, verstärkt für die Neubelebung der Gewerkschaftsbewegung zu sorgen. Die Zeit der
Sozialpartnerschaft, des Co-Managements und des sich zu Eigenmachens kapitalistischer Standortslogik ist
vorbei. Die Gewerkschaften müssen eine antikapitalistische Strategie entwickeln. Das wird alles nicht
leicht und schon gar nicht im Selbstlauf geschehen, aber es muss. Niemand darf dabei der Versuchung
erliegen, diesen schweren Weg zu umgehen, indem man sich neue Organisationen nach seinem eigenen Bilde
schafft. Auch wenn es anders aussieht: Jetzt ist nicht die Zeit für Splittergewerkschaften und
Standesorganisationen. Was wir brauchen, ist die Einheitsgewerkschaft. Das bedeutet: einheitliche
Gewerkschaftsmitgliedschaft für alle jede und jeden Beschäftigten, Arbeitslosen,
Scheinselbstständigen, egal welcher weltanschaulichen Richtung im DGB. So war das mit der
Einheitsgewerkschaft von den Gründungskolleginnen und -kollegen gewollt.
Der erfolgreiche internationale Kampf der
Hafenarbeiter und jetzt der Lokführerstreik machen den Blick frei auf neue Bedingungen bei der
Führung künftiger Klassenkämpfe. Diese ergeben sich aus der Tatsache, dass der
Produktionsort immer weniger die großen Fabrikationshallen eines Großbetriebes ist, sonder
vielmehr der globale/geografische Raum. Was früher die Lagerräume, -kosten und -zeiten waren,
sind heute Transporträume, -kosten und -zeiten. Das macht zu einem beachtlichen Teil die Stärke
der globalisierten Produktion aus, stellt aber künftig auch die Achillesferse des Systems dar. Der
Kampfplatz ist deshalb nicht mehr nur die Fabrik, wo die Teilprodukte hergestellt werden, sondern auch und
vermehrt der Raum zwischen diesen Produktionsstandorten. Also zusätzlich überall da, wo
Teilprodukte per Flugzeug, Bahn oder Lkw unter größtem Zeitdiktat zusammengeführt oder zum
Kunden gebracht werden müssen.
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