SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 06

Hamburger Senat vereitelt Volksentscheid

Interview mit Klaus Dieter Schwettscher

Am 14.Oktober gab es in Hamburg eine Volksabstimmung, die bezweckte, Volksentscheide für verbindlich zu erklären. Die Abstimmung scheiterte, weil die Zahl der Ja- Stimmen geringer war als die Hälfte aller Abstimmungsberechtigten. KLAUS-DIETER SCHWETTSCHER ist Beauftragter des Bundesvorstands von Ver.di für Direkte Demokratie. Er berichtet, wie der Hamburger Senat ein erfolgreiches Volksbegehren gegen Privatisierung in Hamburg ausgehebelt hat. Mit ihm sprach Rolf Euler.

2004 gab es in Hamburg ein erfolgreiches Bürgerbegehren gegen die Privatisierung der Landeskrankenhäuser. Welche gesellschaftlichen Gruppen haben dafür maßgeblich mobilisiert, und warum war die Kampagne erfolgreich?

Der Volksentscheid "Gesundheit ist keine Ware" richtete sich gegen den Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK); dabei ging es um die Kapitalprivatisierung von sieben großen städtischen Kliniken. Diesem Entscheid stimmten 77% der Abstimmenden zu, das waren gleichzeitig 50% sämtlicher Wahlberechtigten. Getragen wurde die Kampagne hauptsächlich von Ver.di, weiteren DGB- Gewerkschaften, dem Marburger Bund und Attac Hamburg. Das sehr überzeugende Abstimmungsergebnis ist darauf zurückzuführen, dass den Bürgern ihre persönliche Betroffenheit deutlich gemacht werden konnte. Der Volksentscheid war insofern jedoch nicht erfolgreich, als sich Senat und die Bürgerschaft darüber hinwegsetzten und dafür vom Hamburger Verfassungsgericht nachträglich den Segen erhielten.

Der Hamburger Senat hat sich geweigert, das Bürgervotum umzusetzen, und hat die Klinken an einen Privatkonzern veräußert. Mit welcher Begründung?

Die Veräußerung wurde wahrheitswidrig damit begründet, der LBK wäre überschuldet. Fakt ist, dass der LBK operativ seit Jahren eine "Schwarze Null" schrieb. Das negative Bilanzergebnis resultierte lediglich aus der Einbuchung von Pensionszahlungen. Letztere wurden natürlich nicht mit verkauft, sondern verblieben bei der Stadt. Außerdem sollte der Konzernsitz der Asklepios-Kliniken GmbH nach Hamburg verlegt und so der "Medizinstandort Hamburg" gestärkt werden. Darüber hinaus sollte Asklepios angeblich 300—400 Millionen Euro an die Stadt zahlen. Faktisch waren es, wie von der Initiative erwartet und angekündigt, nur rund 30 Millionen.

Die ganze Zeit über gab es ein ständiges Hin und Her, um die Hürden für ein Volksbegehren zu verändern. Dem Versuch, es zu vereinfachen, folgten Gegenmaßnahmen, die es erschweren wollten. Wie lauteten diese Vorschläge?

Der wichtigste Punkt ist, dass die CDU das Durchführungsgesetz für Volksabstimmungen (HVVG) 2005 dahingehend geändert hat, dass Volksentscheide nicht mehr parallel zu Wahlterminen stattfinden, und dass bei Volksbegehren die Amtseintragung obligatorisch vorgeschrieben wurde (Verbot des Sammelns von Unterschriften für das Volksbegehren auf der Straße oder in Betrieben). Ersteres wurde von Bürgerschaftsabgeordneten aus SPD und GAL erfolgreich vor dem Hamburger Verfassungsgericht angefochten. Der entsprechende Paragraf wurde für verfassungswidrig erklärt. Der zweite Punkt wurde nach einem erfolgreichen Volksbegehren von der Bürgerschaft ebenfalls wieder zurückgenommen. Doch was nützen die besten Durchführungsbestimmungen, wenn das Ergebnis unverbindlich bleibt?

Der Volksentscheid im Oktober zielte darauf ab, Bürgervoten bindend zu machen; er ist am Zustimmungsquorum gescheitert. Wie kommt das?

Die Verfassungsänderung zur Einführung der Verbindlichkeit von Volksentscheiden in Hamburg hat am 14.Oktober 2007 zwar eine Dreiviertelmehrheit der Abstimmenden erreicht. Das war aber nicht mehr als die Hälfte aller Abstimmungsberechtigten. Damit wurde sie verloren.
Folgende Gründe dürften dafür eine Rolle gespielt haben: Die Übernahme der Volksinitiative für ein faires Volksabstimmungsgesetz (Rettet den Volksentscheid — RdV) durch den Senat hat die Mobilisierung für die Verfassungsänderung erschwert. Die Abstimmung über die zweite Initiative (Hamburg stärkt den Volksentscheid — HsdV) wurde zudem auf einen Tag gelegt, an dem keine Wahl stattfand. Diese terminliche "Alleinstellung" des Volksentscheids hat der Senat bewusst herbeigeführt. Hinzu kam eine extrem fehlerhafte, weil unvollständige Versendung der Abstimmungsunterlagen an die Wahlberechtigten. Der zur Abstimmung stehende Gesetzestext wurde zum Teil erst nach dem letzten Abstimmungstag zugestellt. Leider reichen die Hunderte von Fällen, die wir gerichtsfest belegen können, nicht aus, um die Abstimmung anzufechten. Wirkung zeigte eine extrem demagogische und verunsichernde Gegenkampagne der CDU, die sich ganz auf Kleinigkeiten, wie eine Änderung der Quoren, stürzte und das eigentliche Thema, die Verbindlichkeit der Bürgervoten, komplett ausblendete.
In Zukunft wird es wichtig sein darauf zu bestehen, dass Abstimmungen an einem Wahltag stattfinden — je mehr sich daran beteiligen, desto besser. In der Gesetzesvorlage sollte man alles vermeiden, was verzerrt dargestellt werden kann. Wünschenswert ist auch das Werben um Unterstützer aus dem "gegnerischen" Lager. Schließlich ist es wichtig, bei der Formulierung und Ausgestaltung eines Volksentscheids die Betroffenheit von "Otto Normalverbraucher" herauszuarbeiten und auf die Emotionalisierbarkeit dieser Betroffenheit hinzuarbeiten.
Wir befassen uns jetzt mit einem erneuten Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl 2009 und hoffen, dass diese tatsächlich an dem geplanten Termin stattfindet.


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