SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 10

Sie predigen Klimaschutz und verbrennen Kohle

Der Kraftwerksbau der nächsten Generation setzt voll auf Braunkohle

von Wolfgang Pomrehn

In den kommenden Jahren ist in Deutschland der Bau von insgesamt 26 Braun- und Steinkohlekraftwerken mit einer Gesamtleistung von 26000 Megawatt geplant.Die deutschen Energiekonzerne denken nicht im Traum daran, auf ihre Kohlemeiler zu verzichten. Im Gegenteil: Unbeirrt von der Klimadiskussion bauen und planen sie neue Kraftwerke, und die Bundeskanzlerin lässt es sich nicht nehmen, dem Ganzen immer wieder höchste Weihen zu geben.
So geschah es z.B. im August 2006, als die Kanzlerin nach Grevenbroich-Neurath ins Rheinland reiste, um dort dem Spatenstich für ein neues Braunkohlekraftwerk beizuwohnen. Ausgerechnet Braunkohle, die mieseste aller fossilen Varianten. Zwar verkündete RWE stolz, sein neuer 2,2-Milliarden-Euro-Meiler werde einen um 30% höheren Wirkungsgrad haben, aber das ist eher Ausdruck dafür, wie unglaublich schlecht die Technologie ist, mit der die älteren Kraftwerke noch arbeiten — denn die beiden Blöcke, die 2010 oder 2011 ans Netz gehen, werden mit einem Wirkungsgrad von etwas über 43% arbeiten. Das heißt, fast 57% der Energie werden nutzlos über Kühltürme und Kühlwasser an die Umwelt abgegeben. Natürlich sind die neuen Anlagen mit einer Gesamtleistung von 2100 Megawatt (MW) viel zu groß, als dass ihre Abwärme in der Nachbarschaft sinnvoll genutzt werden könnte.
Die Bundeskanzlerin findet das alles ganz normal und vertraut fest darauf, dass das blöde Volk nicht rechnen kann. "Die deutsche Stromerzeugung beruht derzeit zu mehr als einem Viertel auf der Nutzung von Braunkohle. Ich bin davon überzeugt, dass die Braunkohle im deutschen Energiemix auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird", hatte sie einige Monate zuvor im brandenburgischen Spemberg verkündet, diesmal zu Gast bei Vattenfall.
Zwar ist in letzter Zeit viel von "sauberer Kohle" die Rede, bei der das CO2 aus den Abgasen abgetrennt werden soll, allerdings wird die Technologie frühestens im Jahr 2020 zur Verfügung stehen, und eine Nachrüstung dann bereits gebauter Kraftwerke ist höchst fraglich. Noch blasen jedenfalls Stein- und Braunkohlekraftwerke munter das Treibhausgas in die Atmosphäre, und zwar soviel, dass 2004 der Anteil des Stromsektors an den deutschen CO2-Emissionen rund 36% ausmachte. Tendenz zunehmend.
Die deutsche Stromerzeugung ist nämlich in den letzten Jahren kräftig gestiegen, und zwar von 1999 bis 2004 um rund 11%. In den Jahren davor hatte sie lange Zeit auf halbwegs konstantem Niveau verharrt. Entsprechend nimmt auch der Anteil der Energiewirtschaft (Stromerzeugung sowie Gas- und Stromverteilung) an den CO2-Emissionen wieder zu. Laut Umweltgesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes von 2006 sind ihre CO2-Emissionen von 2000 bis 2004 um gut 5% gestiegen.
Der Anteil der Braunkohle daran ist überproportional, denn sie hat von allen fossilen Energieträgern den niedrigsten Brennwert. Marcus Machat und Karin Werner, die 2007 für das Umweltbundesamt die CO2-Emissionen der Stromwirtschaft unter die Lupe genommen haben, kommen zu dem Ergebnis, dass beim Stand der Technik 2002 für jede mit Erdgas erzeugte Kilowattstunde Strom 560 Gramm CO2 emittiert wurden. Bei Steinkohle fallen Emissionen von 938 Gramm CO2/kWh an, bei Braunkohle horrende 1228 Gramm CO2/kWh. Das hindert den vermeintlichen Klimaschutzvorreiter Deutschland nicht daran, Braunkohle wie kein anderes Land auf diesem Planeten zu verbrennen.
Auch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat dagegen keinerlei Einwände: Ende April 2007 versuchte er im Bundestag die Quadratur des Kreises, indem er in einem Atemzug ein Klimaschutzprogramm der Bundesregierung und den Bau neuer Kohlekraftwerke ankündigte: "Wir können bis auf weiteres nicht auf den Einsatz der Kohle für die Stromerzeugung verzichten. Zwischen heute und Dezember 2012 werden drei große Braunkohlekraftwerke, sechs Steinkohlekraftwerke und sieben Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 12000 Megawatt gebaut."
Und so soll es offenbar weitergehen. Wegen des Ausstiegs aus der Nutzung der Atomkraft und wegen der Überalterung des übrigen Kraftwerkparks rechnet man in Deutschland für die Zeit zwischen 2010 und 2020 mit einem Ersatzbedarf von 40000 MW. Die Entscheidung darüber, wie diese Kapazitäten ersetzt werden, fällt in den nächsten Jahren. Alle vier großen hiesigen Energiekonzerne, Vattenfall, E.on, EnBW und RWE, haben Kohlepläne in den Schubladen liegen oder bereits entsprechende Anträge gestellt. Auch andere Konzerne wollen sich eine Scheibe vom Kuchen des liberalisierten Marktes abschneiden, zum Beispiel der Bayer-Konzern mit einem Kohlekraftwerk in Krefeld oder das dänische Unternehmen Dong Energy in Lubmin in Vorpommern. Bundesweit hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Planungen für insgesamt 26 neue Braun- und Steinkohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 26000 MW gezählt, Greenpeace rechnet sogar mit 28 Neubauplänen.
Dass es auch ein bisschen anders ginge, zeigt das Beispiel Dänemark. Dort wurde Mitte der 90er Jahre rund 80% des Stroms in Kohlekraftwerken produziert, obwohl das Land schon damals ein Pionier in Sachen Windenergie war. 1996 hat die seinerzeitige sozialdemokratische Regierung aufgrund des drohenden Klimawandels die Notbremse gezogen und den Bau neuer Kohlekraftwerke untersagt. 2006 war der Beitrag der großen Zentralkraftwerke an der Stromerzeugung, die teils mit Kohle, teils mit Erdgas betrieben werden, auf knapp 56% gesunken. Kleine dezentrale Heizkraftwerke, die oft mit Biomasse betrieben werden, liefern nun rund 24% des Stroms, die Windenergie leistet etwa 20%.
Fragt sich, weshalb man in Deutschland so hartnäckig an der klimaschädlichen Steinkohle und ihrem besonders schmutzigen Bruder festhält. In Bezug auf die Braunkohle wird gerne die Energiesicherheit als Argument ins Feld geführt, aber für die Steinkohle kann das nicht gelten. Der hiesige Steinkohlebergbau soll bis 2018 auslaufen, schon jetzt wird die Steinkohle für viele Kraftwerke importiert.
Zur Frage, was das für die Versorgungssicherheit bedeutet, schrieb der Gesamtverband des Deutschen Steinkohlebergbaus am 8.November 2006 in einer Pressemitteilung: "Kreise der deutschen Kohleimporteure machen sich zunehmend Sorgen, dass ab etwa 2008 die Nachfrage an Kraftwerkskohle mit dem Angebot nicht mehr Schritt halten kann. Dass eine solche Entwicklung nicht ohne Folgen für die Preisentwicklung der Kohle sowie der Frachtraten bleibt, haben wir in den letzten beiden Jahren gesehen. Für die Versorgungssicherheit bei der Importkohle gibt es somit keine langfristige Garantie."
Die Steinkohle ist mithin langfristig nicht so sicher und billig, wie man uns gerne glauben machen möchte. Auch die Arbeitsplätze eignen sich kaum als Motiv: Insgesamt arbeiten in der Braunkohleindustrie (Tagebau und Kraftwerke) derzeit lediglich noch rund 23000 Beschäftigte.
Ein drittes Argument ist der Ausstieg aus der Nutzung der Atomkraft. 2006 produzierten die hiesigen Atomkraftwerke mit etwa 150 Terawattstunden (TWh; 1 TWh = 1 Milliarde Kilowattstunden) immerhin rund 26% des in Deutschland verbrauchten Stroms. Bis 2022 sollen die Meiler nach und nach abgeschaltet werden, doch der Rückgang ihres Anteils an der Stromversorgung wird schon ab 2009 spürbar sein. Um 2013 werden die verbliebenen hiesigen AKWs nur noch etwa 100 Milliarden TWh produzieren. Ersatz muss also her. Bundesumweltminister Gabriel behauptet in der FAZ vom 7.April 2007, deshalb müssten neue Braunkohlekraftwerke hochgezogen werden. Doch wenn es schon fossile Kraftwerke sein sollen, dann könnte man genau so gut Gaskraftwerke bauen, denn deren spezifische CO2-Emissionen sind schon jetzt deutlich niedriger. Mit modernen Gas- und Dampfturbinenanlagen (GuD) ließen sich die Emissionen auf 365 Gramm pro Kilowattstunde senken. In Neurath werden sie hingegen bei etwa 950 g/kWh liegen. Wenn die GuD-Kraftwerke dann noch klein genug dimensioniert werden, sodass sich die Abwärme nutzen lässt, kann der Gesamtwirkungsgrad auf fast 90% gehoben werden. Doch soviel Effizienz ist den Stromkonzernen offenbar ein Gräuel.
Bleibt also als nur noch eine Antwort auf die Frage nach der Ursache der Kohlesucht: Die Stromerzeugung ist ein ziemlich gutes Geschäft, das sich die Konzerne ungern von den Betreibern erneuerbarer Energieanlagen wegnehmen lassen. Für die Konzerne sind Großkraftwerke die erste Wahl, weil sie wegen der zentralisierten Unternehmensstrukturen viel einfacher zu handhaben sind als kleine Blockheizkraftwerke oder gar Windanlagen. Die Konzerne sind organisatorisch kaum in der Lage, in viele kleine dezentrale Projekte zu investieren, wie es im Bereich der erneuerbaren Energieträger nötig ist. Im Markt für Windkraft kommen sie, wenn überhaupt, nur in die größeren Offshore-Projekte hinein, wo Parks von einigen 100 Megawatt als einheitliches Projekt zu realisieren sind. Doch an Land ist das Geschehen im Windgeschäft wesentlich kleinteiliger, gleiches gilt für die Fotovoltaik.
Der Versuch der Konzerne, möglichst viele neue Großkraftwerke in die Landschaft zu stellen, läuft also darauf hinaus, den Erneuerbaren Marktanteile abspenstig zu machen und die zentralisierten Strukturen der Stromversorgung für die nächsten Jahrzehnte zu zementieren. Zum Glück regt sich allenthalben Widerstand gegen die Pläne. An vielen der geplanten Standorte, die in den letzten Monaten bekannt wurden, bilden sich Bürgerinitiativen gegen die Kohlevorhaben. So zum Beispiel im Umkreis von Lubmin, in Krefeld, Neurath, Bremen oder Kiel, wo E.on und die dortigen Stadtwerke bauen wollen.


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