SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 11

Braunkohleabbau in der Lausitz

Erst Honecker, jetzt Vattenfall

In Brandenburg wächst der Widerstand gegen den Kraftwerksbau

von Angela Klein

Seit über hundert Jahren spielt die Braunkohle eine bedeutende Rolle in der Lausitz. Seit 25 Jahren wehrt sich die Hälfte der Bevölkerung gegen die zerstörerische Monokultur.Mit dem Rückgang der Tuch-, Ton- und Glasindustrien wurde Mitte des 19.Jahrhunderts die Kohle zum "braunen Gold" für die Region. Zunächst wurden Briketts für den Haushaltsgebrauch produziert. Im Laufe des 20.Jahrhunderts versprachen die Böden jedoch solchen Gewinn, dass Kraftwerke zur Produktion von Strom und immer größere Tagebauanlagen errichtet werden konnten.
Als der Bau der Mauer die DDR auf das russische Öl verwies, und dieses im Zuge des Ölschocks der 70er Jahre im Preis auch noch kräftig stieg, suchte die DDR-Regierung immer mehr im Braunkohletagebau eine unabhängige Energiebasis. Nach dem Bau der Großkraftwerke in Berzdorf, Lübbenau und Trattendorf in den Jahren 1954—1957 entwickelte sich Cottbus und seine Umgebung zu einem der wichtigsten Energiezentren der Volksrepublik. Immer mehr Kohlefelder wurden hier erschlossen, Tausende umgesiedelt, Dörfer und Landschaften zerstört, bis der SED das Geld ausging.
Insgesamt wurden im 20.Jahrhundert zugunsten des Braunkohleabbaus in der Lausitz 117 Dörfer zerstört. Bis zur Wende wurden über 25000 Menschen umgesiedelt, der Ausgleich war oftmals ungenügend. Nach der Wende schien für viele Dörfer, die noch auf der Abschussliste standen, die Bedrohung zunächst abgewendet. Die Bevölkerung atmete auf und entwickelte neue Initiativen. Vielerorts wurde mühsam die Bausubstanz wieder auf Vordermann gebracht, bauten Zuzügler neue Eigenheime, mitunter wurden ganze Dörfer neu belebt. Bis Vattenfall kam.

Und wieder sollen sie wandern

Vattenfall ist Strommonopolist in Ostdeutschland. Verstromt wird Braunkohle, und Braunkohle ist die ineffizienteste, mithin "schmutzigste" Energiequelle. Die Verstromung der Lausitzer Braunkohle ist für mehr als 60% des brandenburgischen Kohlendioxidausstoßes verantwortlich. Das Kraftwerk Jänschwalde ist eines der größten Dreckschleudern Europas. Die Braunkohleverstromung ist auch schuld daran, dass Brandenburg sein für 2010 gestecktes Klimaschutzziel, den CO2-Ausstoß auf 53 Millionen Tonnen zu reduzieren, nicht einhalten wird. Stattdessen sollen die in der Lausitz liegenden Vorräte bis zum Jahr 2070 maximal abgebaut werden. 23 Lausitzer Dörfer stehen neu auf der Abschussliste.
Die Landesregierung argumentiert, die Emissionen ließen sich mit Hilfe der CO2-Abscheidungstechnologie rechtzeitig reduzieren. "Das ist Augenwischerei", heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Naturschutzbund, BUND, der Grünen Liga, dem Lacoma e.V. und den Grünen vom 27.4.2007, die von 78 MdBs, namhaften Politikern quer durch alle Fraktionen (Monika Griefahn, SPD; Renate Künast, Grüne; Lothar Bisky, Linkspartei; Joseph Göppel, CSU) sowie von zahlreichen Prominenten (wie Manfred Krug, Peter Sodann und dem Träger des Alternativen Nobelpreises Prof. Michael Succow) unterstützt wurde. "Wir haben nichts gegen die Erforschung und Erprobung dieser Technologie. Doch ist sie noch nicht anwendungsreif und wirft neue Probleme auf. Beispielsweise ist keine sichere Endlagerung von abgeschiedenem CO2 garantiert und die Technik mit einem deutlich höheren Energieverbrauch verbunden. Sie wird selbst nach Darstellung von Vattenfall frühestens 2020 zur Verfügung stehen und damit in den nächsten entscheidenden 13 Jahren nicht zur Reduzierung der Kohlendioxidemission in Brandenburg beitragen."
Die Unterzeichner der Stellungnahme sind deshalb überzeugt, dass eine maßgebliche Reduktion der Treibhausgase in Brandenburg nicht zu machen sein wird, ohne sich von der Braunkohleverstromung zu verabschieden.
Am 9.Mai stellte das Wirtschaftsministerium des Landes die Endfassung einer Studie über die Energiesicherung vor. Demnach müssen insgesamt 33 Dörfer und etwa 7800 Bewohner der Braunkohle weichen, um Brandenburgs Fördermenge 50 Jahre lang auf dem bisherigen Niveau von jährlich 40 Millionen Tonnen zu halten.
Das schlug ein wie eine Bombe. Viele der nun (wieder) betroffenen Orte waren erst um 1990 aus den damaligen DDR-Abbauplänen entlassen worden. Bei einem der Kohlefelder handelt es sich um "Forst-Hauptfeld", in direkter Nachbarschaft zum umgesiedelten Ort Neu-Horno. Bild stürzte sich denn auch gleich auf die Geschichte und brachte groß raus, dass Mulknitz, der neue Wohnort der beiden letzten Bewohner von Horno, Werner und Ursula Domain, beide Ehrenmitglieder der Grünen Liga, nun wieder auf der Abschussliste steht.
Für die Zeit nach 2070 empfiehlt das Gutachten zusätzlich die Kohlefelder Calau-Süd und Crinitz-Sonnewalde. "Dies würde dazu führen, dass die Landesregierung sämtliche langfristigen Entwicklungen in diesen Regionen unterbinden könnte, um sie langsam ausbluten zu lassen", schreibt die Regionalzeitung der Grünen Liga. Weitere Abwanderung der Bevölkerung wäre die Folge. "In fünfzig Jahren kann man den kümmerlichen Rest wahrscheinlich einem Kohlekonzern zum Fraß vorwerfen."

Widerstand hat einen Namen: Lacoma

Das — nun größtenteils zerstörte — Dorf Lacoma und die dazugehörige einmalige Teichlandschaft, das über 170 seltenen Tierarten Lebensraum bietet, liegt rund 3 Kilometer nordöstlich von Cottbus. Seit Beginn der 80er Jahre formiert sich hier organisierter Widerstand gegen die Kohleindustrie. Der überwiegende Teil der Dorfbewohner wurde noch vor der Wende umgesiedelt.
Im Mai 1992 wurde das Dorf, das weitgehend leer stand, von Umweltaktivisten besetzt. Über die Jahre entwickelten sich Strukturen, die vom Besitzer Vattenfall zunächst geduldet wurden. So wurde die Kulturscheune zu einem einmaligen Kulturzentrum für die Region ausgebaut. Auf Anordnung von Vattenfall wurde das Dorf jedoch am 16.Oktober 2003 nach elf Jahren polizeilich geräumt, fast alle Gebäude abgerissen. Wenig später begann der Bau von Entwässerungspumpen.
Am 6.Oktober 2005 besetzten Aktivisten Bäume am Hammergraben nahe Lacoma, um gegen die bevorstehenden Baumfällarbeiten und den Bau von Entwässerungsanlagen zu protestieren. Am 18.Oktober wurden auch sie geräumt.
Nach Bekanntgabe der Pläne aus dem Wirtschaftsministerium hat der Widerstand wieder zugenommen. In der Nacht auf den 17.September 2007 besetzten Umweltaktivisten erneut den Hammergraben, der den Tagebau von der Teichlandschaft trennt. Militante Aktionen richteten sich auch gegen Vattenfall, vor der Konzernzentrale in Berlin, Chausseestr.23, brannte ein Auto. Bisher wurde die Besetzung von Lacoma aufrechterhalten, auch wenn sich die Anzeichen auf eine baldige Räumung häufen.
Gleichzeitig strengt die Volksinitiative "Keine neuen Tagebaue", eine gemeinsame Initiative von Umweltschutzgruppen, den Grünen und der Partei Die Linke, einen Volksentscheid an. Am 8.Oktober startete die Unterschriftensammlung. Zunächst müssen bis Jahresende 20000 Unterschriften gesammelt werden, um die Sache vor den Landtag zu bringen. Dieser muss sich dann damit befassen. Da die dortige Mehrheit aus SPD und CDU ein Verbot neuer Tagebaue — und damit den mittelfristigen Ausstieg aus der Braunkohle — ablehnt, ist der zweite Schritt die Einleitung eines Volksbegehrens. Für dieses müssen 80000 Unterschriften gesammelt werden. Im Falle des Erfolgs würde damit ein Volksentscheid erzwungen. Im Herbst 2008 sind in Brandenburg Kommunalwahlen, im Herbst 2009 wird der Landtag neu gewählt.


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