SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2007, Seite 12

Italien

Lebendige Vergangenheit

Kampf gegen die Militärbasis in Vicenza

von Angela Huemer (Text & Fotos)

Die Veranstaltung, die am 18.November im kleinen Theater von Polegge, einem Vorort von Vicenza (in der Region Veneto) stattfand, gedachte der Bombardierungen im November 1944. Sieverstand sich gleichzeitig ein Akt des Widerstands gegen die geplante neue amerikanische Militärbasis, gegen die eine breite Bürgerbasis bereits seit vielen Monaten mobilisiert.Die eisige Kälte in der Region Veneto ist einer etwas milderen sonnendurchwirkten Wolkendecke gewichen. Gegen Mittag komme ich am Bahnhof Vicenza an, nur 25 Minuten ist die weithin als Stadt des Renaissance- Architekten Palladio bekannte Stadt von Padua entfernt. Vicenza liegt mit seinen 120000 Einwohnern in einer der reichsten Regionen Europas, im Veneto. Enzo und Gianpaolo holen mich vom Bahnhof ab. Orsola, von der Zeitung Il Manifesto hatte mir zwei Personen in Vicenza genannt, die im Bürgerkomitee gegen die geplante amerikanische Militärbasis nahe dem Flughafen der Stadt, "Dal Molin", aktiv sind. Nach und nach werde ich "weiter gereicht".
Enzo, Mitte 50 und Angestellter einer Transportfirma, ist einer der Hauptorganisatoren der Gedenkveranstaltung, die am Sonntagnachmittag im Teatro Zuccato in Polegge stattfindet. Vorher müssen wir aber noch was essen, meinen er und Gianpaolo. Damit bin ich mehr als einverstanden. Obwohl ich dieser Art Gastfreundlichkeit gerade im politischen Kontext schon oft in Italien begegnet bin, bin ich doch stets erneut bewegt und positiv überrascht. Nach etwa zehn Minuten Autofahrt erreichen wir das Restaurant. Enzo erzählt, dass er die Besitzerin seit seiner Kindheit kennt. Ein großer Tisch ist für uns reserviert. Die Wirtsleute begrüßen uns herzlich. Zum Essen kommt auch Annetta, Enzos Frau, geboren in Savannah, im US- Bundesstaat Georgia. Auch dort gibt es eine Militärbasis, erzählt sie mir.
Bei exquisitem frittiertem Gemüse mit Sorbet sprechen Enzo, Annetta und Gianpaolo über ihren Kampf gegen die "Windmühle" — "Dal Molin" heißt wörtlich übersetzt "Bei der Mühle". Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter Emily ist sie eine wichtige Protagonistin des Protests, nicht zuletzt weil sie Amerikanerin ist. Annetta lebt schon seit 1983 in Vicenza, sie kam der Liebe wegen. Sie arbeitet in einem alt eingesessenen Kurzwarengeschäft im Zentrum der Stadt. Ihre Kollegen arbeiten nicht in einem der zahlreichen Bürgerkomitees gegen die Militärbasis mit; was die Kunden angeht, meint sie, hat sie wohl einige verloren, andere wiederum dazugewonnen. Gianpaolo hingegen bereitet sein Engagement gegen die Militärbasis sehr wohl bisweilen Schwierigkeiten bei seiner Arbeit als Angestellter der Stadtgemeinde. Vicenza wird von einem Mitte-Rechts-Bündnis regiert.

Die Amerikaner und Vicenza

In der offiziellen "proud history", der stolzen Geschichte der SETAF (South European Task Force — Südeuropäische Einsatztruppe) ist vermerkt, dass sie bereits seit 1965 in Vicenza stationiert ist — in der sog. "Caserma Ederle"; die Basis gibt es seit 1954. Derselben Quelle entnimmt man, dass die SETAF der größten Arbeitgeber Vicenzas ist, was sie ihrer Ansicht nach dazu berechtigt, ihre Basis auf dem Gelände des Flughafens "Dal Molin" zu erweitern. Auf der Website von SETAF findet man viele positive Meldungen über Informationsveranstaltungen für die Vicentiner Bürger, über die ausgezeichneten Umweltvorgaben des Projekts und sehr viele Fotos von in Afghanistan gefallenen amerikanischen Soldaten.
Die Stadt ist über den geplanten Neubau einer zweiten amerikanischen Militärbasis zweigeteilt, sagt Enzo, viele Bürger kümmern sich vor allem um die Vermehrung ihres vorhandenen Reichtums. Getragen wird dieser Reichtum vor allem von Klein- und Mittelbetrieben: Vicenza ist berühmt für die Goldverarbeitung und Schmuckherstellung. Die Stadt ist landschaftlich schön gelegen, rundherum Berge und viele Thermalquellen. Venedig ist nicht weit.

Das Markenzeichen "No Dal Molin"

Dem eigens entworfenen Logo "No Dal Molin" begegnet man oft in Italien, bei jeder Protestbewegung, sei es auf der Demonstration in Genua am 17.November, sei es auf der Kundgebung in Rom am 20.Oktober, stets ist es unübersehbar. Im Frühling hatte die Zustimmung von Premierminister Prodi zum Neubau einer zweiten Basis die Regierung stark ins Wanken gebracht. Anders als erhofft hatte er Berlusconis Entscheidung nicht aufgehoben.
Nach Prodis Zustimmung haben die Vicentiner Bürger gehandelt. Auf einem Grundstück nahe "Dal Molin" errichteten sie Anfang dieses Jahres ein Zelt, das sog. "presidio", vor und in dem seither ständig jemand Wache schiebt. Zweimal pro Woche finden Versammlungen statt. Mindestens 100—200 Bürgerinnen und Bürger aller Klassen und Altersgruppen treffen sich dort regelmäßig. Auf der Frequenz von Radio Popolare gibt es einmal wöchentlich eine einstündige Radiosendung, gestaltet von den verschiedenen kleinen Komitees von der "No Dal Molin"-Protestbewegung.
Den Widerstand teilt sich die Arbeit auf: Die Organisationsgruppe ist für die praktischen Dinge, wie das Catering verantwortlich (das u.a. von dem ausgezeichneten Restaurant, in dem wir uns vor der Veranstaltung stärken, besorgt wird). Dann gibt es die Gruppe, die die Radiosendung produziert; eine Boykottgruppe, die recherchiert, welche Firmen den Zuschlag für die Bauarbeiten erhalten; eine technische Gruppe, welche die Pläne prüft und mögliche Umwelt- und andere Folgen recherchiert; ein Legal Team und den sog. "Patto mutuo soccorso", das Netzwerk zur gegenseitigen Unterstützung, über das verschiedene lokale Protestgruppen und politische Aktivisten in ganz Italien einander helfen.
So bekannt in ganz Italien wie "No Dal Molin" ist nur noch die Bürgerbewegung gegen den Trassenverlauf des Hochgeschwindigkeitszugs durch das Val di Susa. Letztere konnte schon einen Erfolg verbuchen: Enzo erzählt, dass die Trasse verlegt wurde. In Vicenza übt man sich ganz bewusst und unterstützt von eigenen Kursen, in gewaltfreiem Widerstand. Eine der Aktionen war die Pflanzung von Bäumen auf dem Gebiet der geplanten Basis Mitte September.

Polegge: Damals und heute

Nach den besten Gnocchi (mit Zimt!) und eines der besten Risotti meines Lebens machen wir uns auf den Weg. Enzo zeigt mir das Zelt, das "presidio", was soviel wie Belagerung heißt. Leider ist nur wenig Zeit, so fahren wir weiter nach Polegge, das kleine Dorf, in dem um 15 Uhr die Gedenkveranstaltung an die Bombardierungen Vicenzas und Umgebung im Zweiten Weltkrieg beginnt. Entlang der Böschung neben der Straße ist eine lange Reihe weißer Kreuze aufgereiht. Die Künstlergruppe Antersass, die auch Aktionen auf der Biennale in Venedig veranstaltete, hat sie aufgebaut. Sie stellt einen mobilen Militärfriedhof dar. Es sind einfache weiße Kreuze, vor ihnen stehen Kerzen, die am Abend beim Fackelzug, der die Veranstaltung abrunden soll, angezündet werden.
Polegge ist ein kleiner Ort, mit hohem Kirchturm, einer einsamen Bar und Bergen am Horizont. Im kleinen Theater, das wohl ein Bau aus den 50er Jahren ist, treffen langsam die Leute ein. Die Sonne wagt sich durch die Wolken. Neben dem Theater steht ein kleines Zelt auf einem Stück Rasen, das allgegenwärtige "No Dal Molin" ist sichtbar: nicht nur auf dem Zelt, sondern auch auf Sweatshirts und Jacken. Um Viertel nach drei gibt es schon keinen Sitzplatz mehr. Auf dem Podium haben Enzo und Gianpaolo Platz genommen. Gianpaolo moderiert, ganz förmlich in kariertem Hemd und roter Krawatte. Mit ihm auf dem Podium ist ein Vertreter von der italienischen Hilfsorganisation Emergency, und Werner Pichler vom Comitato Cermis, aus der Region Trentino. Dort hatte vor einigen Jahren ein Militärflugzeug die Seile einer Seilbahn durchtrennt und dadurch mehrere Todesopfer gefordert. Obowhl es absolut verboten ist, sich der Seilbahn auch nur zu nähern, schlossen die Militärpiloten damals Wetten ab, wer es denn schaffen würde, unter den Seilen durchzufliegen.
Werner Pichler kommt etwas später als geplant, eine Schafherde hat ihn aufgehalten. Den Beginn der Veranstaltung bestreitet eine 80-jährige Dame. Sie erzählt von den Bombenabwürfen im Zweiten Weltkrieg — für sie sind die Erlebnisse gegenwärtig. Als sie auf die geplante Basis zu sprechen kommt, unterbricht sie sich. Zu sehr würde sie sich sonst aufregen, meint sie, voll Unverständnis, wie man so etwas nur wollen und planen kann.

Dämmerung

Leider treiben mich andere Verpflichtungen weiter; als die Menschen langsam das Theater verlassen und sich zum Fackelzug sammeln, warte ich schon auf dem kleinen Dorfplatz auf den Bus zurück nach Vicenza. Ein kleines Grüppchen von Polizisten und Carabinieri steht vor dem hohen Kirchturm. Enzo hatte mir erzählt, dass die örtliche Polizei wegen ihrer "Freundlichkeit" gegenüber der Protestbewegung schon kritisiert wurde. Ein älterer Mann plaudert mit ihnen, das Geschehen am Theater scheinen sie vollkommen zu ignorieren. Ein kleines Mädchen fragt einen von ihnen, der wegen seiner bulligen Körpergröße hervorsticht, ob er denn auch eine Pistole hat. Endlich kommt der Bus. Ich steige ein, der Busfahrer entschuldigt sich, er komme gleich wieder, und verschwindet in der Bar. Eine alte Dame steigt ein. Wir reden ein wenig, ich frage sie nach den Bombardierungen, ob sie sich daran erinnern kann. Natürlich meint, sie, das war ein ewiges Rennen und Angst. Nicht einmal die Zeit zum Essen nahm man sich, wie könnte sie das jemals vergessen.
Endlich kommt der Busfahrer wieder. Er ist bemüht, dass ich ja meinen Zug noch kriege. Wir fahren am Theater vorbei. Draußen sehe ich Enzo, Annetta, Gianpaolo und all die anderen. Gerade noch schaffe ich es, das Fenster zu öffnen und ihnen zuzurufen. Sie winken zurück. Schade, dass ich nicht bleiben kann. Später kommt eine SMS, Enzo bedankt sich für meine "presenza", mein Kommen.


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