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Die Kurdenfrage ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eines der wichtigsten Elemente in der
Nahostpolitik. Sie war und ist ein Verhandlungsgegenstand, der von den regionalen Mächten (Türkei, Iran, Arabien
und Israel) und von den Weltmächten (USA, Russland und England) immer wieder gegen die Interessen des kurdischsprachigen
Volkes eingesetzt wird wie derzeit von den USA.
Niemand weiß genau, wie groß die Zahl des
kurdischsprachigen Volkes ist, weil die ethnische Statistik im Nahen Osten ein politisches Geheimthema ist. Die Regierungen
der Region, die alle eine assimilierende und zwangsintegrative Politik betreiben, erlauben nicht, dass solche Zahlen
veröffentlicht werden.
Die Kurden wurden nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des
Osmanischen Imperiums in vier Staaten aufgeteilt: Türkei, Irak, Syrien und Iran. Das Ziel der
"nationalstaatlichen" Bildungspolitik der Türkei war die "reine türkische Nation". Daher wurde
dort keine andere ethnische Identität oder Sprache anerkannt. Eine ähnliche Politik, jedoch mehr im Sinne einer
"Leitlinienkultur" verfolgten auch die Iraner und die Araber, indem sie die persische Kultur und Sprache im Iran
und die arabische Kultur und Sprache im Irak und in Syrien verankerten. Diese Form des Chauvinismus und der
Unterdrückung war für die Kurden unerträglich und hat deren Widerstand hervorgerufen.
Sichtbar wurde die erste organisierte politische Bewegung der
Kurden am Ende des Zweiten Weltkriegs im Iran. Nach der Besetzung des Iran durch alliierte Kräfte und nach dem Sturz der
Diktatur des Hitler-Sympathisanten Reza Shah öffnete sich jeweils die politische Lage im Iran und ermöglichte
unterdrückten Bevölkerungsgruppen wie den Kurden politische Aktivitäten.
1945 gründete die Demokratische Partei Kurdistans in der
Stadt Mahabad im Nordwesten des Iran die "Republik Mahabad". Ihr Präsident, Ghazi Mohammad, ein
linksorientierter Nationalist, nutzte dafür die Linksbewegung im Iran und vor allem die Präsenz der Roten Armee.
Nach dem Rückzug der Roten Armee stütze sich die Zentralmonarchie auf die USA, um die Republik Mahabad zu
zerschlagen. Ghazi Mohammad wurde hingerichtet.
Ein Teil des Militärs dieser Republik unter der
Führung von Mostafa Barzani, dem Vater des heutigen Präsidenten der kurdischen Regionalregierung im Irak, Massud
Barzani, zog sich nach Russland zurück und lebte dort im Asyl. Nach dem Sturz der Monarchie im Irak kehrte Mostafa
Barzani zu seinem Clan zurück. Jetzt verbündete er sich mit der iranischen Monarchie und mit Israel und führte
von den späten 60er Jahren an einen heftigen Krieg gegen die Baath-Regierung unter Saddam Hussein. 1975, nach
Verhandlungen zwischen dem letzten iranischen Shah und Saddam Hussein, kapitulierte Mostafa Barzani, kehrte in den Iran
zurück und lebte dort bis an sein Lebensende im Asyl.
Die iranische Revolution im Jahre 1979 veränderte die politische Lage im ganzen Nahen Osten. In den ersten Jahren
nach der Revolution war die Zentralregierung geschwächt; dadurch und durch den neuen Konflikt und den daraus folgenden
Krieg zwischen dem Iran und dem Irak erweiterte sich der Spielraum für die Kurden in allen Ländern. Die politischen
Parteien der Kurden im Iran, die alte Demokratische Partei Kurdistans und die neu gegründete Komala, stützten sich
in ihrem militärischen Kampf gegen die islamische Regierung auf Saddam Hussein. Jalal Talebani, der Präsident des
heutigen Irak, und Massud Barzani hingegen verbündeten sich mit der islamischen Regierung des Iran gegen Saddam Hussein.
Die PKK begann ihren Kampf gegen die Türkei zu Beginn der 80er Jahre mit starker Unterstützung der iranischen
Regierung, weil die Beziehungen zwischen der proamerikanischen Regierung der Türkei und der islamischen Regierung im
Iran sehr instabil waren. 1990, mit dem Ersten Golfkrieg, traten zusätzlich die USA als Spieler auf die Bühne und
läuteten eine neue Runde ein.
Bush Senior verkündete eine "Neue
Weltordnung". Sie bedeutet für den Nahen Osten langfristig die Vor- oder Alleinherrschaft der USA über die
Energiequellen der Welt. Um diesen Plan durchführen zu können, mussten die vorhandenen politischen Strukturen unter
Berücksichtigung der veränderten politischen Umstände (die islamische Regierung im Iran) neu organisiert
werden. Zuallererst sollten die Nahoststaaten stabil und gehorsam sein. Zweitens sollte das Gleichgewicht zwischen den
Staaten der Region stabil bleiben, also keine neue dominante Regionalmacht entstehen. So sollte eine kontrollierbare
politische Lage entstehen, die auch Sicherheit für Israel gewährleistete.
Voraussetzung für die politischen Veränderungen sind wirtschaftliche Veränderungen: freier Markt,
Privatisierung und Stärkung des Privatsektors zur Anpassung an die Globalisierung. Die wichtigsten Staaten Iran,
Türkei und die arabischen Staaten sollten neu geordnet werden. Der Iran und die Türkei waren die wichtigsten
Verbündeten der USA während des Kalten Krieges wie auch für die Interessen Israels. Doch jetzt waren die
wichtigsten alten Verbündeten der USA entweder nicht mehr gehorsam oder nicht mehr stabil. Ein neues
"Arrangement" war unvermeidbar. Es wurde unter den Demokraten mit einer "soften" Politik und unter Bush
mit einer "harten" Politik umgesetzt. Alle Mittel sind erlaubt: politischer Druck und Intervention, wirtschaftliche
Intervention und Sanktionen, Unterstützung separatistischer Bewegungen bis hin zum Militärschlag und zur Besatzung.
Das Ziel kann eine Anpassung oder ein Wechsel der Regime sein oder auch eine ganz neue Landkarte.
In den kurdischen politischen Parteien sehen die USA ein
großes Potenzial, das sie in dieser neuen Runde für ihre Zwecke nutzen können aber noch sind es nur
Nebenspieler. Diese Parteien sind nämlich allesamt eher säkular und nationalistisch orientiert und grenzen sich
damit von der islamischen Bewegung ab. Die Kurden, die in der Türkei, im Iran und in den arabischen Ländern unter
Druck stehen, standen nach dem Ersten Golfkrieg an der Seite der USA, auch Israel ist stark involviert. Diese Nähe hat
nach der Besetzung des Irak zugenommen, sie breitet sich teilweise auch im Iran und in der Türkei aus.
Die machtorientierten nationalistischen kurdischen Parteien
nutzen ihre Stellung an der Seite der Amerikaner, um mehr Macht zu gewinnen. Ihre alten antiimperialistischen Traditionen
spielen im Moment keine Rolle. Im Irak sind sie die engsten Verbündeten der USA und unterhalten auch eine geheime
Zusammenarbeit mit Israel. Die "Demokratische Partei Kurdistans des Iran" und die "Komala" folgen der
Politik der irakischen kurdischen Parteien und stehen ebenfalls an der Seite der USA, zu denen sie direkte Verbindungen
unterhalten.
Komplizierter ist die Sache mit der PKK. Vor dem Jahr 2003
wurde die PKK von den USA als "böse" eingestuft. Die USA unterstützten damals die Türkei bei der
Festnahme von Öçalan. Die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA waren optimal. Die PKK hingegen genoss die
Unterstützung des Iran und Syriens. Nach der Besetzung des Irak änderte sich die Lage. Die geschwächte PKK
bereitete sich darauf vor, ihre Ziele mit den irakischen Kurden zu koordinieren und von den neuen Umständen zu
profitieren. Der Distanzierung der Türkei von der amerikanischen Besetzung des Irak und ihre Unzufriedenheit über
die Lage der Kurden im Irak überschattete ihre guten Beziehungen zu den USA. Gleichzeitig gab es große Spannung um
die amerikanische Iranpolitik ein Schlüsselelement in der US-Nahostpolitik, denn die Bush-Regierung wollte im
Iran einen Regimewechsel herbeiführen.
Also gründete die PKK eine iranische Abteilung,
nämlich die PJAK, indem sie auch iranische Kurden rekrutierte. Die PJAK ist die einzige kurdische Partei im Iran, die an
der Grenze und im nordwestlichen Iran einen militärischen Kampf gegen die islamische Regierung führt. Die
türkische PKK verhält sich hier zumeist ruhig. Beide Abteilungen der PKK, die durch einen Koordinierungsrat
verbunden sind, haben ihr Lager in Irakisch-Kurdistan, das unter der Kontrolle von irakischen kurdischen Parteien und der US-
Armee steht. Die USA erheben offiziell ihre Stimme gegen die PKK, sagen aber kein Wort gegen die PJAK. Ein
Führungsmitglied der PJAK hat in diesem Jahr seine Kontakte zu den US-Behörden in Washington öffentlich
gemacht. Also ist die politische Lage heute umgekehrt: Die repressiven Staaten Iran und Türkei haben sich gegen die PKK
und die PJAK verbündet, während sich die PKK auf die andere Seite verlegt hat.
Das Zentrum der kurdischen Machtpolitik liegt derzeit in Irakisch-Kurdistan. Die Experten der kurdischen
"Realpolitik" können eine Liste von Erfolgen präsentieren und auf ihre kluge Politik stolz sein. Ja,
Talabani ist Präsident des Irak, Barzani ist Präsident Irakisch-Kurdistans, Petrodollars fließen zum Teil nach
Kurdistan, machen die Eliten vermögender, und die Bevölkerung erhält mehr Brot. Ist das nicht gut? Die Antwort
auf diese Frage hängt davon ab, wo man gerade steht. Wenn es gut ist für die Eliten, ist es dann auch langfristig
stabil? Diese Erfolge sind das Ergebnis der ersten Schritte der USA auf dem Schachbrett im Nahen Osten. Geht es nun weiter
so? Werden die weiteren Schritte auch erfolgreich sein?
Nach den ersten Schritten scharten sich die kurdischen
politischen Parteien aller drei Länder euphorisch auf die Seite des Gewinners. Aber mit den ersten Anzeichen eines
Misserfolgs der US-Politik kommt die Depression. Die beiden alten iranischen Parteien, DPK und Komala, sind heute gespalten.
Die PJAK ist an der iranischen Grenze mit einem solidem
Kommando aktiv, ihre militärischen Aktionen beantwortet die iranische Militärmaschine mit schwerem
Artilleriebeschuss. Das bedeutet Druck, auch für Irakisch-Kurdistan und für die Zentralregierung im Irak.
Die PKK versucht, mit gezielten militärischen Aktionen
die Zeit zu nutzen, um ihre Angelegenheiten in der Türkei voranzubringen. Die Folge ist eine massive, chauvinistische,
reaktionäre Massenaktion in der ganzen Türkei. Man denke an die rotgeflaggten Straßen in Istanbul,
türkische Fahnen überall. Das Land verwandelt sich in ein Land der "Grauen Wölfe" und des
Militärs. Das zeigt wieder einmal, wie gefährlich und reaktionär auch der Nationalismus, nicht nur die
islamische politische Bewegung, sein kann.
Alle Zeichen deuten auf einen amerikanischen Misserfolg. Die
USA können ihre geplanten Ziele nicht durchsetzen. In dieser Situation handeln sie Kompromisse mit den wichtigen
Regionalmächten aus. Die Araber, die Türkei und der Iran sind Spieler, die die USA nicht zugunsten der Kurden
ignorieren können. Es kommt die Zeit, wo der Nebenspieler an Wert verliert. Er wiegt dann als "Druckmittel"
nichts mehr. Wahrscheinlich sagen sich die "Realpolitiker" in Irakisch-Kurdistan, sie hätten nicht alle ihre
Eier in den amerikanischen Korb gelegt, sondern auch noch gute Beziehungen zur iranischen und türkischen Regierung. Was
soll man dazu sagen: Ist das nicht eine illusorische Rationalisierung?
Also, vielleicht haben die kurdischen Eliten, wie Eliten
immer und überall, von dieser machtorientierten Politik profitiert. Aber was ist mit dem Großteil des
unterdrückten, ausgebeuteten kurdischsprachigen Volks? Ist denn nicht klar geworden, dass eine nationalistische Politik
in einem kapitalistischen "Nation-State"-Kontext für die ausgebeuteten Kurden eine Sackgasse ist?
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